Klassiker

wo bleibt die kunst, oder: der kunst eine villa

nürnberg ist um ein kulturelles schmuckstück reicher

veröffentlicht am 08.04.2014 | Lesezeit: ca. 9 Min.

Nach einer aufwändigen Umbauphase, die seit September 2011, als schweres Baugerät anrückte, andauerte, zeigt sich die denkmalgeschützte Villa in der Nürnberger Blumenstraße 17 in neuem Gewand. Auf 600 Quadratmetern werden dort künftig Ausstellungen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts gezeigt, wobei das Dachgeschoss Sonderausstellungen vorbehalten bleiben soll. Zum Eröffnungswochenende am 24. und 25. Mai präsentiert das historische Schmuckstück eine Auswahl an Werken aus der umfangreichen Sammlung, die mit dem Fin de Siècle einsetzt und bis in die Moderne reicht. Als ganz aktuelle Ergänzungen dazu werden sich künstlerische Interventionen von Studierenden der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste einmischen, die das Sammlungsprofil und die Geschichte des Hauses zum Thema haben und einen neuen Blick auf Bestand und Haus erlauben werden.

Die in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs gelegene Kunsthalle ist das Flagschiff des 2008 gegründeten KunstKulturQuartiers (kurz: KKQ), wie sich der komplette Konstrukt und Überbegriff des Zusammenschlusses verschiedener Häuser und Einrichtungen nennt, zu dem etwa auch die Tafelhalle, die vor allem sommers genutzte Ruine von St. Katharina und das sehr weitläufige Künstlerhaus, das subkulturelle Musikveranstaltungen präsentiert, gehören. Für kleinere Ausstellungen – bis zum 4. Mai derzeit noch „Das große Reinemachen“ – ist das Kunsthaus bestimmt. Hinzu tritt jetzt die Kunstvilla als Museum, deren Sammlungsbestand von den Museen der Stadt Nürnberg kommt. Um den regionalen Sammlungsbestand zu pflegen, um Künstler vor Ort zu betreuen und durch Ankäufe und über Publikationen zu unterstützen, gab es von 1930 an die „Fränkische Galerie“, die allerdings in den Fünfzigern auch internationale Künstler wie Picasso und Ernst Ludwig Kirchner (gebürtiger Unterfranke, immerhin) mit Ausstellungen bedachte. 1967 wurde die „Fränkische Galerie“ in Kunsthalle Nürnberg umbenannt, was zur Folge hatte, dass ein Großteil der Bestände an regionaler Kunst in städtische Verwaltungsgebäude oder in Depots wanderte.

Erstmals seit vier Jahrzehnten werden mit der Eröffnung der Kunstvilla im KKQ die städtischen Bestände an Kunst aus der Region dem Publikum wieder zugänglich gemacht. Nach der Schenkung der Blumenstraßen-Villa 2006 durch den Zeitungsverleger Bruno Schnell an die Stadt beschloss der Kulturausschuss die Einrichtung einer neuen „Fränkischen Galerie“, eben der jetzt eröffnenden Kunstvilla. Durch zahlreiche Schenkungen, Stiftungen und Leihgaben konnte mit dem Beginn der Planungen – so musste beispielsweise zunächst eine Machbarkeitsstudie erstellt werden, um Möglichkeiten der technischen Aufrüstung in einem denkmalgeschützten Gebäude aufzuzeigen, wobei beispielsweise ein zweiter Fluchtweg über ein Fluchttreppenhaus genauso zu berücksichtigen war wie der Brandschutz, die Klimatisierung, die Beleuchtung (Projektleitung der Baumaßnahmen: Anke Seitz, Ansbach) – vor allem im Bereich der zeitgenössischen Kunst erweitert werden. Darunter ist der Nachlass des Kulturpreisträgers der Stadt Nürnberg, Toni Burghart (1928 bis 2008), zu finden, den die Kunstvilla wissenschaftlich aufgearbeitet hat.

Vor vier Jahren erfolgte, wenn auch im Kunsthaus als Ausweichfläche, mit der Ausstellung „Gerhard Wendland zum 100. Geburtstag“ der Einstand der Villa als ausstellende (und einen Katalog publizierende) Institution. 2011 folgte „Die Kunst des Sammelns“, im Jahr hernach erinnerte man mit „Und der Gewinner ist…“ an das 350. Jubiläum der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste. Dort lehrt seit zwölf Semestern die gebürtige Luxemburgerin Simone Decker als Professorin für Künstlerische Konzeptionen/Kunst und öffentlicher Raum, die ihre Studierenden vor die zweisprachig formulierte und in ihren Ergebnissen so spannende wie vielfältige Aufgabe „Étant donnés / Gegeben sei: Die Villa in der Blumenstraße 17“ stellte.

„Das Bild des Kontextes zwischen Villa und Akademie, das den Künstler besucht und diesen dann zu einem Gegenbesuch einlädt, zeigt die Wechselwirkung, denen neu entstehende künstlerische Projekte an diesem Ort unterliegen“, sagt Decker. Das Haus bringe seine Haut, seine Geschichte, die ehemaligen Bewohner wie die künftigen Besucher mit. Auch die Sammlung, die diese Räume bespielen werde, sei im Kopf der Studierenden jetzt schon mit dabei. Die von ihnen entwickelten Arbeiten würden, sagt die Professorin, „vor unseren Augen, Ohren und anderen Sinnen besondere Aspekte und Elemente ausbreiten, die in ihrer Bandbreite über Architektur und Sammlung hinausgehen“. Diese Wechselwirkungen, so ist sich Decker sicher, würden sich auch bei den Besuchern der Eröffnungsausstellung einstellen, denn durch Austausch und Interaktion könne eine gegenseitige Aufladung entstehen.

Altes Gemäuer trifft auf zeitgenössische Kunst, das nun verspricht in der Tat spannende und erfrischende Erlebnisse, neue Blickwinkel. Apropos altes Gemäuer: Die Geschichte der Villa lässt sich zurückverfolgen mindestens bis ins Jahr 1851, als sich Löb Hopf in Nürnberg ansiedelt und als einer der ersten Bürger jüdischen Glaubens das Bürgerrecht erwirbt. Gemeinsam mit den Söhnen Stephan und Joseph gründet Löb Hopf eine Hopfenhandelsfirma. Mitglieder der Familie Hopf werden bald in politischen Ämtern tätig und stiften bedeutende Einrichtungen. Emil Hopf erwirbt 1893 das Areal Blumenstraße 17, auf dem zuvor das Blinden-Erziehungsinstitut stand, und lässt sich dort eine Villa im Stil des Historismus mit Zitaten aus der Renaissance und dem Barock errichten.

Opulenz schon im Treppenhaus, Schnitzereien aus Eiche, nämlich stilisierte Hopfenblüten im Treppengeländer als zweifache Reminiszenz, Wandmalereien, eine golden umrandete Kassettendecke. Als Emil Hopf, dessen Stiftung sich das Mittelfränkische Blindenheim verdankt, 1920 stirbt, wird die Villa Eigentum von Paul und Margarete Grünfeld und Sitz der Gesellschaft für Elektrometallurgie. Nach dem Tod Paul Grünfelds wird im Zuge der Arisierung der Gesellschaft für Elektrometallurgie 1941 die Blumenstraßenvilla der Witwe entzogen und erst eine Dekade später zurückgegeben. 1959 verkauft sie das Gebäude – es sollte 1972 auf die Bayerische Denkmalliste gesetzt werden – an das Pressehaus Nürnberg (und der Rest ist Geschichte: siehe oben).

Als gebürtige Nürnbergerin, als promovierte Kunsthistorikerin und, seit 2009, als Leiterin der Kunstvilla im KKQ Nürnberg ist Andrea Dippel bestens mit der Historie des Hauses vertraut. „Ein Museum konzeptionell von Anfang an gestalten zu dürfen ist eine einmalige Aufgabe, in gewisser Hinsicht eine Lebensaufgabe“, sagt die Mittvierzigerin. Bei der Arbeit an diesem Projekt habe sie gelernt, dass „Kultur auch Verwaltung“ heiße: „Die Vielzahl der beteiligten Menschen und die vielfältigen Abstimmungsprozesse haben mich am meisten überrascht.“ Das Konzept der Villa sieht Dippel bislang verankert in der „Ausstellung von regionalen Positionen, im Wechsel rückwärtsgewandt historisch und vorwärtsgewandt eher das gegenwärtige Kunstgeschehen“ in den Blick nehmend.

„Das KunstKulturQuartier ist ein neuartiger Zusammenschluss, den es in Europa in der Form nicht gibt, weil es alle Sparten miteinander in Kontakt bringt“, sagt Christoph Zitzmann, der für Öffentlichkeit und Marketing verantwortlich ist. So werde das Filmhaus mit seinen zwei Sälen Jahr um Jahr als bestes Programmkino einer deutschen Großstadt ausgezeichnet.

„Wir versuchen, mit der freien Szene zusammenzuarbeiten, ihr Probe- und Aufführungsräume zur Verfügung zu stellen“, sagt Zitzmann, der das KKQ versteht als einen „politischen Ort, der Akzente setzt und Integrationsarbeit leistet“, und zwar generationenübergreifend quer durch die Gesellschaftsschichten. Sehr spannend sei der enge Zusammenschluss zwischen Kunst und Kunst und Kultur selber machen. Im Keller können Interessierte sich für einen geringen Beitrag von ein, zwei Euro einmieten und alles nutzen, was an Technik in der Foto-, Siebdruck-, Steinmetz- und Keramikwerkstatt vorhanden ist. Auch Senioren, auch Kinder, erläutert Zitzmann, kämen im KKQ definitiv auf ihre Kosten.

Fußballfreunde sowieso: „FUTEBOL. Das Spiel hört erst auf, wenn es zu Ende ist“, ist die in Kooperation mit dem Goethe-Institut Rio de Janeiro und der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur kuratierte Ausstellung, die vom 29. Mai bis zum 6. Juli im Kunsthaus zu sehen sein wird. Den zwölf Video-Arbeiten ist gemein, dass sie sich abseits begangener Wege des Themas annehmen, etwa auf einem bolivischen Bolzplatz, in den Hinterhöfen der Favelas von Rio oder einem Militärcamp in Afghanistan.

Wer mag, kann sich ein Stück der KKQ-Welt mit nach Hause nehmen. In dessen Artothek besteht die Möglichkeit, für drei Monate ein Kunstwerk auszuleihen und in den eigenen vier Wänden zu präsentieren. Man muss kein Großverdiener sein, um sich dergleichen leisten zu können. Für eine Gebühr von gerade einmal neun Euro pro Bild kann man daheim (oder in der Firma) ein Vierteljahr lang Freude haben an Horst Antes, A. R. Penck, Michael M. Prechtl oder dem ehemaligen Stipendiaten des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia Bamberg, Markus Putze. Wunderbar! Das Quartier ist ein Segen für Kunst, Kultur und Leben.

Copyright Fotos: © Kunstvilla im KunstKulturQuartier, Nürnberg und Annette Kradisch, Nürnberg

Ähnliche Artikel: