Jazzmusiker - Gebildete Innovativ- und Kreativpiloten mit schmaler Subsistenz
Erkenntnisse aus der Jazzstudie 2016
veröffentlicht am 23.03.2016 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Auf Initiative des Jazzinstitut Darmstadt, der IG Jazz Berlin und der Union Deutscher Jazzmusiker, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, des Niedersächsischen Ministerums für Wissenschaft und Kultur und der Berliner Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten hat Dr. Thomas Renz vom Institut für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim unter Mitarbeit von Maximilan Körner in der Jazzstudie 2016 die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Jazzmusiker/-innen in Deutschland unter die Lupe genommen.
Das vorhandene, reichhaltige und vielfältige Netz der Königsdisziplin der Popularmusik lässt zunächst eine fruchtbare Jazzszene erahnen. 18 Musikhochschulen unterrichten Jazz. Stipendien, Wettbewerbe und Preise gibt es zahlreich. Die Landschaft der Liveclubs zeichnet ca. 700 etablierte Stätten, in denen mehr oder weniger regelmäßig Jazz gespielt wird. Hunderte deutscher Big Bands haben Jazz im Standardrepertoire. Dazu das Bundes- und diverse Landesjugendjazzorchester und bei allen öffentlich-rechtlichen Musiksendern eigene Jazzredaktionen bzw. -formate. Schließlich ist die Jazzgeschichte im Lehrplan für den Musikunterricht für Allgemeinbildende Schulen hineingeschrieben. Über die dennoch prekäre Situation deutscher Jazzmusiker allerdings darf das nicht hinwegtäuschen. Das durchschnittliche, absolute Jahreseinkommen liegt bei über 50 % der Befragten bei weniger als 12.500 €. Damit erreicht die Mehrheit kein existenzsicherndes Einkommen. Nur 10 % verdienen mehr als 20.000 € pro Jahr. Dabei leistet die Künstlersozialkasse einen wichtigen Beitrag zur existenziellen sozialen Absicherung, stößt aber dennoch schnell an Grenzen. Insbesondere die Altersvorsorge kommt insgesamt zu kurz. Drohende Altersarmut ist die bittere Konsequenz. Dabei leben die wenigsten der Musiker vom Musik machen alleine. 74 % leben vom Musizieren, gekoppelt mit Lehrtätigkeit. 70 % unterrichten also zusätzlich, davon aber lediglich 15 % in einem Angestelltenverhältnis an einer kommunalen Musikschule. Und selbst diese niedrige Quote ist rückläufig. Lediglich 8 % arbeiten an bzw. für eine (Musik-)Hochschule und dort in der Regel in Teilzeit. 26 % verdienen in nicht-musikalischen Bereichen dazu. Die große Mehrheit hat ein Hochschulstudium absolviert oder studiert noch. 74 % der Jazzmusiker leben in Großstädten über 100.000 Einwohner. Die Frauenquote ist in der Jazzmusik mit 20 % sehr gering, mit leicht steigender Tendenz. Das Gagenniveau pro Auftritt liegt bei 64 % aller Konzerte unter 150 €, bei 26,5 % zwischen 150 und 300 € und bei 9,5 % bei mehr als 300 €. Als Anzahl für Auftritte haben 10 % fünf oder weniger angegeben, 54 % 25 oder weniger und 4 % sind mehr als 100 Mal pro Jahr auf der Bühne.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der Jazz gehört zu den kranken Männern der Kulturlandschaft. Entsprechend resümiert die Studie Bedingungen und Möglichkeiten für den zu aktivierenden Diskurs über seine Förderung hierzulande. Kernstütze ist und bleibt die Künstlersozialkasse, für die insbesondere ein Blick auf die bleibende Erlaubnis für die nicht-künstlerischen Zusatzverdienste in bedachten Grenzen zu diskutieren wäre. Zudem müssten die Jazzinitiativen, Interessengemeinschaften sowie Landesarbeitsgemeinschaften und -verbände und Jazzbüros finanziell gefestigt werden. Insgesamt dürfe die Jazzförderung nicht alleine Gegenstand der traditionellen Kulturförderung bleiben, sondern müsse als Querschnittsaufgabe verschiedener Bereiche (Soziales, Bildung, Erziehung, Wissenschaft, Kultur) verstanden werden. Der Markt alleine sei kein geeigneter Maßstab für eine angemessene Entwicklung des Jazz. Er könne nicht in den Kriterien der kommerziellen Kulturwirtschaft gemessen werden. Insbesondere künstlerische Innovationen, die hier eine große Rolle spielen, bedürften einer angemessenen öffentlichen Förderung, die aktuell nur marginal und damit unzureichend aufgestellt sei. Dennoch solle eine Stärkung der nicht-künstlerischen Arbeitsmarktkompetenzen im Sinne einer Professionalisierung der Musiker angestrebt werden. Schließlich könnten Strategien zur Erschließung neuer Arbeitsmärkte (z.B. durch Verknüpfung mit anderen Kunstsparten wie der Darstellenden Kunst) angedacht werden. Auch die Musikhochschulen könnten dies als Aufgabe (besser) wahrnehmen. Für die Spielstätten bedürfe es eines grundsätzlichen Förderkonzepts, das mit einer Art Mindestgagendiskussion einhergeht. Insgesamt stecke Potential in der stärkeren Förderung der Nachfrage, auch durch allgemeinbildende Schulen und Musikschulen sowie durch Veranstalter und Musiker selbst, z.B. in einer stärkeren Rolle im Bereich der kulturellen Bildung. Konzepte zur langfristigen Sicherung der Nachfrage im Sinne eines jazzinteressierten Publikums könnten ein Schlüsselbeitrag zur Verbesserung der aktuellen Lage sein.
Die Studie in voller Länge ist abrufbar unter: http://www.miz.org/fokus_jazzstudie2016.html
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Erkenntnisse aus der Jazzstudie 2016 – 18 Musikhochschulen unterrichten Jazz in Deutschland, Fotos © pixabay.com