Szene

Blackout war gestern – heute ist Wild!

Michael Mittermaier am 21. Oktober in der Arena in Bamberg

veröffentlicht am 30.09.2016 | Lesezeit: ca. 5 Min.

Jahrelang hatte Michael Mittermeier seinen Blackout. Natürlich nur im übertragenen Sinne. Er tourte mit seinem „Blackout“-Programm durch die deutschsprachigen Länder, begab sich schließlich wieder einmal auf Tour durch englischsprachige Länder – ein Ritt auf der Rasierklinge für jemanden, der diese Sprache nicht als Muttersprache kennt. Mittermeier, gebürtiger Oberbayer und gefühlter Kosmopolit, meisterte die Herkulesaufgabe mit Bravour. Jetzt war es Zeit, neues zu machen für den Kreativkopf, dessen Bühnenprogramm immer wieder spontane Geschichten umfasst, die so vor Beginn einer Show selbst auf Mittermeiers eigener Agenda noch nicht standen. Wer sich von der Spontanität des gebürtigen Dorfeners überzeugen möchte, der hat dazu am 21. Oktober in der Bamberger Arena Gelegenheit.

Michael Mittermeier läuft ohne Leine rum und er will nicht nur spielen. Aber wie kriegt man die Welt in den Griff? Oder noch wichtiger: Wie kriegt man sich selbst in den Griff, wenn die Welt sich nicht mehr im Griff hat? Die Welt dreht sich weiter und Michael Mittermeier ist kein aktueller Brennpunkt zu heiß. So steht es geschrieben im Pressetext zur neuen Tour. Er spart Donald Trump und Hillary Clinton („Die mag ich zwar nicht, aber was willst du machen?“) nicht aus, er kümmert sich um Russlands Präsident Vladimir Putin, nicht zu vergessen George W. Bush und natürlich auch Nordkoreas Diktator Kim Jong Un – doch Michael Mittermeier widmet sich auch dem ganz normalen Wahnsinn des täglichen Lebens. Unauffällige Serienkiller, auffällige Politiker, Modelleisenbahnbesitzer, Geteerte und Gefederte. Michael Mittermeier hat sturmfrei und feiert die wildeste Party der Stand-up-Comedy. Und alle sind gekommen. Der G7-Bürgermeister, Winnetou, Meister Yoda und ein Wiener Pandabär – reichlich verquer. Typisch Mittermeier eben.

Der Vorkämpfer der deutschen Stand-up-Comedy hat in seinem neuen Programm WILD mehr als eine Überlebenstaktik für unsere Zivilisation im Gepäck, die unaufhaltsam verwildert. Oder auch einfach nur unübersichtlicher wird. Ungezähmt und unerbittlich jagt er die Menschenfänger, Trolle und Nagellackentferner. Nach 2000 Jahren widerspenstiger Zähmung der Menschheit stellt sich für Mittermeier – und vermutlich auch für viele seiner Anhänger – die Frage: „Wo warst du das letzte Mal wirklich wild? Im Traum, im Keller oder im Internet? Hast Du dabei wenigstens ein Selfie gemacht? Und war das wirklich eine gute Idee? Wildern wir uns gegenseitig aus, und wecken den Wikinger in uns. Diese legendären Abrissbirnen des Abendlandes hatten keine Lust auf die Weltherrschaft, die wollten nur plündern. Bloß keine Verantwortung übernehmen. Ragnar der Räudige, der schwedische Darth Vader, sicherte sich dank genügend Follower auch so seinen Platz in der ruhmreichen Geschichte blutrünstiger Yachtbesitzer. Wem folgst du heute: Facebook oder dem Todesstern?“ Und „who put the IS into Nazis?“ Frag Wikipedia und halte dich an Yodas Worte: „Am Arsch vorbeigehen du musst!“ – Teile der offiziellen Presseverlautbarungen des Meisters deutscher Stand-up-Comedy verraten, dass es vogelwild wird auf den Bühnen der Republik. „Der furiose Comedyabend WILD ist wie ein guter James Bond Bösewicht: Gesetzlos, gerissen, genial. Siegen wird hoffentlich einfach das Gute, oder wie es Ragnar zu seinem Chefberserker beim Schädel-Boccia sagte: „Leif is Leif.“ – mehr Mittermeier geht nicht. Dabei vergisst der seit kurzem 50-jährige nicht, den mahnenden Zeigefinger zu heben. In Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit und diverser Ängste als Ergebnis radikaler Positionen, bezieht er klar Stellung. Gegen Ausländerhass, für Flüchtlinge und vor allem gegen Stammtischparolen – frag nach bei seinem Kollegen Mario Barth, den er nach einem doch fragwürdigen Post auf dessen eigener Facebook-Seite verbal gewaltig abwatschte. Man darf gespannt sein, was sich Michael Mittermeier in seinem neuen Programm ausdenkt. Ganz ausgereift wird es in Bamberg noch nicht sein – schließlich bastelt der Guru deutscher Comedy nahezu täglich sein Programm um. Und in Bamberg ist das neue gerade einmal zum neunten Mal auf einer Bühne. Wer allerdings einige Jahre zurückdenkt an sein Blackout-Programm, der weiß, dass die Anfangszeiten so ziemlich die witzigsten Auftritte dieser Tour waren. Gerade weil das Programm längst nicht ausgereift war und die Stand-up-Comedy – und da ist und bleibt Michael Mittermeier der absolute Großmeister in Deutschland – für unvergessliche Abende sorgte. Er bekam sein Publikum in den Griff. Gerade weil er sich selber noch nicht im Griff hatte – eine herrliche Voraussetzung für Spontanität auf der Bühne. So ganz ohne Blackouts. Dafür umso wilder.

Copyright Foto: © ManfredBaumann.com

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