„Utensilien aus unserer Privatsphäre“
Bergmann und Zitta in der Kunstvilla
veröffentlicht am 26.11.2014 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Man muss es einfach einmal sagen: Die am letzten Maiwochenende eröffnete Kunstvilla im KunstKulturQuartier ist eine Bereicherung der an Museen keinesfalls armen Stadt Nürnberg und wird entsprechend wahrgenommen. Allein innerhalb des ersten Vierteljahres ließen sich über 15.000 Besucherinnen und Besucher von den Exponaten in der denkmalgeschützten Villa begeistern. Das von Andrea Dippel geleitete Museum legt den Fokus auf die regionale Kunst von 1900 bis heute, die sie auf nahezu 600 Quadratmetern in Szene setzt.
Der Bestand der Kunstvilla umfasst über 1500 Werke, aus welchem in einer Dauerausstellung nahezu 100 Arbeiten gezeigt werden, die im Erdgeschoss und im Obergeschoss einen abwechslungsreichen Parcours durch das Kunstgeschehen in der Region erlauben. Vertreten sind beispielsweise Bildnisse von Hans Werthner (1888 in Nürnberg geboren, 1955 in Bamberg gestorben), der 1919 die Sängerin Emma Brunck portraitierte, während der Nürnberger Max Söllner 1953 die „Frau in Rot“ einfängt und Adolf Kertz mit einem eleganten Selbstbildnis. Kertz, der der Nürnberger Malerfamilie entstammte und in Frankreich fiel, gehörte, wie der Fürther Julius Graumann, der Dachauer Schule an, die das Leben der Dachauer Bauern festhielt.
Der Schönheiten der fränkischen Landschaft nahmen sich Andreas Gad („Marienberg im Schnee“, 1917) an und, siebzig Jahre später, der aus Rehau gebürtige Peter Angermann. Stadtansichten steuern Hermann Thomas Schmidt („Straße in der Dämmerung“, um 1950) und Udo Kaller bei, während die aktuelle Nürnberger Kunstszene mit Arbeiten von Michael Munding, Oliver Boberg, Fredder Wanoth und Jochen Pankrath (geboren 1981 in Roding) Akzente setzt. Und auch der vielleicht bekannteste unter den Nürnberger Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts, der aus Amberg gebürtige Michael Mathias Prechtl, fehlt nicht. Ihm kann man bei der Arbeit im Atelier, vor der Staffelei sitzend, zusehen: „Dr. Schwemmer wird gemalt“, Kunstharz auf Leinwand, ist 1972/73 entstanden.
Seit dem 23. Oktober wird die erste Sonderausstellung (sie läuft noch bis zum 8. März) im Dachgeschoss der Kunstvilla gezeigt. Reiner Bergmann und Reiner Zitta verneigen sich vor Marcel Duchamp und begeben sich auf die Spuren des Objekt- und Konzeptkünstlers, indem sie „Utensilien aus unserer Privatsphäre“ präsentieren. Wie Duchamp in seinen Ready-mades spielen Zitta und Bergmann mit vorgefundenem Material, mit Objects trouvés.
Zitta, im Sudetenland geboren, ist in Hof aufgewachsen und seit fast vier Jahrzehnten in einer Mühle in Pühlheim bei Altdorf zuhause, die er künstlerisch als Environment ständig weiterentwickelt. Ähnlich liegt der Fall bei Bergmann. 1950 in Nürnberg geboren, lebt und arbeitet er im Atelierhaus „Borgo Ensemble“ an der Stadtgrenze zwischen Nürnberg und Fürth, das er fortwährend eine begehbare Großskulptur verwandelt. Die beiden Künstler sind lange schon befreundet und geben einen Überblick ihres Schaffens aus den vergangenen drei Jahrzehnten.
In den Arbeiten der beiden spielt immer wieder das Thema der Zweit- und Drittverwendung von Dingen, die zuvor aus dem Verwertungskreislauf herausgefallen sind, eine Rolle. So schenken sie – ganz im Sinne Duchamps – ausrangierten Alltagsgegenständen frische Sinnebenen und geben zugleich ironische Kommentare zur konsum-orientierten Wohlstandsgesellschaft ab. Reiner Zitta bezieht Volkskunde und die Kunst der Naturvölker mit ein, Reiner Bergmann ist eher der europäischen Kunstgeschichte seit den Sechzigern verpflichtet. So kann also bei Zitta alles Material, ob es sich nun um Staniolpapier, Wachs, Orangenschalen, um Dosen oder Draht handelt, zu einem vollintegrierten Bestandteil seiner Arbeiten werden. Bergmann indes setzt auf die Verfremdung der vorgefundenen Gegenstände. Aus einem ausgemusterten Schrank macht er eine „Putzstelle“ (2005), leere Plastikflaschen verwandeln sich in „Reinigungslichter“ (2001).
Durch ihre bewusste Anordnung im Raum antworten die Arbeiten Bergmanns jenen Zittas, und umgekehrt. Ausgewählte Werke treten zudem im Erd- und im Obergeschoss mit der regionalen Dauerausstellung in den Dialog. In den Dialog mit Zitta können Interessierte am 18. Januar innerhalb eines Workshops treten. Der Atelierbesuch bei Reiner Bergmann fand bereits im November statt. Am 10. Dezember wird Bergmann in der Villa lesen, eine Woche später Zitta.
Zu dem umfangreichen Begleitprogramm gehören weiters Kuratorenführungen sowie die Reihe „Begegnungen in der Kunstvilla“. Das Gespräch mit Irina Gossmann, Geschäftsführerin eines Second-Hand-Ladens, nimmt am 3. Dezember den „Verwertungskreislauf“ in den Blick. Um „Recyceln in der Kunst und im Alltag“ geht es am 28. Januar im Gespräch mit Marga Leuthe, der ehrenamtlichen Leiterin der Siebdruckwerkstatt im KunstKulturQuartier Nürnberg. Zum Ausklang widmet sich die Kunsthistorikerin Carla Orthen am 25. Februar in einem Vortag dem Thema „Alternative Kunsträume“. Beginn der Mittwochs-Begegnungen ist jeweils um 18.30 Uhr. Eine wunderbare Möglichkeit, sich den Arbeiten Zittas und Bergmanns und dem, was sie aussagen wollen, anzunähern.
Copyright Fotos:
Außenansicht der Kunstvilla © 2mcon, Bamberg
Raum I, von links nach rechts: Peter Angermann: Mai [oder Kalchreuth] 1988 - 1999; Jakob Dietz: Landschaft, 1953; Jakob Dietz: Straße mit Plakatsäule, 1952; Hermann Thomas Schmidt: Straße in der Dämmerung (Bayreuther Straße), um 1950
Reiner Bergmann in seinem Atelier © Kunstvilla im KunstKulturQuartier, Stephan Minx, Nürnberg
Reiner Zitta in seinem Atelier © Kunstvilla im KunstKulturQuartier, Stephan Minx, Nürnberg