Seit 1997 ist mit der Eröffnung von bisher elf Museen, die Kunstwerke aus den Sammlungen der Diözese Würzburg mit jeweilig eigenem inhaltlichen Ansatz vor Augen stellen, mittlerweile in Unterfranken eine diözesane Museumslandschaft entstanden, die mit den Eröffnungen von zwei weiteren in Karlburg 2017 und in 2018 in Karlstadt noch anwachsen wird. Dahinter steht aber nicht nur die Absicht einer Dezentralisierung, sondern vor allem das Bestreben, mit jedem einzelnen Museum den Besucherinnen und Besuchern eine Hilfestellung zum Verständnis sowohl der Kunst und der Geschichte als auch der Gegenwart zu geben.
Dieses konzeptionelle Programm, das schon mit der Eröffnung der Galerie „Marmelsteiner Kabinett“ im September 1990 als vorbereitende Maßnahme im Blick auf die zu gründenden Museen mit diözesanen Kunstwerken aus allen Epochen der Kunst einschließlich der zeitgenössischen verfolgt wurde, soll vom 4. März bis 7. Mai in besonderer Weise mit der Ausstellung „GEGENSTÜCK - Spannungsbogen Kunst“ im Museum am Dom seine Präsentation finden, zieht es sich doch wie ein roter Faden durch die Tätigkeit des Kunstreferenten Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen in seinem Aufbau der eröffneten und noch zu eröffnenden Museen. Sein Eintritt in den Ruhestand gemäß der Statuten des Domkapitels mit Vollendung des 70. Lebensjahres ist Anlass, mit dieser Abschiedsausstellung noch einmal Revue passieren zu lassen, worauf die entstandenen Museen den Blick lenken wollen.
Der Titel dieser Ausstellung im Museum am Dom ist nicht eindeutig. Zum einen wird mit der Bezeichnung „Gegenstück“ der Gegenüberstand eines Kunstwerkes zu einem anderen benannt, der sich in seiner Andersartigkeit äußert - sei es formal, sei es von der Zeit seiner Entstehung her. Wird damit oberflächlich auf ein Nebeneinander verwiesen, gar auf eine Beziehungslosigkeit, so kann mit der genannten Wertung aber auch zum Ausdruck gebracht werden, dass ein präsentiertes Kunstwerk sich zwar in seinem von der jeweiligen Kunstepoche geprägten Erscheinungsbild von einem anderen abhebt, dabei aber inhaltliche Bezüge zu diesem anderen Werk aufweist, die Aussage des einen gar ergänzt oder aktualisiert.
Ein solches Gegenüber, das ein Miteinander nicht ausschließt, sondern geradezu heraufbeschwört und kenntlich macht, dass die inhaltlichen Ansätze sich zu entsprechen scheinen, ist schon seit Eröffnung des Museums am Dom in Würzburg dort wie auch in anderen Museen der entstandenen Museumslandschaft, so z. B. in Tückelhausen oder im Museum.Burg.Miltenberg, wahrnehmbar. Da diese inhaltliche Konzeption in besonderer Weise das Erscheinungsbild des Museums am Dom bestimmt, liegt es nahe, ergänzend zu den in der Dauerausstellung antreffbaren Gegenüberständen in einer eigenen temporären Ausstellung dieses Präsentationsprinzip aufzugreifen und zu verdeutlichen.
Darin werden die vielfach zwischen den einzelnen Kunstepochen in deren Zurschaustellung gezogenen Grenzen aufgehoben und vor Augen gestellt, dass bei zwar jeweils eigenständiger und somit zeitbedingter Darstellungsweise der aufgegriffenen Thematik zwischen den künstlerischen Werken unterschiedlicher Entstehungszeiten Beziehungen bestehen, die im Humanum gründen und die Fragestellungen sowie das Suchen des Menschen nach Deutungshilfen für sein Leben aufgreifen. Unter Aufhebung der zwischen Fanum und Profanum gezogenen Grenzlinien und jenseits dieses geübten Gegenüberstandes wird mit dem im „Gegenstück“ präsentierten Miteinander die gesamte Dimension menschlicher Lebenserfahrung in allen ihren Fragen und Sehnsüchten, in allen ihren Welt- und Transzendenzbezügen erfasst.
Darauf zielt diese Ausstellung ab und lässt das Spannungsfeld der Kunst als Analogie zum Spannungsfeld des Lebens erkennen. Zugleich wird darin aber auch sichtbar, dass Kunst einen existentiellen Dienst in der Selbstwahrnehmung des Menschen und dessen Tasten nach dem, was seine Lebenssicht aus den von Zeit und Raum gesetzten Einengungen herauszubrechen vermag, leistet. Und wenn das seitens einer Diözese unter Heranziehung von Kunstwerken aus allen möglichen vergangenen Epochen und zugleich mit zeitgenössischen Werken geschieht, die unabhängig von kirchlicher oder religiöser Beziehung entstanden sind, wird diese angebotene Blickweisung umso freier empfunden. Dann tritt diese Ausstellung gerade mit ihrem Titel „Gegenstück“ in ein Gegenüber zu manchen auf die Kirche bezogenen Vorurteilen und zugleich und vor allem in einen Gegenstand zu aller oberflächlichen Welt.
Fotocredits:
Sonderausstellung „Gegenstück“, Foto © Atelier Zudem, www.zudem.de