Das jüdische Leben in Erfurt im 19. Jahrhundert bis in die Zeit der
DDR steht im Zentrum der neuen Dauerstellung in der Kleinen Synagoge.
Sie zeigt die wechselvolle Geschichte der Erfurter jüdischen Gemeinde
anhand ihrer Mitglieder und Synagogenbauten, die exemplarisch für
Wachstum und erzwungenen Niedergang der Gemeinde stehen. Die
Ausstellung in der Kleinen Synagoge, An der Stadtmünze 5, kann ab dem
3. März 2023 Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr besucht
werden.
Die neue Ausstellung ersetzt die alte aus dem Jahr
1998. Bei der Neukonzeption wurde gezielt die Besonderheit der Kleinen
Synagoge hinterfragt. „Die jüdische Geschichte wird häufig als
Leidensweg dargestellt“, erklärt Hardy Eidam, Oberkurator des
Stadtmuseums. „Die Gefährdung durch Antisemitismus, die nicht erst
1933 begonnen hat, wird in dieser Ausstellung zwar mit erzählt, sie
soll aber nicht im Vordergrund stehen. Dafür gibt es andere Orte im
jüdischen Netzwerk, auch hier in Erfurt. Die Ausstellung in der
Kleinen Synagoge soll einen Kontrapunkt setzen. Sie zeigt vor allem
den Selbstbehauptungswillen und die Entwicklung der jüdischen
Gemeinde, die die Stadt geprägt hat.“ Kuratorin Katharina Pecht
ergänzt: „Wir wollen hier die Geschichte des Lebens erzählen. Feste zu
feiern ist zum Beispiel wichtiger Bestandteil des jüdischen Jahres.“
So finden sich in der Ausstellung z. B. auch Zeugnisse des
Purim-Kostümfestes und Fotos von Chanukka-Bällen. Auch das jüdische
Vereinsleben, das sich zeitgleich mit der Zunahme antisemitischer
Tendenzen intensivierte, um unter anderem die Identität der Jüdinnen
und Juden zu sichern, wird in der kleinen Schau im Untergeschoss der
Kleinen Synagoge belegt.
„Die Kleine Synagoge ist kein
Täterort“, sagt Hardy Eidam. „Sie ist bzw. war ein Ort der
Versammlung, der Religionsausübung, der Freude.“ Katharina Pecht:
„Genau das soll die Ausstellung auch herausstellen: die Synagoge als
Ort, um sich zu treffen, gemeinsam zu feiern. Genau dieses Leben
wollen wir zeigen.“
Bildschirme laden dazu ein, interaktiv
und spielerisch die Lebensgeschichten von sieben Erfurter Familien zu
entdecken. Dargestellt werden die Familien Cars, Benary, Dublon, Hess,
Unger, Littmann und Stein. „Dieser Teil der Ausstellung soll deutlich
machen, welche Spuren diese Familien in Erfurt hinterlassen haben, die
zum Teil heute noch zu sehen sind,“ sagt Hardy Eidam. Die
Begegnungsstätte Kleine Synagoge liegt unweit der Krämerbrücke im
Zentrum Erfurts. Die 1840 geweihte Synagoge diente nur kurze Zeit als
Gotteshaus der jüdischen Gemeinde, bis 1884 die Große Synagoge am
heutigen Juri-Gagarin-Ring errichtet wurde. In dem klassizistischen
Bau sind der Betsaal mit Toraschrein, die Frauenempore sowie eine
Mikwe erhalten geblieben. Heute ist die Synagoge ein Ort für Konzerte,
Lesungen und Seminare. Dabei stehen Begegnungen zwischen Juden und
Nichtjuden sowie die Aufarbeitung der Geschichte der Gemeinde im
Mittelpunkt. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts bekamen Juden erstmals
seit dem Mittelalter wieder die Möglichkeit, das Bürgerrecht der Stadt
Erfurt zu erlangen. Erfurt wurde ein wichtiger Industriestandort, die
Zahl der Jüdinnen und Juden in der Stadt stieg stetig an – sie fanden
ihren Platz in der Gesellschaft der Stadt, nahmen wichtige Rollen in
Kultur, Wirtschaft und Politik ein. Der Holocaust beendet die
Blütezeit der Gemeinde. Im Jahr 1952 entsteht der einzige
Synagogenneubau der DDR, die Gemeinde verschwindet jedoch fast.