
Die aktuelle Ausnahmesituation hat viele Bereiche getroffen und tut dies noch immer. Sie war und ist für Kulturschaffende und Kulturbetriebe eine besondere Herausforderung, die so manchen kulturpolitischen Auftrag verschob, sowie den gesamten Kulturmarkt bis aufs Mark erschütterte. Noch immer gelten besondere Rahmenbedingungen, droht eine unberechenbare Dynamik. Und dennoch ist nun Zeit zum Aufatmen. Zeit für eine Zwischenbilanz und Draufsicht. Zeit für einen Ausblick nach vorne. Art5drei hat nachgefragt, bei jemandem, der es wissen muss. Was machte und macht Corona mit der Kultur. Was trägt die Kulturpolitik wie bei? Wie hat der Kulturbetrieb agiert? Und wie geht es weiter, wo die Zukunft noch so ungewiss:
Staatsminister Bernd Sibler:
Um den Kulturbetrieb zu stabilisieren, haben wir ein Bündel an Maßnahmen, die größtenteils in enger Abstimmung mit der Freien Szene und den Verbänden entstanden sind, aufgelegt. Dabei war es uns wichtig, Kultur in ihrer Breite abzusichern: So gab es für Künstlerinnen und Künstler zunächst das Künstlerhilfsprogramm, das Ende 2020 vom Soloselbstständigenprogramm abgelöst wurde. Damit sollen mit einem sog. „Unternehmerlohn“ coronabedingt entfallene Erwerbseinnahmen kompensiert werden. Es hat zum Ziel, die private wirtschaftliche Existenz sowie die privaten Lebenshaltungskosten der Betroffenen zu sichern.
Mit dem Stipendienprogramm unterstützen wir bis zu 5.000 Künstlerinnen und Künstler in der Anfangsphase ihres Schaffens mit einem Stipendium zu je 5.000 Euro. Die Stipendien sollen den Freiraum für künstlerisches Arbeiten mit dem damit verbundenen geistigen, kreativen, zeitlichen und materiellen Aufwand ermöglichen.
Um Strukturen des Kulturbetriebs aufrechtzuerhalten, fördern wir mit einer Finanzhilfe von bis zu 300.000 Euro im Rahmen des Spielstätten- und Veranstalterprogramms Träger kleinerer und mittlerer kultureller Spielstätten sowie Kulturveranstalter ohne eigene Spielstätte, bei denen aufgrund der Corona-Pandemie existenzbedrohende Liquiditätsengpässe bestehen. Außerdem erhalten Laienmusikvereine, die Mitglied in einem der 22 bayerischen Dachverbände der Laienmusik sind, im Rahmen des Hilfsprogramms für die Laienmusik, eine finanzielle Unterstützung von derzeit bis zu 1.000 Euro. Für jedes weitere Ensembleeines Vereins erhöht sich die Summe um zusätzlich bis zu 500 Euro. Neben diesen großen Hilfsprogrammen wurden auch finanzielle Stabilisierungshilfen für den institutionellen Zuwendungsbereich und die staatlichen Kunsteinrichtungen eingerichtet und faire Lösungen für unsere zahlreichen Förderempfänger im Kulturbereich gefunden. Dass man nicht für jeden individuellen Fall die perfekte Lösung bieten kann, ist klar. Wir waren aber im ständigen Austausch mit den Verbänden und der Freien Szene und haben nach deren Rückmeldungen und Anregungen nach Möglichkeit die Hilfsprogramme immer wieder angepasst und erweitert, damit noch mehr Kunst- und Kulturschaffende Hilfe erhalten konnten. Auch die Zusammenarbeit mit Kommunen und Bund war sehr konstruktiv. Erst kürzlich haben zahlreiche Kommunen auf mein Schreiben hin ihr Interesse und ihre Unterstützung für unseren Kultursommer „Bayern spielt“ gezeigt und uns eine Vielzahl von nutzbaren Flächen im Freien gemeldet, die wiederum über die Plattform „Bayern spielt“ Kunst- und Kulturschaffenden für ihre Projekte und Kulturveranstaltungen zur Verfügung gestellt werden können. Zudem unterstützt der Bund in enger Abstimmung mit den Ländern mit seinem „Sonderfonds für Kulturveranstaltungen“ Kulturveranstalterinnen und -veranstalter mit bundesweit insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Auch davon erhoffe ich mir wichtige Impulse und Stabilisierungen für das kulturelle Leben im Freistaat insgesamt.
Staatsminister Bernd Sibler:
Das Kunstministerium versucht, wie bereits erwähnt, mit einer Vielzahl von Hilfsmaßnahmen die pandemiebedingten Einnahmeausfälle im Kunst- und Kulturbereich so gut, es geht, auszugleichen. Diese Hilfsmaßnahmen wurden bis Ende 2021 verlängert. Deshalb lassen sich noch keine Angaben zum Umfang des finanziellen Aufwands machen. Im Haushalt 2021 sind für den sogenannten „Rettungsschirm Kunst“ zur Finanzierung dieser Hilfsprogramme und Maßnahmen 284 Millionen Euro vorgesehen.
Staatsminister Bernd Sibler:
Natürlich habe ich den Reichtum des kulturellen Lebens, den wir hier in Bayern gewohnt sind, vermisst. Ich muss aber auch sagen, dass unsere Kreativen im Freistaat während der Pandemie Großartiges geleistet haben und mit alternativen Formaten und digitalen Präsentationsmöglichkeiten immer wieder einen Weg zu ihrem Publikum gefunden haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber natürlich ersetzt nichts den direkten Kunstgenuss vor Ort, die besondere Atmosphäre in einem Konzert- oder Theatersaal, den Zauber des Augenblicks. Deshalb freue mich jetzt umso mehr auf ein fulminantes Comeback von Kunst und Kultur im Freistaat. Ich persönlich habe die neuen Öffnungen im Veranstaltungsbereich mit einigen Theater- und Premierenbesuchen begleitet. Erst kürzlich durfte ich wieder die Europäischen Wochen Passau eröffnen. Das war ein ganz besonderer Freudentag für mich als Kunstminister und ein wegweisendes Signal. Mit unserem Kultursommer „Bayern spielt“ machen wir die Menschen wieder auf das facettenreiche Kulturleben in allen Regionen Bayerns aufmerksam, animieren zu Veranstaltungsbesuchen und zeigen, was wieder möglich ist.
Staatsminister Bernd Sibler:
In der Tat sind in den letzten Monaten vermehrt digitale, aber auch alternative Präsentationsformate entstanden, wie zum Beispiel Wohnzimmer- und Balkonkonzerte oder Ausstellungen in Impfzentren. Im digitalen Bereich entstand beispielsweise ein breites Repertoire an virtuellen Museumsrundgängen, Streaming-Angeboten der Theater oder Online-Konzerten. Für die Zukunft können solche Formate eine bereichernde Ergänzung der analogen Kulturangebote sein. Ein großes Potenzial dieser neu gewonnenen Erfahrungen sehe ich auch im Bereich der Kulturvermittlung. Dies unterstützen wir beispielsweise mit einer Online-Veranstaltungsreihe zur digitalen Kulturvermittlung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften von Museen, Bibliotheken, Archiven, Theatern und anderen Kulturinstitutionen Informationen und praxisbezogene Methodentrainings zu Querschnittsthemen der Digitalisierung und fachspezifischen Herausforderungen anbietet. Damit begleiten wir die Einrichtungen auf ihrem Weg in die digitale Transformation. Was mich auch beschäftigt: die kommenden Generationen. Um das ungeheure kreative Potenzial Bayerns auch weiterhin auszuschöpfen, müssen wir vor allem auch unsere Jugend begeistern und dafür die neuen technischen Möglichkeiten erschließen. Stichworte sind dabei Vernetzung, Kooperation und gegenseitige Befruchtung auf allen Ebenen in engem Zusammenwirken von Kultureinrichtungen, Bildungseinrichtungen und (Kunst-)Hochschulen, aber auch mit Kommunen und der Wirtschaft. So werden wir es schaffen, eine Kulturnation zu bauen, die auf einem reichen Erbe beruht und dynamisch in die Zukunft schreitet.
Staatsminister Bernd Sibler:
Es bestand und besteht breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens, dass gegen eine Krise wie die Corona-Pandemie nicht angespart werden kann. Wir finanzieren im Bereich Kunst und Kultur umfangreiche Hilfsmaßnahmen, die, wie bereits erwähnt, alle bis Ende 2021 verlängert werden. Ich bin daher zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, die finanziellen Herausforderungen, vor die uns die Pandemie stellt, erfolgreich zu meistern – unabhängig davon, wie lange die Pandemie noch dauert. Ob die Hilfsmaßnahmen pandemiebedingt auch über das Jahr 2021 hinaus verlängert werden müssen, werden wir sehen.
Staatsminister Bernd Sibler:
Im Zentrum von „Bayern spielt“ steht eine Mitmach-Plattform mit Lotsenfunktion. Sie soll möglichst vielen Kulturveranstaltern auf allen Ebenen – Kommunen, Staat, Freie Szene, gemeinnützige und privatwirtschaftliche Veranstalter – die Möglichkeit bieten, ihr Kulturangebot so zu präsentieren, dass Besucherinnen und Besucher dieses leicht finden können. Mittlerweile stehen bereits rund 450 Veranstaltungen und an rund 140 verschiedenen Orten in ganz Bayern auf der Plattform. Außerdem stellt die Plattform für Kulturveranstalter ein umfassendes Serviceangebot zu Fördermöglichkeiten, nutzbaren Flächen und aktuellen Informationen zu Hygieneanforderungen zur Verfügung. Jeder Anbieter von Veranstaltungsflächen kann seinen Spielort selbst eingeben. Interessierte Künstlerinnen und Künstler sowie Veranstalterinnen und Veranstalter suchen eine für sie passende Fläche und vernetzen sich direkt mit dem jeweiligen Flächenanbieter. Entsteht aus diesem Kontakt ein Kulturangebot, wird dieses – neben den bereits für 2021 geplanten Kulturangeboten – auf die Plattform gestellt. So soll für die Bevölkerung ein Veranstaltungskalender wachsen. Zusätzlich setzt jeder Veranstalter einen Ticket-Link, über den das Ticket bequem erworben werden kann. Über eine Umkreissuche haben Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, alle Veranstaltungen in ihrer Nähe zu finden. Gleichzeitig kann man nach der für sie passenden Kategorie bzw. dem passenden Genre suchen. So wollen wir mit dem Format „Bayern spielt“ Lust auf Kultur machen und die Möglichkeit bieten, dass sich Künstlerinnen und Künstler und ihr Publikum wieder direkt begegnen.
Staatsminister Bernd Sibler:
Die Bayerische Staatsregierung geht bei den Öffnungen konsequente Schritte. Als mit die ersten in Deutschland haben wir kulturelle Veranstaltungen in Innenbereichen wieder ermöglicht.
Seit dem Ministerratsbeschluss vom 18. Mai 2021 sind auch Kulturveranstaltungen im Freien wieder möglich. Im Juni 2021 hat der Bayerische Ministerrat weitere wichtige Lockerungen für Kunst und Kultur beschlossen: So sind u.a. kulturelle Veranstaltungen im Freien für bis zu 1.500 Personen möglich, von denen bis zu 200 stehend ohne festen Sitzplatz mit einem Mindestabstand von 1,5 m und die übrigen mit festem Sitzplatz zugelassen werden dürfen. Ich bin zuversichtlich, dass bei einer weiterhin positiven Entwicklung der Infektionszahlen auch weitere Öffnungsschritte möglich sind. So wird ein Aufbruch aus der Pandemie heraus wieder möglich. Die Rahmenbedingungen für einen kulturreichen Sommer sind also gesetzt. Der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen rechnet übrigens erst frühestens ab dem 1. August 2021 mit mehr als 500 Personen.
Staatsminister Bernd Sibler:
Meines Erachtens bestand eine der großen Herausforderungen der Corona-Pandemie – neben den tragischen Verlusten von Angehörigen und Freunden – in dem auch rechtlich geforderten Rückzug des Einzelnen aus dem öffentlichen in den privaten Raum, die Isolation des Individuums zum Wohle der Gemeinschaft. Das war zum Schutze der Bürgerinnen und Bürger und zur Senkung der Infektionszahlen auch eine notwendige Maßnahme. So konnte der Ansteckungskreislauf mit unterbrochen werden. Doch klar ist doch auch: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er braucht die Gesellschaft seiner Mitmenschen, um sich auszutauschen, weiterzuentwickeln, sich zu erholen und Freude zu teilen. Das Digitale ist dafür meist nur ein schwacher Ersatz. Ich denke, dass das Gefühl der Insolation durchaus für die meisten eine schwierige Situation und für manche auch ein traumatisches Erlebnis war und ist.
Ich sehe aber gerade in der Kunst eine große Chance, diesen Erfahrungen zu begegnen und sie zu verarbeiten. Kunst ist aus meiner Sicht ein idealer Wegbegleiter zur Bewältigung von Krisen. Sie vermag es, wieder einen unmittelbaren Kontakt zwischen den Menschen herzustellen. Sie holt die Menschen wieder raus aus ihren Wohnungen und Häusern, schafft Orte der Begegnung und des Austausches. Sie kann auf künstlerische Weise den Umgang mit Traumata aufgreifen, eine Bewusstwerdungsprozess anstoßen und Lösungsansätze liefern. Gerade mit unserem Kultursommer „Bayern spielt“ möchten wir ein Comeback von Kunst und Kultur und damit ein Comeback des Miteinanders und der Lebensfreude feiern. Mit „Bayern spielt“ leiten wir die Rückkehr aus der Corona-Krise ein. Des Weiteren unterstützen wir Kunst- und Kulturschaffende sowie Kulturinstitutionen auch weiterhin mit unseren Hilfsprogrammen und unseren regulären Förderprogrammen.
Staatsminister Bernd Sibler:
Gerade im Juli ist mein Kalender gewohnheitsmäßig sehr eng getaktet. Darunter befinden sich auch viele Kulturtermine. Wir werden den Kultursommer „Bayern spielt“ im Rahmen der Eröffnungswoche am Königsplatz in München offiziell einläuten. Ich werde die nächsten Wochen in Einzelterminen 15 Persönlichkeiten und Institutionen, die sich in herausragender Weise für die Denkmalpflege engagiert haben, mit der Denkmalschutzmedaille auszeichnen. Außerdem erhalten die Künstlerinnen und Künstler des ersten Calls ihre Stipendien aus dem Stipendienprogramm. Zudem stehen eine Reihe von Ausstellungs-, Festspiel- und Konzerteröffnungen an, darunter bspw. die Eröffnung der Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel oder der neuen Konzertreihe „Klassik und Literatur“ auf Schloss Eggersberg. Außerdem erhalten im Juli fünf Künstlerinnen und Künstler bzw. Ensembles den „Bayerischen Staatspreis für Musik“ und zehn Ehrenamtliche aus dem bayerischen Laienmusikbereich die „Ehrenamtsmedaille für herausragende Verdienste um die Laienmusik“. Zu guter Letzt besuche ich Ende Juli noch die Eröffnungsvorstellung „Der fliegende Holländer“ der Bayreuther Festspiele und das Jazzfest Passau, um nur einige Termine im Juli zu nennen. Sie sehen, es wird auch für mich ein Sommer der Kultur, und darauf freue mich sehr.
Staatsminister Bernd Sibler:
Die Bayerische Staatsregierung hat bereits in den Zeiten vor der Corona-Pandemie Umfangreiches für den Kunst- und Kulturbetrieb geleistet: So sind beispielsweise die diesbezüglichen Ausgaben des Freistaats Bayern von 2017 in Höhe von rund 720 Millionen Euro auf rund 774 Millionen im Jahr 2019 gestiegen. Darüber hinaus stellen wir – wie erwähnt– im Haushalt 2021 für den Rettungsschirm Kunst zur Finanzierung Corona-bedingter Maßnahmen zusätzliche 284 Millionen Euro zur Verfügung.
Neben dem Freistaat haben nach der bayerischen Verfassung auch die Gemeinden die Aufgabe, Kunst und Kultur im Freistaat zu fördern. Das Land und die Kommunen, die vorrangig für die örtliche Kulturpflege zuständig sind, finanzieren Kunst und Kultur in Bayern etwa zur Hälfte. In diesem engen Fördernetz und diesen hohen Summen spiegelt sich die große Wertschätzung des Kulturstaates Bayern für seine Kunst- und Kulturschaffenden. Auch für die Zeit nach der Corona-Pandemie werde ich mich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass Kunst und Kultur ihren hohen Stellenwert im Freistaat Bayern behalten.