Ein Museumsbesuch klingt stets nach einem überaus bereichernden Plan für das Wochenende. Wie wäre es dann erst, an einem Samstag bis spät in die Nacht zahlreiche Museen zu besuchen, ihre Ausstellungen zu bewundern und ein buntes Programm zu erleben? Dies ist am 6. Mai von 19 bis 2 Uhr möglich, wenn 50 Ausstellungshäuser zur 18. Nacht der Museen Frankfurt und Offenbach laden, um Kunst und Kultur mit einem außergewöhnlichen Erlebnis zu verbinden.
Einen besonderen Höhepunkt der Museumslandschaft entlang des Mains bildet dabei das Dreiergespann aus Schirn, Städel und Liebieghaus. Unter der Leitung von Dr. Philipp Demandt, der 2016 von der Alten Nationalgalerie in Berlin als Direktor nach Frankfurt wechselte, zählen die drei Häuser zu den renommiertesten Europas. So lohnt sich ein Besuch jederzeit, doch am 6. Mai ganz besonders. Denn zu diesem Zeitpunkt erreicht die Ausstellung ihren Zenit, die nicht nur alle Frankfurter, sondern auch mannigfache deutsche Kunstzeitungen in einen von weißen Wolken so typisch durchzogenen, surrealistischen Himmel loben. Die Rede ist von einer der Kunstattraktionen des Jahres: „René Magritte. Der Verrat der Bilder“. Eine konzentrierte Einzelschau, wie es sie seit 20 Jahren nicht mehr in Deutschland gab und die bis zum 5. Juni in der Schirn zu sehen ist. 70 Werke aus den 1920er bis 1960er Jahren, in fünf Kapitel unterteilt. Nach zwei einleitenden, von Magritte selbst stammenden Filmen steht das Verhältnis von Wort und Bild im Mittelpunkt. Sodann widmet sich die Exposition den Vorhang-Bildern, dem platonischen Spiel mit Schatten und letztlich den zerstückelten Welten sowie den zerteilten Körpern. Dabei spielt vor allem das Verhältnis Magrittes zur Philosophie eine entscheidende Rolle. So sah dieser sich nicht explizit als Künstler, sondern vielmehr als denkenden Menschen, der seine Gedanken durch Kunst vermittelt, rastlos bemüht, die Hierarchie zu durchbrechen, die besagt, dass Wörter über Bildern stünden. In dem Bestreben, seine Malerei auf die Stufe der Philosophie zu erheben, arbeitete Magritte mit einem einmaligen wissenschaftlichen Anspruch, der seiner Bildsprache die Objektivität eines Vokabulars verlieh. Sollten Sie bei dem Begriff „Bildsprache“ unweigerlich an die bekannte Abbildung einer Pfeife, die laut eigener Aussage des Künstlers gar keine sei, denken, können Sie sich darauf freuen, dieses Schlüsselwerk mit dem der Ausstellung ihren Namen verleihenden Titel „La Trahison des Images (Ceci n’est pas une pipe)“/„Der Verrat der Bilder (Dies ist keine Pfeife)“ in der Schirn zu erblicken. Neben weiteren äußerst bekannten Motiven, die in typischer Magritte-Manier Äpfel, Hüte und Vorhänge bereithalten. Insgesamt beleuchtet die Schirn-Schau anhand zahlreicher surrealistischer Meisterwerke aus bedeutenden internationalen Museen wie dem Musée Magritte in Brüssel, der Tate London und dem Metropolitan Museum of Art in New York zentrale Bildformeln, die sich mit dem Mythos der Erfindung und der Definition von Malerei befassen. Auf diese Weise bietet sich den Besuchern laut Demandt „ein Erlebnis für Auge und Geist“ zugleich.
Wem dies nicht genug ist, muss nur zur anderen Seite der Kunsthalle hinüberflanieren, wo bis zum 14. Mai eine Retrospektive des österreichischen Expressionisten Richard Gerstl wartet. Der ewig suchende Künstler, der sich mit 25 Jahren das Leben nahm, hinterließ ein Œuvre voll schonungsloser, selbstbewusster und wegweisender Bilder, die keinem Vorbild folgen. Akte, Landschaften, Portraits, in denen Gerstls Auseinandersetzungen mit den Widersprüchen der Moderne mitschwingen. Obgleich der Maler häufig in einem Atemzug mit Gustav Klimt und Egon Schiele genannt wird, stellte er sich der Wiener Secession entgegen, lehnte deren Schönheitsbegriff ab, malte gegen tradierte Regeln an und provozierte mit einer Ästhetik des Hässlichen. Zu Lebzeiten wurde Gerstl keine öffentliche Schau zuteil, ein Grund mehr, dem Frühexpressionisten und seinem rastlosen, ungewöhnlichen, dynamisch-ehrlichen und mitreißenden Œuvre in der Schirn zu huldigen, zumal es genau dem Konzept der 1986 eröffneten Kunsthalle entspricht. Sie erhebt den Anspruch, den Besuchern ein originäres, sinnliches Ausstellungserlebnis zu bieten und versteht sich selbst als Ort der Entdeckungen und Seismograph für brisante Entwicklungen, wobei sie Debatten eröffnet und stets Raum für einen aktiven Austausch über die Relevanz der Kunst für die Gesellschaft lässt. Hierzu passt auch, dass die Schirn keine eigene Sammlung besitzt, sondern immer wieder neue Perspektiven aufgreift und sich selbst neu erfindet. Dabei werden auch die jungen Gäste von Anfang an mit einbezogen, gibt es doch das überaus praktische Angebot der MiniSchirn. In diesem Spiel- und Lernparcours können Eltern ihren Nachwuchs von drei Jahren bis ins Grundschulalter während ihres Ausstellungsbesuches gestalten, experimentieren und ästhetische Probleme auf spielerische Weise entdecken lassen. Denn in der MiniSchirn werden komplexe Themen wie Farbphänomene und Kompositionsprinzipien kinderleicht erklärt. Möglicherweise können Ihre Kleinen Ihnen sogar noch so einiges über die verrätselten Bilder René Magrittes beibringen, wenn Sie sie abholen und sich zum nächsten Höhepunkt der Museumsnacht aufmachen: dem Städel Museum, einer 1815 von Bankier und Kaufmann Johann Friedrich Städel eröffneten Museumsstiftung, die als älteste in Deutschland gilt, und in ihrer Sammlung anhand von über 3100 Gemälden, 660 Skulpturen, 4600 Photographien und 100000 Zeichnungen einen reichen Überblick über 700 Jahre europäischer Kunstgeschichte bietet. Glanzlichter dieser vielfältigen Sammlung stellen Werke Albrecht Dürers, Jan Vermeers, Claude Monets, Alberto Giacomettis, Francis Bacons, Isa Genzkens und Gerhard Richters dar. Eine exquisite Auswahl von Weltrang, die von zwei aktuellen Ausstellungen ergänzt wird. So entführt das Städel seine Besucher bis zum 14. Mai „In die dritte Dimension“, wo es „Raumkonzepte auf Papier vom Bauhaus bis zur Gegenwart“ präsentiert und die Grenzen zwischen Skulptur, Zeichnung und Druckgraphik auslotet. Dabei sind Arbeiten von 13 Künstlern der Minimal Art, der Raum- und Lichtkunst wie auch Bildhauern zu sehen, u.a. Lucio Fontana, Sol LeWitt, Blinky Palermo und James Turrell, die anhand von Faltungen, Schlitzungen und Prägungen mit etablierten Vorstellungen von Raum brechen. In den ausgestellten Objekten, die von geometrischen Kompositionen El Lissitzkys und Laszló Moholy-Nagys aus dem Jahre 1923 bis zu Druckgraphiken gegenwärtiger Konzeptkunst reichen, sehen sich die Besucher mit neu gedachten Räumen, außer Kraft gesetzter Erdanziehung und unterschiedlichen, zugleich verwandten Perspektiven konfrontiert.
Wer eher der Darstellung realitätsnaher Räume zugetan ist, wird Gefallen an der zweiten Exposition des Städels finden. Bis zum 13. August werden hier unter dem Titel „Fotografien werden Bilder“ Werke der Becher-Klasse gezeigt, zu der Künstler wie Thomas Ruff, Candida Höfer und Andreas Gursky zählen. Gemeinsam mit ihren Lehrern Hille und Bernd Becher vollzog die erste Becher-Klasse einen der radikalsten Richtungswechsel in der zeitgenössischen Kunst, der vor allem auf ihre ästhetischen, medialen und ökonomischen Rahmenbedingungen Bezug nahm. So verhalfen die Künstler in den 1990er Jahren der Photographie zu einer neuartigen, selbstbewussteren Wahrnehmung als völlig eigenständiges künstlerisches Medium.
Zu sehen sind über 150 teils großformatige Meisterwerke, die sich mit der Natur und dem Lebensraum des Menschen, seiner unmittelbaren Umgebung, privaten und globalen Dimensionen sowie gesellschaftlichen Organisationsprinzipien auseinandersetzen. Erstaunlich ist, dass bei aller Heterogenität der ausgestellten Fotografien eine Gemeinsamkeit frappant ins Auge sticht: Ein ambivalentes Verhältnis zur Malerei, welches zwischen Aneignung und Abgrenzung changiert wie auch eine Reflexion des entscheidenden Moments, in dem sich die Grenzen zwischen Malerei und Photographie kaum merkbar verflüchtigen.
Von Photographien und Werken auf Papier zu dreidimensionaler Kunst im Raum gelangen Sie einige Häuser weiter, wenn Sie auf die Gründerzeitvilla des Barons von Liebieg zusteuern und bereits einige hinreißende Skulpturen entdecken, die sich in einem der schönsten Gärten Frankfurts neckisch hinter Bäumen, Blumen und sattem Grün verstecken. Auf 1600 Quadratmetern Ausstellungsfläche gilt es innerhalb des 1909 eröffneten Liebieghauses noch viel mehr zu entdecken: Eine hochkarätige Sammlung von rund 3000 Skulpturen aus der Zeit vom Alten Ägypten bis zum Klassizismus, die 5000 Jahre erhabenster Bildhauerkunst widerspiegeln. Aktuell steht jedoch eine andere Ära im Vordergrund: der zweite Weltkrieg. So beschäftigt sich die bis zum 27. August gezeigte Ausstellung „Eindeutig bis zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichte. Erworben 1933-1945“ anhand zwölf ausgewählter Objektgeschichten mit während der NS-Zeit erworbener Skulpturen und der Historie des Liebieghauses. Die Exposition präsentiert Ergebnisse eines 2015 ins Leben gerufenen Forschungsprojekts, welches rechtmäßige und unrechtmäßige Erwerbungen im In- und Ausland, Personalpolitik, kriegsbedingte Museumsschließungen, Auslagerungen und Kriegsverluste sowie Restitutionsvereinbarungen der Nachkriegszeit untersucht. Folglich gibt es hier nicht nur erstklassige Bildhauerkunst zu erleben, sondern auch Neues zu einem immerwährenden, relevanten historischen Sujet zu erlernen.
Wenn Sie vor Ihrem Besuch der drei ausnehmend sehenswerten Häuser bereits Hintergrundinformationen zu den gebotenen Ausstellungen und Programmen erhalten und Ihre Vorfreude steigern möchten, finden Sie auf den jeweiligen Internetseiten ein Digitorial, welches Sie als kostenfreies Begleitangebot mit spannenden Einblicken rund um Städel, Schirn und Liebieghaus versorgt, so dass Sie am 6. Mai bestens informiert in das Abenteuer Museumsnacht aufbrechen können, um die ehrwürdigen Hallen des renommierten Dreiergespanns und die in ihnen verborgenen Kunstschätze aus nächster Nähe zu bestaunen.
Fotocredits:
Rotunde der Schirn Kunsthalle Frankfurt © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
Vermittlungsprogramm Liebieghaus Skulpturensammlung, Foto © Liebieghaus Skulpturensammlung