Der Bühne „troy“ geblieben
Wenn die Fantastischen Vier touren, darf sich auch Bamberg freuen
veröffentlicht am 28.11.2016 | Lesezeit: ca. 10 Min.
Sie sind so etwas wie lebende Musikgeschichte. Seit mehr als 25 Jahren beglücken die Fantastischen Vier inzwischen schon die Bühnen und Clubs der Republik. Leisetreten? Nicht das Ding der aus dem Stuttgarter Raum stammenden Rapper. Ganz im Gegenteil: Landauf, landab füllen sie die großen Arenen. Und das regelmäßig. Am 20. Dezember sind die deutschen Superstars wieder einmal im Frankenland, beehren die Arena in Bamberg.
Es waren nicht die besten, aber auch nicht die düstersten Zeiten, die Deutschland und die Welt 1988 erlebten – auch wenn sich vieles mit der heutigen Zeit ähnelt. Eine junge Tennisspielerin namens Steffi Graf erobert die Sportwelt, gewinnt alle vier Grand Slam-Turniere. Jan Boklöv gewinnt in Lake Placid als erster Skispringer einen Wettbewerb im V-Stil – nicht nur in der Politik kündigen sich Revolutionen an, auch im Sport. Politisch gesehen sieht es irgendwie aus wie heute: George W. Bush wird zum US-Präsidenten gewählt, mit viel Häme und Skepsis begleitet. Die UdSSR zieht sich aus Afghanistan zurück. Der Irak greift Kurden und Assyrer in Halabdscha an. Und musikalisch? War 1988 eigentlich ein schlimmes Jahr. Celine Dion gewinnt in Dublin (übrigens für die Schweiz startend) den Eurovision Songcontest mit „Ne partez pas sans moi“. Und für die damalige Zeit fast noch tragischer: Die Ärzte geben auf Westerland ihr Abschiedskonzert. Somit war die deutsche Popkultur um eine ihrer größten Attraktionen ärmer. Am Rande notiert war 1988 das Jahr, in dem Milli Vanilli sich mit „Girl you know it‘s true“ an die Chartspitze schummelten, Rainhard Fendrich mit „Macho Macho“ eine große Nummer war, die Münchener Freiheit („Solang man Träume noch leben kann“), die Erste Allgemeine Verunsicherung („Küss die Hand schöne Frau“) und – als Ehrenrettung deutscher Rock- und Popmusik Herbert Grönemeyer mit „Was soll das?“ die Hitlisten erklomm. Kurzum: Es stand schlecht um die Musikkultur in deutschen Landen. Hoffnungslos war es aber nicht.
Kein Wunder jedoch, dass auch eine neue Band aus Stuttgart da ihre Probleme hatte. Die Fantastischen Vier. Thomas Dürr alias Hausmeister Thomas D., Michael Bernd Schmidt aka Smudo, Michael Beck – fast schon bürgerlich firmierend als Michi Beck – und Andreas Rieke – an den Plattentellern stehend als And. Ypsilon. Die vier kecken Jungs aus dem Schwabenland hatten einen neuen Trend aufgetan: Deutscher Sprechgesang, wie Hip-Hop damals noch ganz offiziell bezeichnet wurde und sie ihn selbst auch deklarierten. In Amerika längst Kult, schwappte die Rap-Welle langsam auch nach Deutschland. Bedingt durch viele in hiesigen Kasernen stationierte US-Amerikaner wurde die Black Music dank aufkommender Stars aus dem R‘n‘B-Sektor (B.V.S.M.P.) und dem Rap-Genre (Salt‘n‘Pepa) auch im damals noch geteilten Deutschland salonfähig. Davon zu träumen, dass deutscher Hip Hop allerdings 28 Jahre später mitunter dominant in den einheimischen Charts sein würde, das wäre wohl nicht nur müde belächelt worden. Mit der Heidelberger Kombo „Advanced Chemistry“ um den späteren Superstar Torch wird die „Erfindung“ deutschen Sprechgesangs nicht den Fantastischen Vier zugerechnet. Die aber waren maßgeblich daran beteiligt, dass Deutsch-Rap plötzlich in aller Munde war.
Vier Jahre lang dauerte es, ehe Frontmann Thomas D. – bis heute charismatischster Akteur der Fantastischen Vier – und seine drei Mitstreiter den Durchbruch auch außerhalb der schwäbischen Heimat schafften. Und wie. Ihr Gassenhauer „Die da“ und das Album „Vier gewinnt“ avancierte zum Megaseller, aus der im Feuilleton anerkennend gelobten aufstrebenden (und trotz ihrer Stuttgarter Herkunft provinziell anmutenden) Liveband waren allseits geschätzte Musiker geworden. Und Manager Andreas „Bär“ Läsker, heutzutage seit seiner Zeit als Juror bei „Deutschland sucht den Superstar“ hinreichend bekannt, positionierte sein Aushängeschild um den brillanten Produzenten und Denker And.Ypsiolon strategisch perfekt in der Musiklandschaft. Das ein oder andere (größtenteils erfolgreiche) Soloprojekt der vier Künstler, mit der Band „Megavier“ ein Metal-Seitenprojekt und vor allem omnipräsente Bühnenauftritte ließen die Fantastischen Vier binnen kürzester Zeit zum wohl spannendsten und in einer dahindarbenden deutschen Musiklandschaft erfolgreichsten Projekt hierzulande werden – auch dank herrlich selbstironischer Betrachtungen des eigenen Lebens, die in der Öffentlichkeit den Fokus bei vielen Themen schärften und noch immer schärfen.
Aus den Spaßmusikern von einst, die mit allerlei Herumgeblödel Kultstatus erreichten, sind längst ernstzunehmende Musiker geworden, die generationsübergreifend riesige Erfolge feiern und dabei den Spagat zwischen in Rap-Kreisen anerkannten Größen und im Popbusiness kommerziell erfolgreichen Musikern nach anfänglich kleineren Dissonanzen mühelos bewältigten. Nicht nur dem Alter geschuldet engagieren sich die vier Bandmitglieder – zu allererst Thomas D. – an allen möglichen Fronten, stehen für klare Positionen zu allen möglichen Themen. Und auch im musikalischen Sektor schaffen es die im zwischenmenschlichen Bereich überraschend (und vor allem erfrischend) bodenständig gebliebenen Superstars immer wieder, neue Maßstäbe zu setzen. Das gilt vor allem auch für die pompösen Liveshows, die alle Jahre wieder aus dem Hut gezaubert werden. Größer, schneller und weiter lautet das Credo in diesem Bereich. Alleine die Bühnenshow mit teils grandiosen Leinwand-Aufmachungen macht ein Konzert der Fantastischen Vier zu einem Superlativ. Und dann ist da ja auch noch die Musik. Seit 25 Jahren beglücken die vier perfekt harmonierenden Bandmitglieder nun schon mit einem Gassenhauer nach dem anderen. Und Ideenlosigkeit ist das, was die „Fantas“, wie sie allerorten gerufen werden, am allerwenigsten auszeichnet. Kaum eine Scheibe, auf der sie nicht völlig neue Gedankengänge in ihrer Musik einfließen lassen. Und das belohnt die zahlende Hörerschaft. Die Fantastischen Vier sind eine der ganz wenigen Musikgruppen, die mit Fug und Recht behaupten können, dass (nach ihrem noch unter der Rubrik „Geheimtipp“ laufenden Debütscheibe) jedes einzelne der acht Studienalben in mindestens einem Land Goldstatus erreichte. Vor allem die Marke spielte ihnen dabei in die Karten. Wo andere Deutschrapper sich immer wieder auch in der Muttersprache des Sprechgesanges versuchten – mitunter gar nicht so schlecht und unerfolgreich – zelebrierten die Fantas ihre Muttersprache. Da wurde nicht mehr gescratcht. Es wurden Platten gekratzt. Sie rappten nicht. Sie performen den deutschen Sprechgesang. Und so weiter und sofort. Am Ende standen vier schwäbisch babbelnde Hip Hopper, die sich zeitlebens musikalischen Wendungen gegenüber sträubten, ihre eigene Schiene gnadenlos durchzogen und damit einen Erfolg nach dem anderen einheimsten. Die unzählig preisgekrönten Rapper waren und sind in der deutschen Musiklandschaft ganz weit oben an der Spitze zu finden. Und wer sie einmal live gesehen hat, der weiß auch warum: Verbiegen lassen sie sich nicht – und ihre Uralt-Gassenhauer nehmen bis heute einen hohen Stellenwert ein. Wo andere Bands auf ihren Tourneen - mitunter krampfhaft - versuchen, neues Material an den Mann und die Frau zu bringen, sind sich die Fantastischen Vier ihrer Wurzeln bewusst. Da wird „Die da“, bis heute interessanterweise der erfolgreichste Hit der Fantas, noch genauso gespielt wie der zweite Allzeitgassenhauer „Sie ist weg“. Doch nicht nur die kommerziell durchstartenden Hits darf man auf den oftmals ausufernd lange dauernden Live-Gigs erwarten. Auch andere Songs, die aus teilweise unerfindlichen Gründen den Weg in die Hitparaden nicht fanden, werden in schöner Regelmäßigkeit noch und/oder wieder gespielt. Ob Uptempo-Nummern vom Kaliber „Populär“ und „Zu geil für diese Welt“ oder aber auch ruhigeres Material mit Stile von „Der Tag am Meer“ und natürlich auch Klassiker wie „MfG - mit freundlichen Grüßen“ und „Troy“ - das alles verpacken die fast schon dauertourenden Schwaben immer wieder in neue Anzüge und lassen Erinnerungen an längst vergessene Zeiten wachwerden. Davon, dass die vier Rapper nicht in der Vergangenheit schwelgen, sondern den Fokus auf aktuelles legen, davon zeugt alleine schon die Firmierung der Tour. „Vier & Jetzt“ tauften die Fantas ihre aktuelle Tour. Im hier und jetzt sind sie, trotz dessen, dass die letzte Scheibe schon wieder zwei Jahre auf dem Buckel hat, längst angekommen. Ganz nach dem Motto: „Thomas D. ist auf der Reise und hat Rückenwind.“ Was einst ein Klassiker auf den Plattentellern war, ist längst Motto des omnipräsenten Frontmannes. Rampensau und Freigeist Dürr ist einer, der klar Kante bezieht. Er, gelernter Friseur (!) und schließlich als Hausmeister tätig, ist in der Öffentlichkeit längst nicht mehr nur Sänger der Fantastischen Vier. Er, inzwischen gediegene 47 Lenze zählend, ist einer, der klare Statements zu allen möglichen gerade die Medien beherrschenden Themen unters Volk bringt. Und dabei wird er, im Gegensatz zu manch einem Politiker, gehört und kann Sachen bewegen. Die Fantas sind so etwas wie der Klassensprecher deutscher Musik geworden. Und die Meinung des Klassensprechers, die zählt. Auch über dem Tellerrand hinaus. Und so muss sich Thomas D. nicht verstellen. Er, mehrfacher Millionär, der auf einem Öko-Bauernhof lebt, kann es sich erlauben zu polarisieren. Und dabei eine klare Linie beizubehalten. Und da schließt sich der Kreis zur Anfangszeit der Fantastischen Vier wieder einmal. Ein Kreis, der irgendwie nie aufgerissen wurde. Seit fast dreißig Jahren ziehen die vier Jungs, als eine der wenigen Bands hat sich noch kein einziger verabschiedet und musste ersetzt werden, ihr Ding durch. Ohne Kompromisse. Die sind aber auch nicht notwendig. Schließlich weiß man bei ihnen, was man hat. Oder eben auch, was man nicht hat. Ach ja. Am Rande notiert. 1988 wurde der Wendehals zum Vogel des Jahres gekrönt. Zufälligkeiten zu heute: Wahrscheinlich rein zufällig....
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Die Fantastischen Vier live in Bamberg, Foto © Andreas Bär
Fanta4 „Köpfe“, Foto © Robert Grischek
Die Fantastischen Vier live in Bamberg, Foto © Andreas Bär