Klassiker

Im Reich der Königinnen

Sind Bambergs Orgeln nur im Kirchendienst oder mischen sie auch im öffentlichen Konzertwesen mit?

veröffentlicht am 08.01.2014 | Lesezeit: ca. 7 Min.

Das Klischee will es so: Die Orgel gehört in den Sakralraum und widmet sich deshalb der Kirchenmusik. Die Folge ist, dass Kirchenferne häufig auch Orgelferne bedingt, denn wer nicht durch kirchliche Bindungen mit ihr aufwächst, dem kann sie kaum vertraut werden. Freilich ist sie zuvörderst musikalische Messdienerin, aber sie gibt sich bisweilen auch sehr emanzipiert, ja sogar bewusst profan. Damit knüpft sie an ihre Ursprünge an, denn die lagen in der Antike eher bei der Ausschmückung von Festen oder Wettkämpfen.

In Bamberg kommen längst alle Melomanen, ob Kirchgänger oder nicht, in den Genuss anspruchsvoller Orgelkonzerte, die neben dem angestammten Repertoire auch rein weltliche Werke oder symphonische Transskriptionen anbieten, von den stets mit Spannung erwarteten Improvisationen ganz zu schweigen. Die Instrumente dafür sind da, aber es müssen durchaus nicht immer die beiden viermanualigen Königinnen der Instrumente (im Dom und in der Konzerthalle) sein, die mit ihren jeweils 75 Registern die Zuhörer überwältigen wollen. An drei prestigebehafteten Orten haben wir nachgefragt und dabei auf dem Domberg angefangen.

Dom

Markus Willinger hat bald nach seinem Amtsantritt 1995 als Domorganist und Orgelsachverständiger der Erzdiözese damit begonnen, die katholische Orgellandschaft in einem Sinne zu prägen, für den es seiner Meinung nach keine Alternative gibt: Nur das Beste kommt bei Neubauten oder Umgestaltungen in Frage, denn die Orgel ist ein Mehrgenerationenprojekt, das ganz auf Nachhaltigkeit setzt. Qualität kann Jahrhunderte überdauern, Mittelmaß allenfalls ein paar Jahrzehnte. Das Ergebnis dieser kompromisslosen Strategie ist die Bereicherung der städtischen Orgellandschaft um einige Instrumente in kleineren oder weniger zentral gelegenen Kirchen, denen man auch aus der Kathedralperspektive Konzertfähigkeit bescheinigen muss. Genannt seien nur die Sandtner-Orgel in St. Kunigund (Gartenstadt) oder die Rohlf-Orgel in St. Urban (Babenberger Ring). Dass zwei der schönsten Orgelprospekte Bambergs quasi verstummt sind, bedauert der Domorganist, doch das Instrument hinter dem grazilen Rokokogehäuse in der Oberen Pfarre erklingt außerhalb der Messen kaum noch, und die Michaelskirche mit ihrem frühbarocken Orgelprospekt und einer hervorragenden Akustik wird wohl für Jahre geschlossen bleiben. An seinem eigenen Orgelplatz hat Markus Willinger viel beachtete Großzyklen realisiert, unter anderem zweimal den gesamten Bach (alleine und mit Kollegen) und einen Gang durchs Kirchenjahr mit renommierten Kathedralorganisten. Eine lange Tradition haben die halbstündigen Samstagskonzerte und das Orgelkonzert zur Sandkirchweih. Nach Projekten befragt, denkt der Domorganist in großen Dimensionen, etwa an Olivier Messiaens „Livre du Saint-Sacrement“, an Bachs „Kunst der Fuge“ und die „Clavierübung III“ oder gar an eine Transkription von Bruckners Fünfter Symphonie.

St. Stephan

An Bambergs evangelischer Hauptkirche stellen sich die Verhältnisse ganz anders dar, denn dort, auf dem Stephansberg, residiert seit 2000 eine Kantorin mit dem traditionellen Aufgabengebiet Orgel und Chöre - Multitasking sozusagen. Ingrid Kasper, aus dem Nürnbergischen kommend, hat sich neben ihrer renommierten Stephanskantorei überdies die anspruchsvolle Leitungsaufgabe des musica-viva-chores zumuten lassen. Doch zurück zur Orgelszene und damit zu einem kapitalen Instrument, das mittlerweile aus der hiesigen sakralen und konzertanten Orgelszene nicht mehr wegzudenken ist. Der Kantorin stand bei ihrer Ankunft in Bamberg eine ganz dem Zeitgeist der sechziger Jahre verhaftete Orgel zur Verfügung, Stichwort „neobarock“. Damit ließ sich nur ein relativ begrenztes Repertoire spielen. Seit 2008 verfügt Kasper jedoch über eine mächtige dreimanualige Orgel, die mit ihren 54 Registern (inklusive eines Glockenspiels!) den akustisch dankbaren Kirchenraum geradezu majestätisch ausfüllt. Das ist an einem ganz bestimmten Termin auch besonders notwendig, nämlich dem traditionsreichen Silvesterkonzert, mit dem alljährlich am 31.Dezember um 22 Uhr das alte Jahr ausklingt. An den Tasten sitzt natürlich die Titularorganistin. Aus den Benefizkonzerten, die von ihr für die Finanzierung der Mühleisen-Orgel ins Leben gerufen wurden, ist mittlerweile eine Reihe zum beliebten 17-Uhr-Termin am Sonntagnachmittag geworden. Darüber hinaus ist Ingrid Kasper dabei, einen festen Abendtermin donnerstags zu etablieren, hier vor allem mit anderen Instrumenten oder mit ihrem Chor. Sie nennt das „Orgel und“ - man spricht deutsch! Als nächstes Projekt schwebt ihr eine circa sechsteilige Konzertreihe vor, die sich thematisch durch das ganze Kirchenjahr zieht. Wer aber glaubt, diesem Instrument seien nur sakrale Töne zu entlocken, sieht sich angenehm enttäuscht: Ab und zu ist auch Profanes auf dem Stephansberg willkommen, und so wie es klingt, scheint sich die Orgel drüber zu freuen...

Konzerthalle

Auf eine mittlerweile 20-jährige Tradition kann die Orgelkonzertreihe der Bamberger Symphoniker/Bayerische Staatsphilharmonie zurückblicken. Gegründet von Edgar Krapp, der 1988 nachdrücklich auf den Einbau einer großen Hallenorgel in die Symphonie an der Regnitz bestand, hat sie sich abseits der Orgelmusikpflege in den Kirchen längst etabliert und eigene Akzente setzen können. Aufgrund der Qualität der Jann-Orgel mit ihren schier unbegrenzten Farbmöglichkeiten hat er in zwei Dezennien als Mentor dieser Reihe fast alle Größen des internationalen Organistengewerbes an die vier Manuale der vorzüglichen Orgel locken können. Nach der finalen Saison des Münchner Orgelprofessors aus Bamberg übernahm ein junger, aber bereits arrivierter Künstler aus Würzburg die Rolle des Kurators: Gunther Rost, Konzertorganist und ebenfalls Hochschullehrer. Er setzt einerseits auf ganz große Namen wie Olivier Latry oder Cameron Carpenter, will aber auch weniger bekannten oder noch unentdeckten Nachwuchs in die vierteilige Reihe holen. Selbstverständlich gestaltet er – so wie es auch Edgar Krapp machte - jeweils ein Konzert der Reihe selber. Die Einbeziehung von Vokalisten oder anderen Instrumenten, quasi im Sinne eines Konzeptes „Orgel plus“, ist ihm ein Anliegen. Fragt man Gunther Rost, wo in der Bandbreite zwischen einem traditionellen Sakralorganisten und einem bühnenpräsenten Konzertorganisten seine Präferenzen zu finden sind, so plädiert er eindeutig für die Loslösung der Orgel vom Hautgout des liturgisch Dienenden und für ihre Integration ins allgemeine Konzertwesen. Man müsse die Orgelmusik in einer gänzlich profanen Konzertreihe mit autonomer Kunst assoziieren. Das impliziere auch die Hinwendung zu Transkriptionen von Orchesterwerken oder zu neuen Besetzungen wie Orgel plus Violine, plus Chor, plus Bläser und so weiter. Zum umstrittenen Auftritt von Cameron Carpenter im letzten Mai befragt, wehrt sich der „Organist in residence“ der Bamberger Symphoniker gegen eine Abqualifizierung des Weltstars als Show- oder Eventkünstler. Er spiele Werke nicht willkürlich subjektiv, sondern erweitere das Interpretationsspektrum – ähnlich wie das Regietheater – durch völlig andere Herangehensweisen.

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