Mixtur

Schnitt

Bierstadt Bamberg

veröffentlicht am 01.07.2013 | Lesezeit: ca. 7 Min.

Bamberg und Bier, da besteht kein Zweifel, gehören zusammen wie Topf und Deckel. Stadt und Einwohner empfehlen dem, der Bamberg erleben will, die zahlreichen Brauereien und Bamberger Biere. Suchtberater sehen das allerdings kritisch.

Stimmengewirr und süffige Bierschwaden füllen den traditionellen Gastraum der ‚Brauerei Spezial‘. Das Lachen, das auf einen Scherz folgt, hallt lauter, als es – nüchtern betrachtet – diesem angemessen wäre. Man schimpft auf die Politik, dann prostet man sich zu. Dann: Fußball, Bayern München, Dortmund, Pokal, Derby, Prost. Dann wieder ein Scherz. Dann: erneute Bestellung in derbem Fränkisch. Rauchbier – für Alle.

Die Brauerei Spezial, gegründet im Jahr 1536, ist bekannt für ihr Rauchbier und exemplarisch für die neun Bamberger Brauereien. Diese haben alle, so wie das Bier selbst, eine lange Tradition in Bamberg. Im Fränkischen Brauereimuseum erfährt man, dass Bischof Otto der Heilige schon im Jahr 1122 dem Kloster Michelsberg das Braurecht verlieh.

Im Gastraum der Brauerei Spezial fragt ein Tourist die Kellnerin, ob es stimme, dass Rauchbier erst nach dem dritten Glas schmecke.„Es schmeckt schon nach dem ersten“, sagt die Kellnerin und serviert wenig später.

Schnitt: Laut Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sterben jährlich in der Bundesrepublik 74 000 Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum, 9,5 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 64 Jahren haben Probleme mit Alkohol, 1,3 Millionen sind abhängig. Alkohol ist damit das am weitesten verbreitete Suchtmittel in Deutschland. Jährlich verursachte Kosten: 24 Milliarden Euro. Auf diese Zahlen weist Dr. Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen), immer wieder hin. Er möchte dabei nicht zur Abstinenz verdonnern, sondern plädiert für einen reflektierten Umgang.

In einer anderen der neun Brauereien, der Brauereigaststätte Fässla-Stuben, bestellt gerade eine Touristin, nicht vertraut mit den Bamberger Trinkgewohnheiten, ein kleines Bier. „Des gibt’s hier nedde“, fränkelt die Kellnerin. Also bestellt die Touristin ein großes. Später wird der Chef, Roland Kalb, aufklären, dass ein kleines Bier, ein so genannter „Schnitt“, nur bestellt werden dürfe, nachdem man schon mindestens ein „Seidla“, also ein 0,5-Liter-Glas, getrunken habe.

Ein Schnitt, also ungefähr 0,3 Liter Bier haben einen ungefähren Reinalkoholgehalt von 13 Gramm. Der Grenzwert für einen vergleichsweise risikoarmen Konsum liege bei Frauen bei 12 bis 13 Gramm, bei Männern ungefähr bei der doppelten Menge, so Gaßmann. Diese Zahlen orientieren sich an den Studien der WHO (World Health Organisation). Das würde bedeuten: Für Frauen, ein Schnitt, für Männer ein Seidla.

Kalb sagt zu den Zahlen der BzgA, dass diese von harten Spirituosen her rührten. Am Bier liege es nicht. „Ich habe Gäste, die sind 85 und kommen jeden Tag und trinken fünf oder sechs Gläser“, erzählt er. Gaßmann sagt dazu: „Das gesundheitliche Problem am Alkohol ist der Alkohol“. In welcher Form dieser in den Körper gelange, spiele keine Rolle.

Ein Freund des Fässla-Chefs, der am Tisch vor einem Seidla sitzt, sagt: „Bier ist in Bamberg Grundnahrungsmittel“.

Das bestätigt auch Gaßmann: „Unter bestimmten Vorzeichen ist Alkohol ein Lebensmittel. Natürlich ist er Kulturgut und ein Genussmittel, aber er ist auch eine Droge und ein Zellgift. Ob Alkohol ein Kulturgut ist, sagt nichts darüber aus, wie er als Zellgift wirkt“.

Wer regelmäßig mehr als den Reinalkohol-Grenzwert konsumiert, könne zumindest statistisch davon ausgehen, dass irgendwann „die Problemparty losgeht“. Zu dieser sind dann die verschiedensten Organschäden eingeladen.

Die Stadt Bamberg selbst bewirbt die reiche Bierkultur und lädt dazu ein, zum Beispiel bei der Bierschmecker-Tour, acht verschiedene Brauereien zu erkunden.
Der Sozialpädagoge Jörg Schneider sieht in dieser Verwendung des Kulturbegriffs unter anderem eine Werbestrategie. „Man muss die Alkoholproblematik ernst nehmen ohne zu hysterisieren“.

Ihn stört, dass in dieser Frage meistens skandalisiert oder verharmlost wird. Dieselbe Zeitung, die Artikel über die Problematik von komasaufenden Jugendlichen oder Herointoten schreibe, würde in der nächsten Ausgabe das örtliche Bierfest bewerben. Der Grat zwischen Abhängigkeit und regelmäßigem Konsum, zwischen Verteufelung und Verharmlosung sei schmal. Man müsse immer bei sich selbst anfangen, den eigenen Konsum hinterfragen und dann selbst entscheiden, ob man so weiter, oder einen Schnitt machen möchte.

Gaßmann sieht die Verwendung des Kulturbegriffs in dieser Frage ebenfalls kritisch. Denn der Begriff Kultur ließe einen sofort denken, „es kann nicht schlecht sein. Es machen alle“. „In Afghanistan gehört zum Beispiel der Konsum von Opium oder das Schlagen der Frau in diesem Sinn zur Kultur“, so Gaßmann.

Ulrike Siebenhaar, Leiterin der Pressestelle der Stadt Bamberg, sagt zunächst zu den Zahlen der BzgA: „Sie haben überhaupt nichts mit Bamberg zu tun“.

In einer späteren schriftlichen Antwort gesteht sie allerdings die Schwierigkeiten ein. Sie warnt aber davor, zwei Extreme in einen Topf zu werfen. Die Stadt Bamberg bemühe sich darum, bei Veranstaltern und Gastronomen Sensibilität für dieses Thema zu schaffen und Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Das Hauptproblem dabei sei „die durchaus hohe gesellschaftliche Akzeptanz für Alkohol“.

Diese Akzeptanz sei gerade in südlichen Regionen Deutschlands am Höchsten, erklärt Gaßmann. Wie Schneider rät auch er zu einem bewussten, reflektierten Umgang: „Mach es bewusst! Genau dann, wenn Du es willst! Denke darüber nach: Wie oft und warum mache ich das überhaupt?“.
Pünktlich um 23 Uhr schließt schließlich, nach einer Öffnungszeit von über 15 Stunden, die Braugaststätte Fäßla. Allerdings nicht, ohne den Gästen noch eine letzte Möglichkeit für einen Schnitt zu geben.

Information:

Bierfakten zu Bamberg:
- zehn Braustätten
- 50 verschiedene Biersorten
- Nur eine einzige Brauerei hat ein Alkoholfreies im Angebot
- Bierkonsum pro Kopf in Bamberg 280 Liter (bundesweit 107,2 Liter in 2011 nach einer Schätzung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V.)

Träger des Bamberger Bierordens:
2003: Werner Hipelius
(Bürgermeister, Bamberg)

2004: Edgar Sitzmann
(Bezirkstagspräsident)

2005: Andreas Christel
(TKS Bamberg)

2006: Johannes Schulters
(Fränkisches Brauereimuseum)

2007: Christian Fiedler
(Geschichte der Bamberger Brauereien)

2008: Gerhard C. Krischker
(Bamberger Mundartpoet)

2009: Ursula Blenk, Robert Pawelczak, Frank Wetzel (Bierregion Franken)

2010: Günther Heidenreich
(ehemaliger Inhaber Fa. Heinrich Leicht)

2011: Günter Ruhland
(Brauereikultur-Verband)

2012: Markus Raupach
(www.bierfranken.eu)

2013: Melanie Huml
(Staatssekretärin für Umwelt und Gesundheit, www.melanie-huml.de)

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