Lese- & Hörstoff

Leben ist Wahnsinn!

Platzwechsel

veröffentlicht am 05.12.2018 | Lesezeit: ca. 3 Min.

Platzwechsel, André Herrmann

Platzwechsel, André Herrmann, Foto © Voland & Quist, ISBN: 978-3-863912-16-1

Schon mal in Sachsen-Anhalt gewesen? Da feiert man das „J“ und macht aus Diphthongen (au, ei, …) ellenlange O’s und E’s. (Beispiel: Im Februar hätte ­André ooch ma‘ zwee Wochen off de Katze offjepasst, wenn er nicht hätte arbeeten müssen.) Noch eine Besonderheit: Zu Silvester wird im Luther-Land mit schwärzester Schwarzmarkt-Chinaware weggeballert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. So ist es zur schönen Tradition geworden, seinen Briefkasten vorsorglich abzuhängen.

Wer zum Lachen nicht in den Keller geht oder als Nicht-Sachen-Anhalter und/oder Ü40 gegebenenfalls den Kulturschock sucht, wird in André Herrmanns Roman “Platzwechsel“ definitiv fündig. Darin erzählt er von seinem Leben als gebürtiger Provinzler aus dem Land der Frühaufsteher, der das erwählte Big-City-Life in Leipzig vorübergehend an den Nagel hängt und in die Heimat zurückkehrt. Das kommt daher, weil ihm das Wort „Pleite“ als junger Schriftsteller relativ geläufig ist – allein die Eingangsszene im Jobcenter ist göttlich. Außerdem möchte er näher bei seinem dementen Opa sein, der seit kurzem im Heim lebt. Um günstig leben zu können, heuert er auf Anraten seines Kumpels auf einem Integrationshof an, auf dem „Menschen mit besonderem Hilfebedarf“ therapiert werden.

Dass leben völliger Wahnsinn ist, weiß man ja. Aber dass das, sowohl im Positiven als auch im Negativen, gut so ist, das wird einem beim Lesen des Buches – sollte man es denn vergessen haben – wieder klar. Auch wenn die Situation des Protagonisten sicher nicht die Regel ist, schildert er den schnöden Alltag so treffend, charmant und komisch, dass es schwerfällt, das Buch wieder wegzulegen. Doch André Herrmann, der übrigens auch für das „Neo Magazin Royal“ schreibt, kann nicht nur witzig. Er beherrscht etwas, was nicht viele können. Ihm gelingt der schwierige Spagat zwischen Komik und Ernst. Immer wieder nämlich holt ihn die Tragik des Lebens ein, wenn er Opa Ludwig im Heim besucht, dem es zunehmend schlechter geht.

Selten hat sich die Realiät so locker-leicht und doch bleischwer zwischen zwei Buchdeckeln präsentiert. So oder so, auf wässrige Augen kann man sich schon mal einstellen – klare Leseempfehlung, nicht nur für die Kinder der 80er und 90er!

André Herrmann: Platzwechsel, Voland & Quist, Deutsch, 20 €, 304 Seiten, ISBN: 978-3-863912-16-1

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