Die verbindende Kraft des Singens
Die Chöre am Bamberger Dom
veröffentlicht am 08.01.2014 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Mancher Fußballverein wäre glücklich, wenn er so viele aktive Mitglieder hätte: Über 400 Sängerinnen und Sänger engagieren sich in den Chören am Bamberger Dom. Zugegeben, viele von ihnen sind noch dabei, ihre Stimme zu finden und das Singen von der Pieke auf zu lernen. Doch immerhin sind circa 180 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene regelmäßig in der Kathedrale zu hören, wenn auch in unterschiedlichen Gruppierungen.
Reine Männersache bis 1995
Gesungen wurde im Dom wohl vom ersten Tag an. Auch wenn die Existenz eines Chores erst seit dem Jahr 1192 belegt ist, darf man davon ausgehen, dass bereits bei der Weihe des ersten Doms, am 6. Mai 1012, eine ausgebildete Sängerschar den Gottesdienst begleitete. Es war die Aufgabe der „Chorherren“, täglich bei den Stundengebeten und Messen zu singen und den sängerischen Nachwuchs auszubilden. Der heutige Domchor kann sich stolz auf diese tausendjährige Singtradition berufen, wenngleich der Chor seine jetzige Gestalt erst im 19. Jahrhundert erhielt. Ebenso stolz darf er sein, zur mittlerweile äußerst seltenen Spezies der Knabenchöre zu gehören. Zurzeit gehören 45 Buben und 30 Herren dem Domchor an, weitere 20 befinden sich noch in der Ausbildung. Die Hauptaufgabe der Chöre am Dom ist die musikalische Gestaltung der Gottesdienste des Erzbischofs und des Domkapitels. Darüber hinaus engagieren sie sich auch im konzertanten Bereich. So singt der Knabenchor in der Regel etwa. 20 Mal pro Jahr im Dom. Der Schwerpunkt des musikalischen Repertoires liegt auf der Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts, für deren Ausführung Knabenstimmen besonders prädestiniert sind. Die Herren pflegen - wie nur wenige Ensembles - regelmäßig den Gregorianischen Choral.
Zu den Höhepunkten des Chorlebens gehört die Aufführung repräsentativer Werke, dies oft mit Instrumentalisten der Bamberger Symphoniker. Besondere Freude haben die Sänger an den Messen von Mozart, Haydn oder Schubert, jedoch hat auch der gelegentliche Ausflug ins „Weltliche“ seinen Reiz. Carl Orffs „Carmina Burana“ oder Gustav Mahlers 3. Sinfonie im Konzert mit den hiesigen Symphonikern sind Erlebnisse, die ein Sängerleben prägen.
Mädchenkantorei
Im Vergleich mit dem altehrwürdigen Knabenchor mutet die Mädchenkantorei taufrisch an. So wirkt sie auch. Bald nach der Gründung im Oktober 1989 durch Werner Pees zeigten die „Neuen am Dom“ Quantität und Qualität. Bereits Mitte der Neunziger zählte die Mädchenkantorei 180 Sängerinnen zwischen acht und achtzehn Jahren. 1997 ersang sich der Chor den 1. Platz beim Bayerischen Chorwettbewerb und vertrat Bayern beim Deutschen Chorwettbewerb mit einer sehr guten Gesamtwertung. 2006 qualifizierten sich die Bambergerinnen als bestplatzierter Mädchenchor Bayerns erneut für den Bundeswettbewerb. Zur Erfolgsgeschichte des jungen Chores gehören CD-Aufnahmen, die Mitwirkung bei Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie Konzertreisen in ein Dutzend europäischer Länder und nach Kanada. Dem Chor gehören momentan 150 Sängerinnen an.
Domkantorei
Der jüngste Chor am Dom ist die 1995 gegründete Domkantorei. Das Attribut jung bezieht sich hier nicht nur auf die Zeit seiner Existenz, sondern auch auf das Durchschnittsalter seiner Mitglieder. Die geballte Singerfahrung der jungen Sängerinnen und Sänger, die fast ausschließlich aus dem eigenen Nachwuchs stammen, ist hörbar: Die Domkantorei verfügt über ein breites Spektrum an Literatur, der Chorklang ist hell und frisch. In der Alten Musik fühlen sich die 55 Jugendlichen und Erwachsenen ebenso sicher wie in der zeitgenössischen Tonsprache. Sie blicken stolz auf mehrere Uraufführungen zurück, darunter die Vesper zum Bistumsjubiläum von Wolfram Buchenberg, die als CD-Produktion vorliegt, und die „Bamberger Messe“ von Hans Schanderl aus dem Jahre 2012, deren erste Aufführung im Bayerischen Fernsehen live übertragen wurde. Eine gute Singstimme, ausreichende Chorerfahrung und Blattsingefähigkeit sind Voraussetzungen für die Aufnahme in die Domkantorei.
Woher kommt der Nachwuchs?
Die demografische Entwicklung, die hohe schulische Belastung der Kinder und das Freizeitverhalten der Menschen sind nur einige Gründe dafür, dass Musik und besonders Chorgesang es heute besonders schwer haben. Das Musizieren im Ensemble verlangt Ausdauer, Zuverlässigkeit, Leistungsbereitschaft und Achtsamkeit; Tugenden also, die in unserer Zeit selten zu sein scheinen. Bei der Dommusik gibt es sie noch. Immer mehr Eltern streben für ihre Kinder eine fundierte Ausbildung an, dabei wissen sie auch den Wert der musikalischen Erziehung zu schätzen. Singen öffnet die Sinne, fördert Intelligenz und Konzentrationsfähigkeit und ist überdies noch gesund. Wissenschaftler haben es nachgewiesen: Beim Singen kommt es vermehrt zur Ausschüttung des Glückshormons Dopamin. Völlig zweckfrei, aus reinem Spaß an der Musik spielen, trällern und tanzen indessen 70 Kleinkinder zwischen zwei und fünf Jahren in den Gruppen des Musikgartens und der Musikalischen Früherziehung. 20 Fünf- und Sechsjährige besuchen die Chorische Früherziehung, bevor sie in die direkten Ausbildungskurse von Domchor und Mädchenchor aufgenommen werden.
Die Domchöre im kulturellen Leben der Region
Die Chöre sind - ihrem Auftrag gemäß – am häufigsten in den Domgottesdiensten zu hören, Konzerte bleiben Nebenaufgaben. Immerhin werden die Sängerinnen und Sänger jährlich von geschätzten 12.000 bis 15.000 Menschen gehört, auch wenn dies nur teilweise aus musikalischem Interesse geschieht. Einige Tausend verfolgen die Konzerte im Dom, in der Region oder weit über den heimatlichen Radius hinaus. Eine der Hauptleistungen der Dommusik wird allzu leicht unterschätzt, weil sie überwiegend im „Verborgenen“ geschieht: die musikalische und stimmliche Erziehung junger Menschen durch Ensemblesingen und Gesangsunterricht. Unzählige Männer und Tausende Frauen haben in Domchor und Mädchenkantorei ihre Stimme gefunden, einige haben sie soweit kultiviert, dass sie damit ihr Brot verdienen, andere behalten den Gesang als wertvolles Hobby bei, wieder anderen hat die Zeit im Chor Herz und Ohr geöffnet, sodass Musik seither zu ihrem Leben gehört. Die verbindende Kraft der Musik gehört in den Erfahrungsschatz aller Sängerinnen und Sänger. Für die Domchöre gilt das gleiche wie für den Fußball: ihre Stärke ist die Gemeinsamkeit.
Copyright Foto: Bamberger Dommusik