Geschwister, die es zu musikalischem Ruhm gebracht haben, gibt es einige. Das geht von den Bee Gees über die Well-Brüder (Biermösl Blosn) und die Everly Brothers hin zu Fanny und Felix Mendelssohn Bartholdy, Renaud und Gautier Capuçon, Paul, Gustav und Benjamin Rivinius und: Carolin und Jörg Widmann. Sie treten immer einmal wieder gemeinsam auf, etwa im vergangenen Juli beim Rheingau Musik Festival, wo die jüngere Schwester die „Etüden Nr. 1-3“ des Bruders, der Rheingau-Residenzkünstler war, aufführte. Von September an wird Jörg Widmann, der bei Heiner Goebbels und Wolfgang Rihm Komposition, Klarinette bei Gerd Starke und, an der Juilliard School, bei Charles Neidich studierte, für zwei Jahre immer wieder bei den Bamberger Symphonikern zu Gast sein: als Komponist, aber auch als Interpret. Wir sprachen mit dem zwischen Montpellier, Portugal, Sapporo und Grafenegg arg gefragten Münchner des Jahrgangs 1973.
Wann sind Sie denn erstmals mit den Bamberger Symphonikern in Kontakt gekommen, dem Orchester begegnet? Vermutlich auf Platte oder im ARD-Nachtkonzert?
Richtig. Ich habe sie im Radio ganz oft gehört und in meiner Schulzeit einmal im Prinzregententheater. Das weiß ich noch wie heute. Placido Domingos Flugzeug hatte Verspätung, und so holte ihn Staatsopern-Intendant August Everding persönlich vom Flughafen ab. Ich war schon damals von der Klasse des Orchesters fasziniert. 2001 habe ich dann erstmals für die Bamberger Symphoniker komponiert, meine „Lichtstudie I“. Ich stellte mir ein Riesencrescendo aus dem Nichts vor, sehr hell und gleißend. Die Bamberger haben sich ja als eines der wenigen Orchester den dunklen deutschen Klang bewahrt, und nun prallte meine auf deren Klangvorstellung. Es klang komplett anders, als ich es mir vorgestellt hatte, aber viel schöner! Das war ein Schock. Und ich wusste in der Probe, dass ich mit dem Thema noch nicht fertig war. Daraus entstand dann der „Lichtstudie“-Zyklus.
Inzwischen haben die Bamberger Symphoniker immer wieder einmal Widmann aufgeführt. Sie sind mit dem Orchester längst vertraut, oder?
Ich glaube, es gibt kein Orchester, das meine Konzertouvertüre „Con brio“ (2008) so gut kennt und auch so oft gespielt hat, wie die Bamberger. Sie war Pflichtstück beim Mahler-Dirigentenwettbewerb, der ja eine ganz hoch zu würdigende Einrichtung für den Nachwuchs ist. Und von „Lied“, einem Auftragswerk der Symphoniker, gibt es eine ganz fabelhafte CD mit Jonathan Nott. Da lebt man mit einem Orchester, man lernt unglaublich viel. Das habe ich jetzt gerade als Solist beim Würzburger Mozartfest gespürt. Mittlerweile ist es eine große Freude, sich zu begegnen. Wir kennen uns, wir schätzen uns. Die Professionalität, auch das Musikantische. Als ich in London bei den Proms die Bamberger mit einer fantastisch gespielten Dritten von Bruckner hörte, war ich unglaublich stolz, dass es in dieser zauberhaften Stadt dieses Orchester gibt, das den Ruhm der Region nach außen trägt. Das sind die besten Botschafter, die man sich denken kann.
Die Bayerische Staatsphilharmonie versteht sich aber nicht nur auf Bruckner und Mahler, sondern macht auch viel Zeitgenössisches, zumal unter Jonathan Nott.
Das merkt man auch! Das gehört zum Selbstverständnis des Orchesters. Ich finde, das harmoniert ganz wunderbar mit den Bambergern. Man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Gerade auch unter dem neuen Intendanten Marcus Axt. Man hat wirklich den Eindruck, dass da in dieser wunderbaren Tradition mit großer Energie doch noch mal etwas Neues losgeht.
Es gibt nicht viele Orchester, die sich für Musik von und für heute starkmachen. Die Bamberger zählen dazu, und das SWR-Orchester, dem ja nun der Garaus gemacht werden soll. Wollen Sie sich dazu äußern?
Das ist ein Skandal! Wir finden da kein Gehör, die Musiker nicht, aber auch die Bürger nicht. Über 2000 Leute sind in Freiburg auf die Straße gegangen. Es ist ein ganz singuläres Orchester, aber die Politik hört das nicht. Es ist eine Schande, was da in der Kulturpolitik in Baden-Württemberg passiert. Aber in Bayern, muss man sagen, ist es ja keinen Deut besser! Da soll ja 2018 der Wellentausch mit dem Jugendradio kommen und BR Klassik nur noch als Digitalkanal zu empfangen sein. Diese Politik führt zu einem Desaster, nämlich zu dem Immer-mehr-an-den-Rand-Drängen der klassischen Musikkultur. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Will ich in Freiburg ohne das SWR-Orchester leben, in München ohne die fantastische Aufgabe, die der BR immer noch wahrnimmt? Meine Antwort als Künstler ist eindeutig, und die von allen andern Künstlern auch. Man kann nicht einfach frankensteinmäßig die Orchester in Freiburg und Stuttgart zusammenlegen. Das ist ein barbarischer Akt! Ich kenne keinen Musiker, der das befürwortet.
Residenzen sind üblicherweise auf ein Jahr beschränkt. In Bamberg werden Sie zwei Spielzeiten weilen. Können Sie schon etwas dazu sagen, was Orchester und Publikum von Ihnen erwarten dürfen?
Ach, ich freue mich wahnsinnig darauf! Das Publikum darf davon ausgehen, dass es meine Musik so hört, wie sie besser nicht gespielt werden kann. Und ich werde selbst als Solist Carl Maria von Webers f-Moll-Klarinettenkonzert spielen. Auch Kammermusik werde ich mit dem Orchester machen, das ist für mich etwas ganz Selbstverständliches.
„Miles Davis and me“ – können Sie das präzisieren?
Damals als Jugendlicher hingen über meinem Bett Pierre Boulez und Miles Davis. Mit Boulez habe ich mich später ausgetauscht. Er hat mit den Wiener Philharmonikern 2007 „Armonica“ uraufgeführt. Von Miles Davis habe ich viele Konzerte gehört. Als Interpret, aber auch als Komponist finde ich ihn wahnsinnig gut, sein Selbstverständnis als sich ständig häutender, erneuernder Musiker. Wenn er etwas gemacht hatte und eingeordnet wurde von außen, war er immer schon wo anders, ähnlich wie bei Picasso. Stillstand ist der Tod in der Kunst.
Wie bekommen Sie die Doppelrolle als Komponist und Klarinettist (beides auch mit Professuren, in Freiburg) unter einen Hut, der ihnen steht, statt sie zu drücken? Was macht, wenn er sie denn überhaupt hat, ein derart gefragter Komponist, Lehrer, Instrumentalist und Dirigent in seiner freien Zeit?
Ich mache dann gar nichts oder gehe schwimmen. Aber mein Leben ist die Musik. Ich brauche nicht missmutig zur Arbeit zu gehen. Wenn das Mozart-Klarinettenkonzert losgeht, bin ich der glücklichste Mensch. Genauso ist es mit dem Komponieren. Ja, es ist schwierig, wenn man nicht weiterweiß, aber dennoch! Und gerade der Wechsel meiner Tätigkeiten befruchtet sich gegenseitig. Ich bin sehr glücklich, dass ich das machen darf!
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