Miron Schmückle, geboren 1966 in Sibiu/Hermannstadt, Rumänien, lebt und arbeitet heute in seiner Wahlheimat Berlin als bildender Künstler. Aufgewachsen unter und vertrieben vom Regimes Ceaușescus ist er seit seiner Studienzeit in Kiel und Hamburg in zahlreichen Stipendien und Ausstellungen präsent und hat seinen einzigartigen Stil bis heute konsequent weiterentwickelt. Sein zentrales Motiv: die Schöpfung. Seine Leidenschaft für die Pflanzenwelt, so sagt er, sei ihm angeboren. Die Natur war ihm seit Kindheit an ein Ort der Zuflucht und Entspannung, der tote Winkel im Reigen der Kontrollmechanismen des diktatorischen Systems, in dem er aufgewachsen ist:
„Ein Regime wie die rumänische Diktatur war ja nicht so ein Albtraum wie Taliban oder Putin, aber es war enervierend und frustrierend, weil die Norm der Partei oder das, was die Partei einem auferlegen wollte, ziemlich idiotisch war und auch menschenfeindlich. Man hat als Kind schon gemerkt, dass das, was einem da erzählt wird, keinen großen Sinn macht. Enervierend also im Sinne von Behelligung. Und das Gefühl hatte ich nicht, wenn ich in der Natur war. Rumänien hat eine wunderbare Natur, der Staat war schwierig, aber die Landschaft wunderschön.“
Seine Begeisterung ihr gegenüber war stets und ist noch omnipräsent und alles, was er pedantisch und unersättlich aus ihr aufsaugt, gibt er mit gleicher Akribie mit seiner Kunst zurück. Seine Hand, sagt er, steuere diesen unterbewussten Prozess. Sie zeichne „Sequenzen“ schneller, als er sie denken könne. Seine floralen Wunderwelten (er)finden sich also aus seiner geistigen Schöpfungskraft:
„Was ich jetzt mache, ist ja eher aus dem Kopf, aus der Fantasie und nicht am Objekt.“
Und dies geschieht im Rückgriff auf das breite Vokabular eines exzellenten Beobachters und Bewunderers der Natur und Naturwissenschaft. Schmückle ist jemand, der Natur und Kunst nicht trennen kann, in dessen neugieriger Beobachtungsgabe beide vielmehr miteinander verschmelzen:
„Naturrepräsentationen der Kunst waren für mich eine Ergänzung dessen, was ich in der Natur sehen konnte. Das Betrachten von Kunstwerken hat meine Sichtweise geschärft. Das hat sich gegenseitig potenziert. Tatsächlich also kann ich sagen, ich habe Sachen über die Natur von der Kunst gelernt und umgekehrt. Das feine Beobachten der Natur und das genaue Hinsehen auf die Kunst, das ist bei mir sehr stark miteinander verbunden. Ich kann das in meinem Kopf nicht trennen.“
Surreale Welten nach realen Mustern. Florale Farben und Formen aus dem eigenen Genie, der eigenen Fantasie. Was mit Studien einzelner Elemente beginnt, fügt sich schließlich zu einer stimmigen, organischen Struktur. Jedes Detail schärft nicht nur den Fokus nach innen, sondern befördert zuvorderst den Blick aufs Ganze. Schmückles Pflanzen wachsen beim Hinsehen, verschlingen ihr Publikum und spucken es sanft wieder aus. So bewahrheiten sich seine Bilder als metamorphe Spielwiesen ihrer Betrachter:innen. Als Katharsis in verschiedenster Hinsicht. Seine Kunst, ein spiritueller Prozess. Seine Malerei, Höhepunkte der Präzision. Farblich extravagant, technisch detailverliebt, reizvoll und paradiesisch. Schmückles Werdegang ist lückenlos. Seine Vita gleicht dem klassischen Muster-Lebenslauf eines linear gewachsenen, erfolgreichen zeitgenössischen Künstlers. Einen Zeitpunkt, ab dem er sich in einer wie auch immer gearteten Kunstliga angekommen sah, sieht er rückblickend nicht. Seinen Aufstieg und Platz in der Kunstwelt wohl und resümiert:
„Ich hatte eigentlich von Anfang an, also gleich nach dem Studium, einen sehr guten Start und keine Brüche. Dadurch konnte ich kontinuierlich mit der gleichen Intensität weitermachen. Natürlich waren die ersten Jahre schwieriger und es dauerte, bis ich von der Kunst auch leben konnte. Aber insgesamt, auch im Hinblick auf Stipendien, ging es von Anfang an ziemlich gut und immer stetig nach oben. Ob das der Zuspruch war, den ich erfuhr, das Knüpfen von Kontakten oder die Anzahl der Ausstellungen. Alles entwickelte sich organisch. Ich wurde auch schon früh von Galerien vertreten, die auf einschlägigen Messen vertreten waren. Und ähnlich war das mit dem musealen Präsentieren. Es gab immer eine gute Mischung aus Ausstellungen in Galerien und öffentlichen Institutionen. Bereits in den 90er Jahren konnte ich eine Einzelausstellung in der Hamburger Kunsthalle zeigen. Ich denke, dass sich das alles dann auch ab einem gewissen Alter etwas konsolidiert hat, auf Basis des Geleisteten und der Menge, bei der man präsent war.
Ich bin jetzt 57 und würde sagen, dass die letzten zehn Jahre ideal waren, was tatsächlich beweist, dass es mit kontinuierlicher und progressiver Arbeit gute Chancen am Kunstmarkt gibt. Natürlich braucht man auch Glück, aber ich bin schon so ein Verfechter der Auffassung, dass man gut machen muss, egal was man macht. Ich habe lange und stetig in eine Kerbe geschlagen und bin sehr froh, dass ich die notwendige Geduld hatte, weil ich wusste, da werden jetzt keine Wunder passieren und dass harte Arbeit nötig ist, auch wenn man gefördert wird. Ich habe schließlich auch nicht alles bekommen, was ich gerne gehabt hätte. Aber auf jeden Fall bin ich der Überzeugung, dass je konzentrierter und fokussierter man sich um das kümmert, was einen beschäftigt und das vertieft, um so wahrscheinlicher ist es, dass man damit weiterkommt.“
Ab Anfang Dezember zeigt das Städel Museum eine Einzelausstellung mit Aquarellen von Miron Schmückle. Wie es zur Ausstellung und zum Titel „Flesh for Fantasy?“ kam, erläutert der Künstler wie folgt:
“Das ist jetzt so ein wichtiger Moment. Ich würde sagen meine wichtigste Ausstellung bisher. Sie zeichnet sich seit Längerem ab. Dr. Philipp Demandt, den heutigen Direktor des Städel Museum, kenne ich aus seiner Zeit in Berlin, als er noch für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und später als Direktor der Alten Nationalgalerie arbeitete. Wir kennen uns aus der Berliner Kunstszene. Ich hatte ihm einmal, vor sehr vielen Jahren, in einer Galerie in der Yorkstraße Arbeiten von mir gezeigt und etwas später im Museum. Seitdem entwickelt sich eine enge Freundschaft: Wir haben uns kennen und schätzen gelernt. Und nun machen wir zum ersten Mal etwas gemeinsam. Er hat mich vor einiger Zeit eingeladen, als fünfter Künstler einer neuen Reihe im Städel Museum auszustellen und gleichzeitig die Kuratorenrolle dafür übernommen. Darüber bin ich sehr glücklich, denn es gibt nur wenige Leute, die mein Schaffen so gut kennen wie er. Er kennt meine Arbeit in jeder ihrer Phase, seit ich vor 15 Jahren nach Berlin gezogen bin. Er ist ein exzellenter Kunstkenner und in der Museumsarbeit unglaublich talentiert. Der griffige Titel „Flesh for fantasy“ war dann tatsächlich seine Idee, mit der er als professioneller Ausstellungsmacher einen gelungenen Aufhänger schuf. Dass der Titel einer Komposition Billy Idols entlehnt ist, hatte ich zunächst gar nicht verstanden, weil ich zu dessen populärer Zeit noch in Rumänien lebte und dort nichts von ihm mitbekam. Ich fand diese Transformation aber sehr einfallsreich und sympathisch und bin damit sehr einverstanden. Ich freue mich sehr die Serie Cosmic Attractors (2023) in diesem Rahmen zeigen zu können.“
" Mit seinen hyperrealistischen und zugleich fantastischen Zeichnungen von Pflanzen und Gewächsen reiht sich der Künstler Miron Schmückle in eine kunsthistorische Tradition ein, in der die genaue Beobachtung und Wiedergabe der Natur zentrale Themen sind. Werke von Maria Sybilla Merian oder Georg Flegel und auch das Paradiesgärtlein aus der Sammlung des Städel Museums sind herausragende Beispiele, die mit den feingliedrigen Zeichnungen von Miron Schmückle in Verbindung stehen. Seine Mischwesen aus Pflanzen- und Tierwelt amalgamieren Duft und Gift, Schönheit und Vergänglichkeit, Anatomie und Sexualität zu einem ebenso überzeitlichen wie aus der Zeit gefallenen Gesamtwerk zwischen Wahrheit und Erfindung, Leben und Tod. "
- Philipp Demandt | Direktor des Städel Museums -
Schmückle hat sich gleich mehrfach als Wanderer zwischen den Welten bewiesen: aufgewachsen in Rumänien unter Ceaușescu, heute im vereinten Berlin künstlerischer Akteur und wissenschaftlicher Forschergeist zugleich als starkes Bindeglied zwischen Natur und Kunst wahrnehmbar. Die Kontrapunkte seines Lebens und Werks und ihre Einordnung innerhalb seines Werdegangs sind nur mit autobiographischen Auszügen zu verstehen:
„Ja, ich bin in Rumänien aufgewachsen. Meine Eltern hatten beide Kunst studiert und waren als Lehrer tätig und mein Vater gleichzeitig erfolgreicher Karikaturist. Daher war das Umfeld der Familie der Kunst gegenüber sehr aufgeschlossen. Es herrschte hier ein sehr offenes Verständnis für Kunst und das Künstler-Dasein. Als ich mich Richtung Lyceum entwickelte und der Schulabschluss näherkam, verschwand allerdings die Idee, dass ich Künstler werde. Das hätte ich in Rumänien in der Ceaușescu-Zeit auf keinen Fall gemacht. Erstens gab es eine unglaubliche Konkurrenz um den Studienplatz, was gleichzeitig bedeutete, dass man jemanden an der richtigen Stelle kannte oder man irgendjemandem Protokollgeschenke machte, um überhaupt einen Studienplatz zu bekommen. Die Kunsthochschulen waren zu dieser Zeit also entsprechend miserabel, würde ich behaupten. Das kam für mich nicht in Frage. Vielmehr hatte ich seit meiner Kindheit ein Faible für Naturkunde. Ich konnte mich immer sehr gut zurückziehen in diesem Metier. Die Botanik, die Zoologie, Erdkunde. Das hat mich alles interessiert. Das war alles eine Flucht aus dem sonst restriktiven und überreglementierten Leben. In der Schule hat man auch mitbekommen, dass man in einem Land lebt, in dem man nicht sagen darf, was man denkt. In dem man vorsichtig sein muss, mit wem man spricht, was man redet usw. Also eben Diktatur. Doch das war nicht drakonisch, das hatte so etwas Seichtes und Unangenehmes. Und deswegen war es für mich entspannend, mich so in die Natur zu flüchten. Und daher dachte ich lange Zeit, ich werde wahrscheinlich Biologie studieren.
Erst nach meiner Flucht über Ungarn nach Deutschland im Jahr 1988 waren die Karten neu gemischt. Und dann kam der Gedanke, dass es folgerichtig für mich wäre, Kunst zu studieren, weil ich ahnte, dass da mein größtes Potenzial schlummert. Und in den Naturwissenschaften wäre ich vermutlich dann doch an so trockenen Fächern wie Mathe, Physik oder Chemie gescheitert. Was mir etwas bedeutete in der Biologie war diese unvermittelte Sinneserfahrung, die sich bei mir angereichert hat. Ich war gerne in der Natur, ich bin gut in der Taxonomie, ich bin ein sehr guter Naturbeobachter, aber ich bin kein Mensch, der sozusagen arithmetisch oder chemisch über die Pflanzenwelt forscht. Daher habe ich diese Möglichkeit, diese freie Form der Kunst zu studieren, auch ergriffen, weil es mich sehr beflügelt hat zu sehen: Ich mache es, weil ich es schaffe und nicht weil mein Vater gut vernetzt ist oder wir Beziehungen in irgendeiner Partei oder dem Staatsapparat gegenüber haben.
Die Feststellung, dass das, was aus meiner Hand entsteht, Sinn macht, war natürlich immer wieder beflügelnd. Und so habe ich in Kiel und Hamburg Kunst studiert, hatte so etwas wie eine Assistentenstelle in Russland gehabt und habe mir jeweils viel Zeit gelassen für Experimente wie Performance Art, Fotografie und Installationen. Ich habe mir viele Bereiche angesehen und erst gegen Ende des Studiums damit begonnen, diese botanischen Themen zeichnerisch so sehr zu besetzen. Dass ich schließlich so tief handwerklich einsteige, war nicht absehbar, denn zunächst hatte ich mich in anderen Bereichen gesehen, z.B. in der Installationskunst. Zeichenkurse und Naturstudien waren im Studium nicht meine Lieblingsfächer.
Nach Kiel zog ich nach Hamburg, hatte dort mein Studio und bin 2008 schließlich nach Berlin umgezogen, wo ich heute noch arbeite.“
Kurz vorher, im Jahrgang 2005/06 war der rumänisch-deutsche Künstler als Stipendiat im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia ein Jahr lang zu Gast in Bamberg. Im Wasserschloss, in dem er während seines Aufenthaltes auch residierte, hinterließ er seine künstlerische Handschrift. Sie sorgt seitdem für großes Entzücken und Staunen bei den Besucher:innen. Parallel zu seiner damaligen Ausstellung im Künstlerhaus widmete sich Schmückle unverhofft den vier weißflächigen Medaillons inmitten der barocken Stuckdecke der prächtigen Sala Terrena des Schlosses. Unter dem Titel „De tinctio petalorum 1-4 (2005)“ entstanden vier kreisrunde Werke, die sich als synergetischer Kontrast auf den Millimeter genau im Stuck der Decke manifestieren.
„Tatsächlich bin ich in der Sala Terrena seinerzeit auf diese Stuckdecke gestoßen, die restauriert war, in deren Ecken jedoch vier freie, weiße Flächen auffielen. Offensichtlich gab es auch auf diesen Flächen spätere Malereien. Diese wurden auch nicht abgenommen, aber weiß überdeckt. Und da habe ich tatsächlich in diesem Pflanzenrepertoire der Stuckdecke Elemente eingefügt, die ein bisschen an Vögel erinnern. Das war damals auch eine Anspielung an den Stuckateur, der auch Vogel hieß. Und gleichzeitig fand ich damals diesen einen Satz, den Ian Hamilton Finlay 1991 für seine Arbeit adaptierte: “Let us invite nature and all the virtues to our festival” und der ein Zitat von Saint-Just ist. Der Satz hat mir so gut gefallen, weil er diese Geschichte der Sala Terrena so wunderbar einfing, die ja Türen zum Garten hat, die geöffnet werden können. Das ist architektonisch so gedacht. Man macht die Türen auf und die Natur kann hereinkommen. Das war also meine Herangehensweise, fast also ein Spiel, das mir großen Spaß gemacht hat. So verstand ich diesen Raum.“
Auch die Begeisterung der Direktorin der Villa Concordina, Nora Gomringer, ist ungebremst. Miron Schmückles Zukunft im Städel sei damals wenngleich nicht absehbar, aber doch stets als Möglichkeit gedacht gewesen:
" Miron Schmückle beeindruckte unsere damaligen Kuratoren schon weit vor seiner Zeit als Stipendiat im Künstlerhaus in den Jahren 2005/06. Das Stipendium im Künstlerhaus erhält nur, wer bereits „Reden von sich machen“ konnte. Seine sehr verführerische Art der Ästhetisierung von pflanzlicher, maritimer und zoologischer Welt, mit der er in Bamberg reüssierte, hat sich in den Jahren danach auch sehr erfolgreich in den Galerien und großen Sammlungen abgebildet. Ich glaube, das Kuratorium war sehr stolz darauf, ihn einst ausgewählt zu haben, ja! "
Nicht nur seine Ausstellung im Künstlerhaus damals, auch die Spuren, die er in ihrem Zuge hinterlassen hat, klingen in ihr deutlich nach:
" Meines Wissens, kam die Ausstellung im Hause gut an und verblüffte eben, weil Schmückle sehr bewusst mit dem Ort umging, keine invasive Kunstaktion durchsetzte, sondern sich sehr fein einbrachte. Das Stuck-Programm der Decken in der Villa Concordia ist an sich schon dominant, da hat er gut erfühlt, was passt und was zu viel wäre. Wann immer ich eine Führung im Künstlerhaus mache, sind die Medallion-Malereien von Miron Schmückle in der Sala Terrena ein Thema. Vor allem Kinder und geübte Kunstbetracher bemerken sofort, dass da „etwas anders“ ist und lassen sich davon faszinieren, dass man nie ganz zu Ende erschlossen hat, ob es sich um Tiere, Pflanzen oder rein erfundene Mischformen handelt und ob das, was man da beobachtet, mysteriös ist oder „nur“ schön. "
- Nora Gomringer | Direktorin des Künstlerhauses Villa Concordia -
STÄDEL INVITES: Miron Schmückle – Flesh for fantasy
1. Dezember 2023 bis 14. April 2024
Mehr Informationen zur Ausstellung finden Sie unter www.staedelmuseum.de.