
Was haben die CIA, Rainer Werner Fassbinders „Deutschland im Herbst“ und Alice hinter den Spiegeln gemein? Auf den ersten Blick nicht viel. Riskiert man einen zweiten, bemerkt man, dass die gemeinsamen Fäden in Nürnberg zusammenlaufen – auf den Bühnen der Tafelhalle und des Künstlerhauses, wo im September die neue Tanz- und Theaterspielzeit beginnt. Sucht man weiter nach Verknüpfungen oder gar einem Muster in der Auswahl der Stücke, könnte man sich vielleicht darauf einigen, dass die Nachrichten beherrschenden Themen Terror, IS und Flüchtlingskrise auch hier tongebend sind. Aber nur vielleicht, denn auch dieser Gedankenstrick ist schnell zu Ende geknüpft. „Alice hinter den Spiegeln“ lässt sicher einen großen Interpretationsspielraum zu, aber eine Brücke zum Terror zu schlagen, wird schwierig – höchstens zum täglichen Terror, dem sich ein heranwachsender Mensch ausgesetzt fühlt. Aber das Programm ist mehr als das. In vielen der insgesamt 20 Stücke scheint Ohnmacht mitzuschwingen, gleichzeitig aber auch geistiger und körperlicher Bewegungsdrang, Lebendigkeit und jede Menge Experimentierfreude.
So startet die Saison am 24. September mit einem Tanztauschprojekt, bei dem die KünstlerInnen nach einer Idee von Manfred Kröll ihre Choreografien und Songs tauschen. Der Zuschauer wird Zeuge dieses Experiments. Weiter geht es ernst, aber vielversprechend: Unter der Regie von Dominik Breuer gastiert das Brachland-Ensemble mit dem Live-Hörspiel „Ready for Boarding“ in der Nürnberger Tafelhalle. Das Hörspiel basiert auf dem 600 Seiten langen offiziellen Bericht des US-Senats über das CIA-Verhör- und Internierungsprogramm. Das Stück ist dabei weniger als Kritik an der US-Regierung zu verstehen, vielmehr werden Folterpraktiken wie das Waterboarding und das offensichtliche Versagen der Bürokratie in Zeiten des Terrors in den Vordergrund gerückt. Der Regisseur Barish Karademir wagt sich vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation in Europa tänzerisch an Falk Richters Stück „Je suis Fassbinder“, das sich wiederum an Rainer Werner Fassbinders 1977 uraufgeführten Stück „Deutschland im Herbst“ orientiert. Die RAF lässt grüßen. Nachdenklich stimmt auch Anna-Lena Kühners Stück „Abgesoffen“, denn es geht um zwei Auftragsmörder, die den x-ten nordafrikanischen Immigranten in der Straße von Gibraltar versenken sollen. Harter Tobak – das realisieren die beiden Killer auf ihrer Fahrt von Madrid nach Gibraltar nur sehr langsam, aber immerhin stellen sie sich wenigstens irgendwann die Frage, was sie von dem Toten im Kofferraum eigentlich unterscheidet.
Richtig, da war doch noch was mit Alice. Lewis Carolls Klassiker „Alice hinter den Spiegeln“ wird von Curtis & Co. – dance affairs ganz einfach ertanzt. „Alice.ecilA“ heißt das temporeiche Tanztheater von Susanna Curtis, deren Arbeiten mit dem Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet wurden. Vor allem die Wirren des Erwachsenwerdens und das ewige Gefühlschaos sind hier thematisch relevant. Ausgefallen bleibt es auch im kommenden Jahr. Ab März zeigt die Tafelhalle Rodrigo Garcias Stück „After Sun“. Regie führt Katja Kendler. Darauf darf man gespannt sein, denn die Schauspieler Lisa Sophie Kusz und Gunnar Seidel werden an ein EKG-Gerät angeschlossen, das ihre statistisch errechneten, bis zum Tod verbleibenden Herzschläge herunterzählt. Die Vorstellung schlägt im Takt ihrer Herzen und steht im Zeichen des Rausches, denn die beiden Akteure suchen nach dem ultimativen Kick. Je größer der Kick, desto schneller der Herzschlag und kürzer das Leben. Dabei stellt sich die Frage, wie weit wir bereit sind zu gehen. Leben wir lieber kurz, aber intensiv oder lange und maßvoll? Das Publikum darf mitbestimmen, wer von beiden mehr Herzschläge in Rechnung geben muss.
Alexandra Rauh, Gunnar Seidel sowie Thalias Kompagnons haben in der kommenden Saison auch die Kinder bedacht. „Tabula Rasa“ setzt sich kindgerecht mit dem Thema Flüchtlinge auseinander. TänzerInnen stellen sich der Frage, wie wir ein Zusammenleben mit fremden Kulturen gemeinsam angehen können. Die Bühne übernimmt dabei die Rolle eines Testlabors, in dem experimentiert wird und im Falle eines möglichen Scheiterns „Tabula Rasa“ gemacht und alles auf Anfang gesetzt werden kann. Thalias Kompagnons hingegen malen und matschen vor den Augen der ganz Kleinen (ab 4 Jahren) mit Farbe und Knete, was nach einer Sauerei und ziemlich viel Spaß klingt.