Seelenschatten aus schwarzem Eisen
Die siebte Ausstellung mit Großplastiken in Bamberg ist dem portugiesischen Künstler Rui Chafes gewidmet
veröffentlicht am 04.06.2018 | Lesezeit: ca. 10 Min.
Eine weitere Ausstellung mit Großplastiken in Bamberg, das war anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Ernennung der Altstadt zum Weltkulturerbe der UNESCO fast zu erwarten. Trotzdem, es braucht natürlich auch einen Initiator, und da war einmal mehr derjenige zur Stelle, dem die Stadt schon die vergangenen Ausstellungen zu verdanken hatte, nämlich Bernd Goldmann, der frühere Direktor des Künstlerhauses. Er hat nach Botero, Avramidis, Mitoraj, Wortelkamp, Luginbühl und Lüpertz einen Künstler ausgewählt, der längst eine Beziehung zu Bamberg besitzt, und dem es nach eigener Aussage eine „Ehre ist, in Bamberg ausstellen zu dürfen“. Kein Wunder, denn der Portugiese Rui Chafes ist kein Neuer in der Welterbestadt, hat er doch bereits vor ca. 10 Jahren seine stählerne Skulptur mit dem Titel „Stärker als der Tod“ aufstellen lassen, eine andere im Restaurant „Eckerts“.
Für die Ausstellung 2018 unter dem Titel „Seelenschatten“, die bereits vor wenigen Tagen eröffnet wurde, ist ein Zeitrahmen bis mindestens Ende August vorgesehen. An ca. 15 Bamberger Orten im Innenstadtbereich, aber ebenfalls an der Peripherie und sogar im Grünen sollen die Plastiken zu sehen sein, die bis zu fünf Meter Höhe erreichen, aber auch mit einigen kleineren Formaten vertreten sein werden. Vorherrschendes Material ist schwarzes Eisen. Der Künstler selbst, der übrigens perfekt deutsch spricht und Werke des Dichters Novalis ins Portugiesische übersetzt hat, war an der Auswahl der Plätze für seine Skulpturen maßgeblich beteiligt und äußerte bereits im Vorfeld seine gespannte Neugier darauf, wie die Werke letztendlich auf die einheimischen Bürger und die Touristen wirken würden.
Für Rui Chafes muss die Kunst „verstören, aufwecken und verwirren“. Mehr noch, sie sei nicht dafür da, sich gut zu fühlen, eher dafür „sich schlecht zu fühlen“. Kunst darf für ihn nicht dafür gemacht werden, um angenehm, sympathisch oder bequem zu sein. Dafür gebe es das Dekorative und den „guten Geschmack“; Letzterer sei jedoch tödlich für die Kunst. Zu dem von ihm verwendeten Material, dem eigentlich so tot scheinenden Eisen, hat er eine besondere Beziehung.
Schon während seines Studiums habe er gelernt, „auf das Eisen zu hören“, und heute noch versuche er in seinem Innersten, es wahrzunehmen. Während seiner Arbeit höre er das Eisen zu sich sprechen und ihm mitzuteilen „komm hierher“ oder „geh dorthin“. Er nehme quasi die Befehle des Materials wahr, aber die Voraussetzung dafür sei, dass man die Technik kennen und lieben gelernt habe.
Paradox erscheint insofern das haptische Verhältnis, das Rui Chafes zu seinen Artefakten hat. Für ihn ist es undenkbar, Plastiken zu betasten, weil sie Schatten glichen. Schatten berühre man nicht, denn es gebe an ihnen nichts Greifbares. Die Bildhauerkunst sei eine visuelle Kunst, die auf die Dimensionen Raum, Masse und eine zunehmende Temperatur abziele, weshalb das Anfassen eine Freveltat wäre. Wörtlich führt er aus: „Was für mich wichtig ist in der Plastik, gehört in den Bereich des Visuellen, des Suggestiven und sogar des Metaphorischen, aber nicht in den Bereich des Fühlbaren“.
Begibt man sich nun in einem Rundgang auf die Suche nach den Großplastiken, so ist der erste Eindruck, dass man Rui Chafes’ eiserne Werke grob in zwei Kategorien einsortieren kann. Die erste ist charakterisiert von einem rätselhaften, fast abweisenden Ersteindruck, den eher monolithische, stelenartige Figuren wie der im Hain an einer Wegkreuzung aufgestellte „Erste Blick“ erwecken. Ähnliches gilt für den perforierten länglichen Quader namens „Schattenfeld“ am Schiffbauplatz, dem in seiner unerbittlichen symmetrischen Form jeglicher Charme bewegter Linienführung abgeht. Noch einmal gesteigert findet sich dieser Eindruck, wenn man den Innenhof von St. Martin betritt und die monumental in die Höhe ragende Plastik anschaut, deren recht kleiner Quader, in dem sie gipfelt, sich umgekehrt proportional verhält zu den vier sich symmetrisch zur Mitte neigenden Stangen, die ihn tragen. Das am größten dimensionierte Objekt ist auf dem Anger gegenüber dem Erzbischöflichen Palais aufgestellt. Zwei Hochsitze erinnern an die Schiedsrichterplätze am Rande eines Tennisplatzes. Wer sich aber auf dem Court von Wimbledon wähnt, sollte sich den Titel dieses eigenartigen Arrangements („Das Herz essen“) durch den Kopf gehen lassen und eigene Assoziationen entwickeln.
Die zweite Gruppe verhält sich dazu so konträr, dass man kaum an die Autorenschaft desselben Bildhauers glauben möchte. Dazu gehören solch leichte und grazile, im wahrsten Sinne des Wortes „luftige“ Plastiken wie das ebenfalls im Hain hoch zwischen den Buchen hängende „Was erschreckt dich so“ oder das dynamisch-elegante, von Kugeln geprägte „Ich gehöre mir nicht selbst“, das den Domkranz veredelt. Letztere gehorchen nicht unbedingt einer erläuternden Plausibilität, sondern sind eher als autonomes L’art pour l’art zu verstehen. Man möchte sie ganz einfach als „schön“ bezeichnen, üben sie doch eine ästhetische Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann.
Das liegt auch daran, dass Rui Chafes einen Hang zum Schwebenden hat: Die beiden im Hain hängenden Plastiken entbehren ebenso wie der aus einem Balkon in der Kapuzinerstraße herausquellende „Erschöpfte Mond“ oder der in der Roppeltsgasse von der Dombergmauer herunterlugende „Vor Kälte sterbende Mond“ einer Basis, verzichten also auf Standfestigkeit oder Verwurzelung. Vielleicht sind es diese schwebenden Figuren, die ob ihrer Eleganz das vom Künstler betonte Postulat der Unberührbarkeit bzw. Unantastbarkeit der eisernen Kunstwerke verständlich machen. Dem schwebenden, also der Schwerkraft enthobenen Objekt korreliert die zwar standfeste, aber nach oben strebende Plastik, so jene schon erwähnte vor dem Domeingang, die ähnlich empfundenen Werke mit den Titeln „Ich will alles von Dir“ und „Langsamer Traum“ auf der Oberen Brücke oder die eher unscheinbare – und zudem unglücklich platzierte – Skulptur vor dem Eingang der Universitätsbibliothek 4 am Heumarkt, die von einer Helix „bekrönt“ wird.
Ob die Titel der Kunstwerke erklärenden Charakter besitzen oder reine Phantasien assoziativer Art sind und damit nicht beim Wort genommen werden müssen, mag jeder Betrachter selbst entscheiden. Im Vordergrund stehen bei der Titelwahl persönliche Befindlichkeiten oder Haltungen. Beispiele: „Verlassenheit, die wie Ablehnung erscheint“, „Ich will alles von dir“, das schon erwähnte „Ich gehöre mir nicht selbst“, „Lass die Augen zu“, „Langsamer Traum“ oder „Geheime Souveränität“. Der Mond kommt gleich dreimal vor, nämlich als „ängstlicher“, „vor Kälte sterbender“ und „erschöpfter“ Begleiter der Erde. Manches Rätselhafte muss man bei dieser Ausstellung nicht unbedingt dechiffrieren, vielmehr ist die Phantasie der Besucher gefordert – sowie die Bereitschaft, den eigenen Assoziationen zwanglos zu folgen.
Zwei Fragen an Dr. Bernd Goldmann, den ehemaligen Direktors des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia sowie Initiator und Kurator der Großplastiken-Ausstellungen in Bamberg:
ART. 5|III: Herr Dr. Goldmann, was sind für Sie bei Rui Chafes die neuen Aspekte hinsichtlich Material, Formensprache und Aussage im Vergleich zu den Künstlern der bisherigen Ausstellungen mit Großplastiken in Bamberg?
Rui Chafes passt vorzüglich in das Konzept der zu zeigenden Vielfalt in der Kunst der Gegenwart. Seine Plastiken, die er selbst aus Eisen schweißt und dann lackiert, kommen abstrakt daher. Sie scheinen von einer Leichtigkeit, die nichts mit dem realen Material zu tun hat. Denken Sie an die wunderbare Kugel auf den Bändern im Bamberger Dom anlässlich der Ausstellung im Dom 2012. Denken Sie auch an die zweiteilige Arbeit von 2007 (Villach und St. Stephan), in der die „Schwerkraft“ ebenfalls überwunden wird. Insgesamt tritt Rui Chafes eher bescheiden auf, auch wenn er sicher im öffentlichen Raum mit seinen Skulpturen nicht übersehen werden kann. Man muss sich eben einlassen und einsehen.
ART. 5|III: Welche Gedanken haben Sie sich zur Standortwahl gemacht bzw. welche Kriterien haben Sie geleitet?
Die Standortwahl ist ein längerer Prozess und immer schwierig. Es gilt die Stadt nicht zu möblieren. Dazu sind mehrere Prozesse notwendig. Zuerst werden die Arbeiten im Atelier und aus Katalogen (wegen der Museen, Galerien und Privatsammler) ausgesucht. Die werden nicht alle genommen; ein Teil wird wieder verworfen oder sie sind nicht zu haben. Dann gehe ich mit der Idee durch die Stadt. Ich besuchte auch mehrere Ausstellungen von Rui Chafes. Anschließend kam der Künstler zweimal hierher. Die Gespräche ergaben beim zweiten Mal die endgültige Aufstellung wie auch Auswahl. Dazu ist anzumerken, dass einige Arbeiten wegen des Ortes unmittelbar für Bamberg entstanden. Die Figuren, so filigran sie sind, besetzen und verändern den Raum. Beispiel: Vom Obstmarkt kommend ist eine Arbeit am Alten Rathaus links aufgestellt. Sie hat direkten Bezug zu dessen Balkon. Beider Formsprachen, modern und barock, entsprechen einander.
INFORMATION
Führungen
„Kunstbus“ der Stadtwerke Bamberg
Sonderführung mit dem Kurator Bernd Goldmann
Samstag 09.06.2018 ab 11.00 Uhr
Abfahrt am ZOB, Dauer der Rundfahrt: 90 bis 120 Minuten
Die Teilnahme ist kostenlos, die Anmeldung ab dem 12. Mai ausschließlich online möglich unter
Bernd Goldmann
ehem. Direktor des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia Bamberg
Donnerstag 17.05.2018
18:00-19:30 Uhr (8485)
Donnerstag 14.06.2018
18:00-19:30 Uhr (8486)
Mittwoch 05.09.2018
18:00-19:30 Uhr (8489)
Ekkehard Arnetzl (Kunsthistoriker)
Mittwoch 11.07.2018
17:00-18:30 Uhr (8487)
Mittwoch 22.08.2018
17:00-18:30 Uhr (8488)
Treffpunkt: Schiffbauplatz (Kunstwerk: „Schattenfeld“)
Führungsende: Plastik in der Nähe des König-Ludwig-Denkmals im Theresienhain
Vorherige Anmeldung ist erforderlich bei
VHS Bamberg Stadt
Tel: 0951/871108
www.vhs-bamberg.de
Der Verlauf ist wetterabhängig.
Führungsgebühr: 7,00 €
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Fotocredits:
„Vor Kälte sterbender Mond“, Foto: © Pressefoto
„Ich gehöre mir nicht selbst“, Foto © Pressefoto
Rui Chafes bei der Ausstellungseröffnung, Foto © Jürgen Schraudner
„Das Herz essen“, Foto © Pressefoto