Über „Normalverdiener“ und das leise Sterben der Mittelschicht
Am Sonntag fand in Bamberg die Uraufführung des Stückes „Normalverdiener“ von Kathrin Röggla und Leopold von Verschuer statt
veröffentlicht am 10.10.2017 | Lesezeit: ca. 3 Min.
Normalverdiener – das ist diese vom Aussterben bedrohte Art, die die Schere zwischen Arm und Reich in der Theorie schließen sollte. Dass sich die Theorie inzwischen in immer utopischer werdende Ferne verabschiedet, ist 2017 Tatsache. Worum es in Kathrin Rögglas Stück „Normalverdiener“ gehen wird, konnte man sich also anhand des bloßen Titels zusammenreimen, vielleicht kannte man auch schon das Hörspiel zum Text. Aber wie Regisseur Leopold von Verschuer den Text der Bamberger Poetikprofessorin auf der Bühne umsetzen wird, das war die Frage, deren Antwort es vor der gestrigen Uraufführung im Bamberger ETA Hoffmann Theater abzuwarten galt.
Zu Beginn der Vorstellung liegen fünf vom Alltag geplagte Freunde in Reih und Glied aufgebahrt auf fünf Wellness-Pritschen. Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes Gurken auf den Augen und merken zwar, dass Freund Nummer 6 fehlt, verbringen ihre kostbare Auszeit aber lieber damit, über sich und ihren Gastgeber Felsch zu sinnieren. Felsch ist zwar auf der eigenen kleinen südostasiatischen Insel, auf die er seine ehemaligen Schulfreunde eigeladen hat, nicht physisch anwesend (man hört ihn nur hin und wieder telefonieren), dafür ist der mystifizierte Finanzhai und -gott, Steuerflüchtling und Großverdiener im Geiste überpräsent.
Körperlich anwesend ist hingegen ein mit einer Göttermaske markierter Diener, der sich zwar immer wieder hinter die indirekt beleuchtete Kulisse verabschiedet, jedoch regelmäßig auftaucht, um Handtuch oder Reisgericht zu reichen. Das Reisgericht bekommt einem der Freunde gar nicht gut, sodass bald noch mehr Verluste zu beklagen sind. Die Bühnensprache ist, wie in vielen Texten der mehrfach ausgezeichneten Prosa- und Theaterautorin, der (kategorische) Konjunktiv, der für, wohlgemerkt, fünf Freunde regelrecht symptomatisch ist und eben zu einer Art Maxime der (un)freiwilligen Handlungsunfähigkeit wird. Einzig Johannes, der von Beginn an verloren gegangene sechste im Bunde, hatte dem Konjunktiv und der realen und doch nie greifbaren Person Felsch etwas entgegenzusetzen. Und ist untergegangen, im Pool der Belanglosigkeiten, im Meer der einstigen Normalverdiener.
So themengewaltig der Text, der von Leopold von Verschuer bereits 2016 als Hörspiel vertont wurde, daherkommt, so wenig Dynamik lässt er für die Bühnenadaption zu. Geradezu bewegungslos wabern die Normalverdiener wie Schatten ihrer selbst umher, die sich zu geisterhaften Gestalten auflösen und schließlich als Tote dort enden, wo sie sich am Anfang eigentlich erholen wollten - auf dem Seziertisch.
Zusammenhangslose Gesprächsfetzen, tausende subversive gesellschaftspolitische Andeutungen, die irgendwo im Raum verschwimmen und nie zu Ende gedacht werden und die allgegenwärtige Trägheit der Handlung strengen zuletzt ziemlich an. Und hinterlassen einen konfusen Nachgeschmack.
Fotocredits:
Szenenfoto "Normalverdiener" © Martin Kaufhold