Einen begehrteren Konzerttermin als den 13. Juli hätte sich die Bamberger Universitätsmusik heuer zum Semesterende kaum ausdenken könnte. Erwartbar hochkarätig war die musikalische „Konkurrenz“ an diesem tausendsten Todestag Kaiser Heinrich II., und das nicht nur auf dem Domberg. Dass der Zuspruch trotzdem groß war und im Joseph-Keilberth-Saal der Bamberger Konzerthalle für weitgehend volle Reihen sorgte, spricht für den exzellenten Nimbus, den sich das musikalische Treiben an der hiesigen Universität erworben hat.
Das Konzert stand unter dem Motto „Love Story“ und schien von der Titelauswahl her nur auf eines der gebotenen Werke zuzutreffen, nämlich auf die „Romeo-und-Julia“-Suite Sergei Prokofjews. Aber hat nicht jeder irgendeine Lovestory in seinem Curriculum? Für Peter Tschaikowsky, dessen Violinkonzert u.a. auf dem Programm dieses Abends stand, gilt das gewiss, denn in die Entstehungszeit des Werkes fallen auch das Scheitern einer Ehe und homoerotische Anwandlungen.
Dass Wilhelm Schmidts, Präzeptor der Unimusik, bisweilen auch auswärtige Kräfte nach Bamberg holt, um das außergewöhnliche Niveau seiner oratorischen oder konzertanten Darbietungen garantieren zu können, ist bekannt. Aber dass eine Studentin, die an der Otto-Friedrich-Universität Psychologie studiert, als Geigenvirtuosin mit einem Schwergewicht des Violinrepertoires auftritt, ist schon sehr bemerkenswert.
Anna Wassenberg, so der Name der jungen Geigerin, hat bereits als Achtjährige ihr Violinstudium aufgenommen, mit diversen Orchestern musiziert, mehrere Preise gewonnen und konnte als Mitglied des Bundesjugendorchesters mit einer Dirigentenlegende wie Simon Rattle zusammenarbeiten. Sie begeisterte denn auch von den ersten Tönen jenes großkalibrigen Konzertes an mit ihrem warmen, obertongesättigten Klang, mit einer geradezu meisterlichen Intonation und sauberen Arpeggiati.
Und was sie sich da ausgesucht hatte: mit Tschaikowskys Violinkonzerte einen der drei D-Dur-Blockbuster, an dem sich eigentlich nur die ganz großen Virtuosen messen. Welche Vergleiche man da aushalten muss! Spätestens bei der Kadenz zeigt sich die Wahrheit, denn die ist schonungslos, alles wird offengelegt. Anna Wassenberg meisterte auch diese Passage in einer famosen Manier, und das auf einem Instrument, das nicht von Guarneri & Co. stammt, sondern kaum zehn Jahre alt ist, allerdings von einem ausgezeichneten Geigenbauer angefertigt wurde. Warum eigentlich das Getue um die altitalienischen Multimillioneninstrumente?, fragt man sich da.
Die außerordentlichen Qualitäten dieses Instruments und ihrer glücklichen Besitzerin traten ebenso im zweiten Satz zutage, nicht weniger allerdings durch die sehr feine und behutsame Begleitung seitens des Universitätsorchesters. In diesem zerbrechlichen Satz kommt es wirklich auf jedes Detail an, zugleich ist eine lockere Spannung zu halten.
Der Attacca-Übergang in das virtuose Finale wirkt immer wie eine Befreiung, denn jetzt kommt auch das musikantische Element zum Tragen. Welches Feuer im Orchester, welcher Überschwang im Solo! Und als wäre das nichts, spielt Anna Wassenberg sogar die gefürchteten Flageolett-Töne blitzsauber. Das Fazit dieser außerordentlichen performance (wie man sich heute so cool ausdrückt!) lässt sich in eine Frage kleiden: warum studiert diese Künstlerin eigentlich Psychologie und sitzt nicht in der ersten Geige eines Symphonieorchesters?
Ihr sekundierten ein minutiös präparierter Klangkörper und ein Dirigent, den präzises Austarieren und souveräne Umsicht auszeichnen. Wie gut dieses universitäre Orchester mittlerweile „drauf“ ist, zeigte sich schon bei den ersten Takten und später in der Passage nach der Kadenz, wo die Holzbläser, noch kaum eingebettet in den Orchesterklang, frei in Erscheinung treten und jegliche Unsauberkeit als fatale Schwäche bloßgelegt bekämen.
Orchestertugenden jedweder Art sind auch in Sergei Prokofjews zweiter Suite zu „Romeo und Julia“ gefragt. Allerdings mit einer Erschwernis, die für ein Universitätsorchester als unüberwindbar erscheint, nämlich die riesige Besetzung. Doch kaum zu glauben: die Bamberger schafften es auch, diesen instrumentalen Reichtum aus den eigenen Reihen zu besetzen. Einzige Ausnahme blieb die Harfe, die von auswärts herbeigeholt werden musste. Prokofjew, dieser pfiffige Komponist, hat einen schrillen Klangriegel voller Dissonanzen vor seine Ballettmusik gestellt, allein dafür braucht es schon die Riesenbesetzung.
Doch dann folgen fünf höchst originelle Szenen, bei denen orchestrale Qualitäten gefordert werden. Und natürlich ein Dirigent, der zu motivieren weiß. Wer Wilhelm Schmidts einmal bei Proben zugeschaut hat, weiß, wie inspirierend er das kann. Der Universitätsmusikdirektor und in dieser Funktion Leiter von vier Vokal- und Instrumentalensembles der Otto-Friedrich-Universität führt mit sehr klarer und beherrschter Gestik und trefflichen Impulsen durch die Klanglandschaften. Erwähnen wir nur die Nummer vier mit dem schlichten Titel „Tanz“, welch leichter und charmanter Genuss! Geradezu ergreifend dann der Schluss, die Szene mit Romeo am Grabe Julias.
Mit Leonard Bernsteins „West Side Story“ als wirkungsvollem Abschluss eines Symphoniekonzertes kann eigentlich nichts schiefgehen, so möchte man meinen. Aber diese „Symphonic Dances“ warten mit Anforderungen auf, die eben doch erheblich hinausgehen über das klassische klangliche und stilistische Repertoire. Da groovt es, die Rhythmen spielen verrückt, das Schlagzeug sowieso. Wen darf man hier angesichts solcher Darbietungen hervorheben bzw. für ein Sonderlob herausgreifen, ohne andere im Schatten stehen zu lassen?
Die ausgezeichnet besetzte Streichergilde, die hellwache Perkussion oder die bei Bernstein besonders geforderten Blechbläser, zumal die drei Posaunen? Nein, es ist vor allem der Gesamteindruck, den dieser harmonisch zusammengewachsene Klangkörper vermittelt, und der zu Recht auf enthusiastischen Beifall stieß.