Allgemein

Kleine Stadt ganz groß

Die Luther-Stadt Wittenberg wartet zum Reformationsjubiläum mit großem Ausstellungsprogramm auf

veröffentlicht am 31.03.2017 | Lesezeit: ca. 7 Min.

Schon von Weitem sieht man ihn, den berühmten Turm der Wittenberger Schlosskirche mit der ebenso berühmten Inschrift „Ein feste Burg ist unser Gott“, an dessen Portal – wenn auch umstritten – Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen schlug. Bereits hinter den malerischen Elbauen erspäht man ihn, sieht, wie das Grün der neogotischen Turmhaube mit dem strahlend blauen Himmel um die Wette funkelt. Friedlich liegt es da, das beschauliche Wittenberg. So friedlich, dass man kaum glauben mag, dass dies einst eines der, wenn nicht das kulturelle und geistige Zentrum Europas war. Zwar kannte Luthers Wirken keine Grenzen, aber genau hier hatte es seinen Ursprung, hier wurde Geschichte geschrieben und darauf ist Wittenberg noch heute stolz. Wer Luther auf die Spuren kommen will, kommt an der kleinen, rund 47.000 Einwohner zählenden Elb-Stadt nicht vorbei. Die Vorbereitungen für das Reformationsjahr laufen schon seit Jahren auf Hochtouren, die Stadt hat sich rausgeputzt. Im Oktober 2016, zum Erntedankfest, wurde die Schlosskirche nach jahrelangen Restaurierungsmaßnahmen unter den Augen der Öffentlichkeit, des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und Königin Margrethe II. von Dänemark bei einem Gedenkgottesdienst wiedereröffnet und ist nun wieder für Besucher von nah und fern begehbar.

Einen ganz besonderen Countdown startete man bereits am 31. Juli 2014: Seitdem zählt ein riesiger metallener Globus auf dem Wittenberger Markt die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zur Eröffnung der Weltausstellung Reformation „Tore der Freiheit“. Wer nicht direkt vor Ort ist, kann im Internet verfolgen, wie die Zeit verrinnt (www.r2017.org). 73 Tage sind es aktuell noch bis zum Startschuss am 20. Mai 2017. Den Titel der Weltausstellung nehmen die Veranstalter und Mitwirkenden wörtlich, denn im Sommer 2017 soll sich der Besucher die Stadt über sieben verschiedene Tore und damit verbundene Themenbereiche erschließen. Gestaltet wurden die Tore von Studierenden der Fachrichtungen Architektur, Szenografie, Design und Bildender Kunst. Aus den eingereichten Arbeiten der insgesamt 21 teilnehmenden Universitäten wurden acht Siegerentwürfe gekürt, im Themenbereich „Kultur“ wurde der erste Preis geteilt. An der Umsetzung der Ergebnisse wird dieser Tage fleißig gewerkelt und gebaut. Die insgesamt 16 Themenwochen finden vom 20. Mai bis 10. September 2017 statt und werden von zahlreichen Institutionen, Organisationen und Kulturschaffenden gestaltet. Das detaillierte Programm der Themenwochen finden Sie unter der genannten Adresse.

Wittenberg lässt sich auch sonst nicht lumpen und trumpft mit einer Fülle an weiteren Ausstellungen auf, von denen wir Ihnen zwei vorstellen möchten. „Luther! 95 Schätze, 95 Menschen“, lautet der Titel der großen Nationalen Sonderausstellung im Collegium Augusteum, dem Vordergebäude des Lutherhauses in der Collegienstraße. Als Teil der Wittenberger Universität war das Augusteum fast 200 Jahre Sitz des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg und wird heute als Präsentationsort für Sonderausstellungen der Stiftung Luthergedenkstätten genutzt. Vom 13. Mai bis 5. November 2017 werden auf den rund 1.200 Quadratmetern Ausstellungsfläche Leihgaben aus nationalen und internationalen Sammlungen präsentiert. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht natürlich das zentrale Ereignis der Reformation, der Thesenanschlag. Der erste Ausstellungsteil, nämlich die „95 Schätze“, zeigt zahlreiche Exponate aus dem Leben und Umfeld des jungen Reformators und Augustinermönchs. Sie sollen dabei helfen, hinter die Fassade des Martin Luther zu blicken. Was hat ihn beeinflusst und zu seinem Handeln bewegt? Zu sehen sind unter anderem ein zeitgenössischer Plakatdruck der 95 Thesen sowie der handschriftliche Brief an seinen geistlichen Dienstherren Kardinal Albrecht von Brandenburg, in dem er den Ablasshandel kritisierte. Außerdem wird Luthers private Bibel ausgestellt, mit der er 1530 auf der Veste Coburg arbeitete – zu sehen an seinen zahlreichen Einträgen und Randvermerken. Im zweiten Teil der Ausstellung werden epochenübergreifend „95 Menschen“ aus aller Welt und ihre Sichtweisen auf Luther vorgestellt. Zeit seines Lebens und weit über den Tod hinaus inspirierte, erregte oder gar empörte Luther Menschen auf der ganzen Welt. Viele Berühmtheiten vom 16. bis ins 21. Jahrhundert hatten (oder haben) ein meinungsprägendes Bild von ihm. So äußerten sich zum Beispiel Johann Wolfgang von Goethe, Karl May, Astrid Lindgren, Edward Munch oder Steve Jobs zum Mensch und Reformator Martin Luther. Vor allem dieser zweite Ausstellungteil verheißt interessante Reflektionen auf das Thema Reformation. Ergänzt wird die Schau durch die Mitmach-Ausstellung „Der Mönch war’s!“ für Kinder und Jugendliche, die zu einer Zeitreise ins spätmittelalterliche Wittenberg des 31. Oktobers 1517 einlädt. Acht in der Stadt verteilte Stationen wollen dabei erkundet werden. Besonders spannend: Man darf Thesen stempeln und anschlagen, darf den Kurfürsten mimen, in Luthers Hörsaal nach Informationen forschen oder auf einem Postbotenpferd Richtung Magdeburg reiten. Langweilig klingt anders. „Luther! 95 Schätze, 95 Menschen“ ist eine von drei Nationalen Sonderausstellungen. Ebenfalls mit einer Nationalen Sonderausstellung vertreten sind Das Deutsche Historische Museum in Berlin mit der Schau „Der Luther-Effekt“ (zu sehen vom 12. April bis 5. November im Martin-Gropius-Bau) und Eisenach mit der Ausstellung „Luther und die Deutschen“. (Mehr dazu lesen Sie auf Seite 4)

Von einer ganz anderen Seite nähern kann man sich Luther im ehemaligen Gefängnis am Wittenberger Amtsgericht. Nicht etwa, weil er hier in Gewahrsam genommen wurde, sondern weil das seit Jahren leerstehende Gebäude eigens für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst wiederhergerichtet, d. h. gereinigt und auch in Teilen saniert wurde. Überschrieben mit „Luther und die Avantgarde“, wird hinter den alten Gefängnismauern vom 19. Mai bis 17. September eine Werkschau von 60 verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen präsentiert. Die Namen lesen sich hochkarätig: Ai Weiwei und Jonathan Meese, Ólafur Elíasson und Ayse Erkmer, Erwin Wurm und Markus Lüpertz sind mit von der Partie, um nur einige der Künstler zu nennen, die Wittenberg für sich gewinnen konnte. Was nach einem Experiment klingt, ist auch eines. Jedem der Künstler wird eine Zelle zur freien Verfügung und Gestaltung gestellt. Schon jetzt darf man sich auf die Zelle von Richard Jackson freuen, der unlängst verkündete, seine vier Wände in den Komplementärfarben zu streichen. Bereits im März sind die ersten Künstler „eingezogen“. Mit im Gepäck haben sie Werke, die sich im weitesten Sinne mit der Reformation auseinandersetzen. Betrachtet man Luther als Avantgardisten, liegen die Parallelen zur bildenden Kunst nahe. Die Werkschau zeigt, welche Haltung die Künstler gegenüber Themen wie Freiheit, Widerstand und Individualität einnehmen und welche Kraft von Bildern ausgehen kann. Auch Macht, Moral und Religion sind zentrale Themen der Ausstellung. Abgerundet wird die Wittenberger Avantgarde-Schau durch zwei Außenstellen-Präsentationen. Diese zeigen ergänzende Werke und befinden sich zum einen in der Kirche St. Matthäus in Berlin sowie in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in Kassel.

Mehr Informationen zu allen Ausstellungen finden Sie unter www.3xhammer.de und www.r2017.de.

Fotocredits:
Die Schlosskirche in Wittenberg, Foto © Martin Jehnichen
Reformationsjubiläum 2017, Foto © Martin Jehnichen
Lutherhaus Wittenberg, Stiftung-Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Foto © Anne Hasselbach

Ähnliche Artikel: