Der alte Künstler und das Meer
Zu Besuch im Nolde-Haus in Seebüll
veröffentlicht am 05.10.2018 | Lesezeit: ca. 5 Min.
Emil Nolde schrieb über Seebüll, seine selbst erkorene Heimat an der dänischen Grenze: „Gleich einem Märchen war die Heimat mir, im flachen Land, meinem Land, darüberhin die tausende Lerchen jubelnd auf- und niederschwebend, mein Wunderland von Meer zu Meer…“. In Nolde als Emil Hansen geboren, errichtete der Künstler seiner Frau und sich 1927 nach eigenem Entwurf ein Haus in der rauen, unnachgiebigen Weite Nordfrieslands. Wie der Charakter Noldes, der als Vorreiter expressionistischen Kolorits und Meister der Farbe gefeiert wird, zeigt sich auch sein Haus sehr individuell. Die klaren, geradlinigen Formen und das flache Dach bilden eine Allusion an die Bauhausarchitektur und somit einen Kontrast zu den die Region prägenden reetgedeckten Friesenhöfen.
Seebüll bot Emil Nolde mannigfache Inspiration für unterschiedlichste Landschaftsbilder: Aus den eintönigen Ebenen, den niedrigen Horizonten und trüben Himmeln dieser Küstenlandschaft resultierten seine weltberühmten endlosen Himmel, tosenden Wogen und verträumten Wolkenbilder. Die unvergleichliche Natur Nordfrieslands und die unermüdlich tanzenden Wellen der Nordsee fanden Eingang in zahlreiche seiner bekanntesten Werke. So war es der ausdrückliche, testamentarisch verfügte Wunsch des Künstlers und seiner Frau, an diesem Ort, seiner selbst gewählten Heimat, seinem Lebenswerk eine bleibende Stätte zu errichten, mit Werken, die einen Bezug zu dieser pittoresken Umgebung herstellen und diese sowohl in Aquarellen als auch in Öl verewigen.
Hierzu wurde sein Wohn- und Atelierhaus zu einem Museum umgestaltet. Die Wohnräume verdeutlichen Noldes Bestreben, eine Einheit aus Kunst und Leben zu kreieren. So folgt auch die Anordnung der Räumlichkeiten dem Lauf der Sonne: Das Schlafzimmer ist gen Osten ausgerichtet, das Esszimmer gen Süden und das Wohnzimmer fängt stets die abendlichen Sonnenstrahlen ein. Hier finden sich neben der originalen Möblierung auch zahlreiche farbintensive Aquarelle und Druckgraphiken mit einem landschaftlichen Augenmerk. Das ehemalige Atelier hingegen beherbergt religiöse Bilder, nicht zuletzt eines der Hauptwerke Noldes, den neunteiligen Zyklus „Das Leben Christi“. Darin offenbart sich einmal mehr seine Suche nach einer lebendigen religiösen Kunst, die es vermag, traditionelle christliche Themen mit neuem Leben zu füllen.
Über dem Atelier befindet sich überdies der 1937 aufgestockte Bildersaal, der heute für jährlich wechselnde Präsentationen der Sammlung und Ausstellungen verwendet wird, da der Besitz der Stiftung an Kunstwerken die räumlichen Möglichkeiten deutlich übersteigt. So befindet sich in Seebüll der größte Bestand an Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Graphiken, Skulpturen und kunstgewerblichen Werken Emil Noldes weltweit. Hinzu kommen die Inhalte des Archivs, die umfassende Korrespondenzen des Künstlers abbilden und anhand von weiteren Dokumenten und Photographien persönliche Einblicke in das Wesen und das Wirken des Expressionisten gewähren. Des Weiteren sind auch andere Künstler des 20. Jahrhunderts in der Sammlung vertreten, da Emil Nolde selbst im Besitz künstlerischer Anfertigungen seiner namhaften Bekannten und Freunde Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Alexej von Jawlensky, Max Pechstein, Paul Klee sowie Franz Marc war. Diese werden momentan gemeinsam mit Werken aus Emil Noldes Wanderjahren präsentiert, die „Die Entdeckung der Farbe“ beinhalten. Das Augenmerk dieser Exposition liegt auf den Jahren, in denen Emil Nolde sich selbst als Künstler fand. Die damals entstandenen Arbeiten spiegeln die kaum bekannten Entwicklungsstufen wider, die vom tonigen Realismus über den atmosphärischen Impressionismus bis hin zum farbexplosiven Expressionismus verlaufen.
Jedoch gilt es nicht nur innerhalb des Nolde-Hauses Vielerlei zu entdecken, auch der eigens angelegte Garten lädt zum Verweilen ein. Emil und seine Frau Ada waren angetan davon, Gärten eigenständig zu gestalten, so auch in Seebüll. In dem Gartenhäuschen, das beide liebevoll „Seebüllchen“ nannten, schrieb Ada bei einer Tasse Tee so manchen Brief an Emil, wenn dieser auf Reisen war, und Emil malte so manches anrührende Aquarell mit Blick auf die Blumenvielfalt, die sich noch heute von Türkischem Mohn über Storchschnabel bis hin zu Ochsenzunge erstreckt. So werden Gartenführungen geboten, die das bemerkenswerte Nachzuchtprogramm der blühenden Pracht erläutern. Überdies ist es möglich, Nachzuchten der hiesigen Pflanzen sowie der einzigartigen Apfelsorte „Renette von Seebüll“ oder der Nolde-Rose zu erwerben. Wer darüber hinaus an der Natur Seebülls Interesse findet, ist eingeladen, zahlreiche Wanderwege zu erproben und auf Emil Noldes Spuren zu wandeln. Sogar ein eigener „Nolde-Weg“ ist entstanden, der an der Rückseite des Museums beginnt und durch das malerische Marschland zur Ortschaft Rosenkranz führt, wo man schließlich in einem Gasthof einkehren kann, um all die natürliche Schönheit Seebülls Revue passieren zu lassen und dem Verständnis des Werkes, das Emil Nolde hier schuf, näher zu kommen.
Fotocredits:
Nolde-Haus in Seebüll, Foto © Helmut Kundweb
Emil Nolde, Landschaft mit Bauernhaus, 1922, Öl auf Leinwand, Foto © wikipedia.org