Über Glenn Gould ist so viel geschrieben worden, dass man abwinken möchte, wenn doch noch etwas Neues über den zur Legende gewordenen Pianisten erscheint. Mit „Glenn Gould oder das innere Klavier“ hat der französische Schriftsteller, Verleger und Festivalorganisator Jean-Yves Clément allerdings ein Büchlein vorgelegt, das in sieben Kapiteln, die sich an den Lebensetappen orientieren, einen durchaus neuen und originellen Blick auf dieses singuläre Phänomen der jüngeren Musikgeschichte lenkt. Clément verliert sich nicht in biographische Details, die sowieso andernorts leicht nachzuschlagen wären, sondern fokussiert seine Herangehensweise auf die Haltung Goulds zur Musik, auf seine puritanische Einstellung, auf seine Unerbittlichkeit in qualitativen Fragen und auf das Verhältnis zum Publikum, das fast zwangsläufig zur Abkehr vom öffentlichen Konzertleben führen musste.
Eingangs ist eine Neigung zu hagiographischer Darstellung zu erkennen, doch das legt sich bald und weicht einer sehr genauen und einfühlsamen Schilderung von Goulds musikalischem Werdegang, die sich stets an Konzerten oder Aufnahmen orientiert und oft auch von Werturteilen des Autors begleitet wird. Clément erwähnt eine Fülle von Einspielungen und kommentiert diese differenziert, äußert Vorlieben und erwähnt natürlich auch die andernorts gefällten Urteile. Gould als Komponisten sieht er kritisch, seine Rolle als Pianist jedoch im ganzen 20. Jahrhundert als herausragend und unvergleichlich. Im Übrigen ist es Clément wichtig, die spirituelle Tendenz in Goulds Lebensphilosophie herauszuarbeiten. Das gut übersetzte und lektorierte Buch aus der Oktaven-Reihe in Händen zu halten, ist ein haptisches Vergnügen aufgrund der exzellenten Papierqualität, aufgrund des Inhalts sowieso.
Jean-Yves Clément: Glenn Gould oder das innere Klavier, Oktaven, Deutsch, 181 Seiten, 22 €, ISBN 978-3-7725-3002-9