Lese- & Hörstoff

Nachtfahrten - Michael Wollny

(Act/Edel)

veröffentlicht am 02.12.2015 | Lesezeit: ca. 3 Min.

Zehn Jahre nach dem Aufsehen erregenden Debüt, dem Trioalbum „Call It [em]“, und einige Alben reicher, hat der 37-jährige Ausnahmepianist inzwischen ein facettenreiches, beeindruckendes Ouevre vorzuweisen, das gleichermaßen Wandlungsfähigkeit wie philosophisches Feingespür beweist. Der musikalisch Suchende hat auch für das neue Album „Nachtfahrten“ eine interessante Nische künstlerischen Ausdrucks gefunden, setzt auf die Nacht als klassisches Motiv der Schwarzen Romantik und überträgt es in die zeitgenössische, improvisationsgeleitete Musik. Die Stille, so Wollny, sei der Punkt, an dem das Album beginnt und wohin es immer wieder zurückkehrt. Wenn Dunkelheit einkehrt enstehe Platz. Und insofern sei die Nacht der ideale Raum für alles, was kreiert wird. Seine Klänge aus der im Grunde ruhigen Dunkelheit sind entsprechend vielgestaltig. Durch sämtliche Kategorien der Romantik und darüber hinaus dekliniert er auf seinem Klavier: Sehnsucht, Wanderlust, Fernweh, Spuk, Meditation, Melancholie, Traum und Wirklichkeit. Die Kompositionen reichen durch alles hindurch, wechseln die Stimmungen nach Phasen des Treibens. Wollny will darstellen, was die Nacht mit einem macht und tut das auf geniale und vielfältigste Weise. Schritt für Schritt entscheiden er, Schlagzeuger Eric Schaefer und der neue im Trio, Bassist Christian Weber, wo die musikalische Reise hingeht. Dabei reist der Jazzprofessor mit einer beachtlichen inneren Ruhe, durchgehend ungemein feinfühlig und immer mal wieder mit erhöhtem Puls und leichter Aufregung. Er zeichnet Nuancen von Licht im Wechsel und damit eine sehnsuchtsvolle und wahrlich romantische Landschaft, in und mit der er treibt und in der sich musikalisches Genie fruchtbar entfaltet. Nur hin und wieder scheint das Abgründige hindurch und tritt in den Vordergrund. Klangvolle Szenen, in sich horchend, zurückgenommen und mehrheitlich „adagio“, bauen die musikalische Architektur dieses Albums. Wollny selbst spricht von großen Räumen und dem gemeinsamen Atmen, von einfachen Akkorden, die große Wanderungen machen. Zweifelsohne gelingt mit „Nachtfahrten“ eine sehr sehr spannende und angenehm offene Interpretation der Tradtition der Nocturne, mit gesundem Respekt für Gabriel Fauré oder Frédéric Chopin, dessen Vielfalt an Ausdruckskraft sich Wollny zum Vorbild macht, mit dem Selbstvertrauen diese unterhaltsame Musikform mit der Klangwelt des zeitgenössischen Klaviertrios aufzurollen.

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