Wechselndes Klima: Von Berlin nach Aschaffenburg
Johannes Heisigs „Klimawechsel“ in der Kunsthalle Jesuitenkirche
veröffentlicht am 04.08.2017 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Klimawechsel. Ein stetig relevanter werdendes Thema. Veränderung, unmerklich, bisweilen fast Stagnation, und dann die großen Auswirkungen.
Was hat dieses uns alle betreffende Naturphänomen aber mit Kunst gemein? Vor allem mit der Kunst Johannes Heisigs, die unter genau diesem Titel, „Klimawechsel“, bis zum 26. November 2017 in der Kunsthalle Jesuitenkirche in Aschaffenburg präsentiert wird?
Dies lässt sich am besten durch die Betrachtung des Œuvres herausfinden.
Dabei konzentriert sich die Exposition, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstand, vor allem auf die letzten fünf bis zehn Jahre und legt ihr Augenmerk auf Kunstwerke, die Heisig selbst als im weitesten Sinne politisch versteht.
Politisch kann heutzutage alles sein, politisch will heutzutage fast alle Kunst sein. Doch Heisig stellt die Politik nicht zur Schau, er konstruiert sie nicht als zwingendes Element. Er lässt sie einfließen, wenn sie unvermeidlich einfließen will. Und dies mit Sinn, Recht und Verstand, betrachtet man allein seine Biographie.
Johannes Heisig wuchs in der DDR auf, erlebte die Teilung Berlins, und seine Wiedervereinigung. Wie könnte, wie sollte, eine solche Sozialisierung keine Spuren hinterlassen? Heisig malt Großstadtbilder, ohne ihnen den Berliner Stempel aufzudrücken, er bringt nur Erlebtes in Verbindung mit Ersonnenem und diese Mischung durch pastose Farbaufträge auf überlebensgroße Leinwände.
Impulsiv, ohne Skizzen. So finden sich oft Übermalungen in seinem Œuvre. Nicht bis zur Perfektion, sondern schlicht und einfach bis das Werk fertig ist. Und dies kann bisweilen Jahre dauern, wie „Klimawechsel“ zeigt. Hier hängen Bilder, die in früheren Versionen bereits präsentiert wurden und Jahre später noch eine Bearbeitung erfuhren.
Heisig malt ehrlich. Authentisch. Er bringt autobiographische Verweise ein. Aber nie zu viel, sodass sich nicht alles um den Künstler dreht. Sondern subtil und leise, fast unmerklich. Er stellt Bezüge her, zu Kunst, zu Literatur, zu Geschichte. Er arbeitet vielseitig. Dynamisch, aber auch still. Anmutig, verwischt, figürlich und doch abstrakt. Farbenfroh und zugleich mit einem Deckmantel des Grauen. Oder gar des Grauens? Bisweilen liegt ein Schleier über dem Geschehen, den wir nicht fortwischen können, oder auch nicht wollen. Denn was könnte im Verborgenen liegen, in den unteren, übermalten Schichten? Möglicherweise Teile der Persönlichkeit des Künstlers, die er in jedes Werk legt, unter seinem pastosen Farbauftrag verbirgt und doch immer durchscheinen lässt.
Johannes Heisig erinnert in seiner Themenwahl an Matthias Grünewald, in seinen Portraits an Lovis Corinth, in seiner Arbeitsweise an Gerhard Richter. Er erinnert aber auch an jeden Menschen, dem wir begegnen, weil er menschlich ist, weil er uns mitnimmt auf eine Reise, nicht abgehoben malt, nicht künstlich. Vielmehr künstlerisch erzählt er von anderen Menschen für Menschen. Bisweilen über sich selbst, bisweilen über die Stadt, bisweilen verwendet er biblische Archetypen, um Situationen zu verdeutlichen, bisweilen lässt er seine Figuren hilfesuchend die Arme hochreißen, wenn sie im Strudel der Großstadt zu verschwinden drohen.
Großstadt. Ein weiteres zentrales Thema, welches dem zentralen Werk der Exposition innewohnt. „Be Berlin oder die einende Kraft der Musik“ heißt ein 2009/2011 entstandenes Triptychon, das überlebensgroße Maße annimmt (5 x 1,50 m) und an prominenter Stelle vor der Apsis positioniert ist. Simultane oder zeitverschobene Abläufe verschmelzen hier zu einem Ganzen, räumliche Distanzen werden überwunden, ein Dialog verschiedener Szenerien wird ermöglicht. In einem religiös konnotierten und der Darstellung der Kreuzigung vorbehaltenen Format bringt Heisig hier Berlin auf drei Tafeln. In der Mitte sticht ein Saxophonist hervor, die einende Kraft der Musik, die der Titel verspricht, verkörpernd. Auf der linken Seite der Mitteltafel formiert sich die Ostseite, auf der rechten ergänzend dazu der Westen. Eine Dreiergruppe von drei Männern zeigt Kennedys Besuch in Westberlin, enthält sie doch den amerikanischen Präsidenten und ihn flankierend Willy Brandt sowie Konrad Adenauer. Für den Ostteil steht der unbekleidete Cellospieler Mstislav Rostropovich, der extra nach Berlin reiste, um am Tag nach der Wiedervereinigung am Checkpoint Charlie zu spielen. In dieser Manier füllt sich das großformatige Triptychon mit Verkörperungen des Westens wie Gottfried Benn und ihren Ostpendants wie Heiner Müller an. Dominierend im Blickpunkt stets die Kultur und ihre grenzüberschreitende Kraft, die einend wirken will. Viel ist dargestellt, doch nicht, um ausdrückliche Geschichten zu erzählen, eine Lösung vorzugeben, sondern um uns assoziieren zu lassen, unsere eigenen Schlüsse daraus zu ziehen und unsere eigenen Geschichten aufleben zu lassen. Assoziativ, subtil. Keine Fragen beantwortend, sondern sie viel mehr stellend. So wie die eingangs formulierte Frage, was dies alles mit Klimawechsel zu tun habe. Aber sind offene Fragen nicht die schönsten?