Klassiker

Anne-Sophie Mutter.

Vom kindlichen Genie zur gereiften Weltklasse-Geigerin

veröffentlicht am 19.09.2013 | Lesezeit: ca. 9 Min.

An Musikerinnen und Musikern von Rang fehlt es in der Weltkulturerbestadt nicht. Etliche spielen bei den Bamberger Symphonikern, andere gastieren bei dem Toporchester oder beim Musikverein. Aber eine absolute Weltklassegeigerin wie Anne-Sophie Mutter erleben zu können, ist auch an der Regnitz rar. Ein Gespräch und ein Portrait zu Mutters Konzert im November.

Schon in jungen Jahren hat Anne-Sophie Mutter mit den Bamberger Symphonikern musiziert. Die gerade Dreizehnjährige gab im Sommer 1979 im Odeon des Herodes Atticus zu Athen Wolfgang Amadeus Mozarts wohl wichtigstes Violinkonzert, also das Fünfte, in A-Dur, KV 219. Am Pult stand damals James Loughran, und das Programm in jenem Athener Sommer wurde ergänzt um ein Werk, das der Bayerischen Staatsphilharmonie noch immer wichtig ist, Gustav Mahlers Fünfter Symphonie. Sechs Jahre später war Mutter auch in Aachen und tags drauf in der Düsseldorfer Tonhalle zu hören. Gemeinsam mit der Cello-Legende Mstislaw Rostropowitsch interpretierte sie das Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-Moll op. 102 von Johannes Brahms. Es dirigierte Christoph Eschenbach, der immer einmal wieder im Keilberth-Saal zu erleben ist, auch mit der Zweiten von Brahms, die im Februar 1985 ebenfalls geboten wurde.

Bei bester Laune erzählt eine sehr sympathische Anne-Sophie Mutter, dass Bamberg ja eine große Tradition habe. „Die Symphoniker sind schon immer ein geschätztes Orchester gewesen“, sagt sie, und darauf aufbauend gehe sie – Mutter gastiert am 8. November mit ihrem Klavierpartner Lambert Orkis an der Regnitz – davon aus, dass „es auch ein Publikum gibt, das so unglaublich gebildet ist.“ In diesen Septembertagen ist Mutter mit Manfred Honeck auf Tournee, eröffnete beispielsweise das Berliner Musikfest und spielte auch beim Lucerne Music Festival. Dort, in Luzern, gab sie 1976 ein triumphales Debüt. Herbert von Karajan war sofort von der jungen Geigenvirtuosin eingenommen und nahm sich ihrer an.

Jetzt hat Mutter unter anderem das Violinkonzert a-Moll op. 53 von Antonín Dvorák im Gepäck, dem großen Joseph Joachim gewidmet, der es aber nie aufführte. Bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft erscheint in diesen Tagen Anne-Sophie Mutters Deutung dieses Konzertes. Am Pult steht eben Manfred Honeck, es begleiten die Berliner Philharmoniker. Nach einer Pause von drei Dekaden legt Mutter mit dem Dvorák-Konzert (zu hören sind außerdem noch die Romanze op. 11 und die Humoreske op. 101 Nr. 7) abermals eine Aufnahme mit den Berlinern vor. Es ist Mutters erste Einspielung des a-Moll Konzertes überhaupt. „Ja, erstaunlicherweise“, sagt die längst vom kindlichen Genie zur Geigerin von absoluter Weltklasse gereifte Mutter. Dabei habe sie sich ja so viele der großen Werke bereits zum zweiten Male vorgenommen. Vertraut ist sie mit dem Konzert seit ihrer Teenagerzeit. „Allerdings habe ich immer wieder längere Perioden des Dvorák-Schweigens eingelegt. Es ist tatsächlich das letzte der großen romantischen Violinkonzerte, die ich bislang noch nicht aufgenommen hatte.“

Die vielen Uraufführungen, beispielsweise von Werken Wolfgang Rihms und Witold Lutoslawskis, die sie in den letzten zwanzig, ja siebenundzwanzig Jahren gemacht habe, seien eben ein „Repertoire, das ein bisschen offensichtlicher im Raum“ stehe. Nochmals eine kurze Volte zu Dvorák. Dessen Romanze op. 11 habe sie immer besonders geliebt. „Das war auch der erste Dvorák, den ich hörte, mit zwölf, interpretiert von Josef Suk“, von Dvoráks Landsmann also. Und was das a-Moll Konzert angehe, habe sie sich, sagt Mutter, „in den letzten drei Jahren auf der Zielgeraden befunden, weil es einfach reif war. Ich habe es auch nochmal, wie man es mit Werken, die man schon seit Jahrzehnten kennt, sehr kundig auseinander genommen und dann in Zusammenarbeit mit Manfred Honeck eingespielt, der unglaublich viel Detailkenntnis und auch Detailliebe besitzt, etwa was die vielen tänzerischen Momente betrifft, die sich oft zwischen den Bläsern und den Celli oder nur zwischen den Celli und den Kontrabässen ergeben.“

Sehr am Herzen liegt Mutter die zeitgenössische Musik, vor allem die Witold Lutoslawskis. Der Pole, zu dessen hundertstem Geburtstag die Geigerin gerade in Warschau spielen durfte, war und ist einer ihrer Leitsterne, ein Musiker und Mensch, der sie entscheidend geprägt hat. Bereits 1986 hat Mutter in Zürich Lutoslawskis Dialog für Violine und Orchester „Chain 2“ uraufgeführt, die neben der ursprünglich für Pinchas Zuckerman und Marc Neikrug geschriebene Partita für Violine und Klavier jetzt in Warschau beim Geburtstagskonzert erklang, und zwar in der Version für Violine und Orchester, zu welcher Mutters faszinierendes Geigenspiel den Komponisten einst inspiriert hatte. In ihrer ursprünglichen Fassung wird Mutter die Partita des Polen auch bei ihrem Bamberger Rezital spielen. Der zweite und der vierte Satz (von insgesamt fünfen) der Partita sind „ad libitum“ betitelt. „Dieses Moment der freien Zeitgestaltung vermittelt einem als Interpret immer wieder ein Gefühl der Improvisationen “, meint Mutter, die von Lutoslawski hörbar begeistert ist.

Weil sie die Geige immer wieder neu entdecken möchte, weil sie den Dialog mit lebenden Komponisten als ein Refugium begreift, sucht Mutter die Herausforderung einer Uraufführung. Zum Auftakt einer Asien-Tournee mit ihrem Ensemble „Mutter‘s Virtuosi“ hat die Geigerin zusammen mit dem Kontrabassisten Roman Patkoló im Juni in Taipei die „Ringtone Variations“ des Amerikaners Sebastian Currier uraufgeführt. Auch Currier hat Mutter bereits mehrere Werke gewidmet, beispielsweise den „Aftersong“ für Violine solo oder auch das Violinkonzert „Time machines“. Die „Ringtone Variations“ sind eines von vielen Auftragswerken der Anne-Sophie Mutter Stiftung. Zumal für die Erweiterung des noch immer recht schmalen Repertoires für Kontrabass setzt sich Mutter ein.

Selbstverständlich spielt sie neben Zeitgenössischem auch das Standardrepertoire, führt Anne-Sophie Mutter in ihren Konzerten und Rezitals die Meister der großen romantischen Violinsonate auf. Der November-Nachmittag im Keilberth-Saal wird beginnen mit Fritz Kreislers Variationen über ein Thema von Corelli. „Der Anfang eines Programms“, so Mutter hierzu, „kann ja etwas Fanfarenartiges gebrauchen, sozusagen ein Aufruf zum geistigen Sammeln.“ Kreislers Corelli-Variationen hat sie bereits als Elf- oder Zwölfjährige gern gemacht: „Unvermeidlicherweise begegnet man im Laufe eines längeren Musikerlebens auch immer wieder Werken, die man schon mal aufgeführt hat, zu denen ja auch die A-Dur Sonate von César Franck gehört.“ Edvard Griegs c-Moll Sonate op. 45 hingegen sei „relativ neu in unserem Programm“. Zusammen mit 4 Stücken für Violine und Klavier op. 7 von Anton Webern sowie Lutoslawskis Partita sei das ein variables Programm, „sodass wir viele Stilperioden vorstellen können“.

Seit einem Vierteljahrhundert tritt Mutter mit dem Pianisten Lambert Orkis auf. Ob sie sich blind verstehen? „Ja“, sagt sie und schiebt schnell hinterher: „Aber wird langweilen uns nicht. Wir langweilen uns deshalb nicht, weil wir sehr unterschiedliche Temperamente sind und das komplementiert sehr gut.“ Orkis sei ein unheimlich belesener, hyperintellektueller Mensch und Musiker und habe auch schon unheimlich viel zeitgenössische Musik gemacht „Dagegen bin ich eine tumbe Anfängerin.“ Außerdem habe sich ihr Klavierbegleiter durch seine Leidenschaft für historische Aufführungspraxis „einen ganz eigenen Zugang“ erarbeitet. Das habe sich besonders bei den Violinsonaten von Beethoven und Mozart ausgezahlt.

Für ihr soziales Engagement ist Anne-Sophie Mutter unter anderem mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet worden. Mit ihrer Stiftung fördert und fordert sie den hochtalentierten Streichernachwuchs. Sie stellt Instrumente zur Verfügung, vergibt Auftragwerke, geht mit den jungen Musikern auf Tournee. Zu den ehemaligen Stipendiaten zählen beispielsweise die Geigerin Arabella Steinbacher und der Cellist Daniel Müller-Schott, die beide schon in Bamberg zu Gast waren. Und der Kontrabassist Roman Patkoló, erster Träger des Aida-Stucki-Preises, hat bereits eine (halbe) Professur an der Münchner Musikhochschule inne. Wie hält es Mutter selbst mit dem Unterrichten? In ganz jungen Jahren hat sie an der Royal Academy in London gelehrt: „Inzwischen gebe ich eigentlich nur noch in Fernost Meisterkurse, denn da, scheint mir, ist mein Rat am notwendigsten.“ Unterrichten könne sie, wenn überhaupt, nur ihre Stipendiaten: „Ich beschränke mich auf die Personen, an die ich künstlerisch glaube.“

Was macht nun Mutter in ihrer knappen Freizeit? Sie lese sehr gern, aktuell die Biographien von Stefan Zweig und Lew Tolstoi. „Außerdem habe ich gerade ein wunderbares Buch von Gidon Kremer entdeckt.“ Kremers Briefe an eine junge Pianistin seien „eine Fibel, die ich auch meinen Stipendiaten schon ans Herz gelegt habe“. In seiner Ethik, in seinem auch moralischen Anspruch an den Künstler sei Kremer ganz wunderbar. Außerdem bemüht sich Mutter in ihrer Freizeit, „aktiv nichts zu tun. Das gelingt mir aber nie.“ Auch liebe sie die Natur, sei also gern draußen, laufe, renne, wandere. „Oder ich sitze einfach mal unter einem Baum und starre Löcher in die Luft.“

Ähnliche Artikel: