Mixtur

spanien zu gast in der villa concordia

neue stipendiaten ziehen ein

veröffentlicht am 08.04.2014 | Lesezeit: ca. 8 Min.

Für elf Monate verlassen von April an sechs in den Sparten Musik, Literatur und bildende Kunst Kreative die iberische Halbinsel, um in Bamberg am Ufer der Regnitz oder am Fuße des Kaulbergs zu leben und zu arbeiten: Spanien ist 2014/2015 Gastland des Internationalen Künstlerhauses. Hinzu kommt ein weiteres halbes Dutzend Kunstschaffender, die als Stipendiaten der Villa Concordia aus Köln oder Berlin ihren Weg nach Bamberg finden. Künstlerhausdirektorin Nora-Eugenie Gomringer freut sich, am 15. Mai von 19 Uhr an (bei wie zumeist freiem Eintritt) den neuen Jahrgang im großen Saal ihres Domizils in einer lockeren Gesprächsrunde vorstellen zu können.

Mit Kerstin Specht ist im Übrigen auch eine gebürtige Oberfränkin vertreten. Im Juni 1956 in Kronach geboren, wächst Specht im nahen Stockheim auf. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und evangelischen Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität bleibt sie in München, wo sie unter anderem als Regieassistentin beim Bayerischen Rundfunk arbeitet und an die dortige Hochschule für Fernsehen und Film wechselt, die sie nach drei innerhalb von drei Jahren entstandenen Kurzfilmen abbricht, um fortan für das Theater zu schreiben.

In den frühen Neunzigern macht sich Specht schlagartig einen Namen. Ihre Stücke, die am Rande der Gesellschaft angesiedelt sind, werden von der Kritik gesehen als zeitgenössische Beispiele in der Tradition des kritischen Volksstücks à la Ödön von Horváth, Marieluise Fleißer (der sie 2001 mit „Marieluise“ ein Werk widmet), Franz Xaver Kroetz und Rainer Werner Fassbinder. Nach einer oberfränkischen Trilogie legt sie 1993 „Mond auf dem Rücken“ vor, eine „Begehrensgeschichte“, die von der deutsch-deutschen Grenze handelt und mit dem Else-Lasker-Schüler-Preis bedacht wird. Specht hat auch eine Reihe von Komödien geschrieben und zuletzt ihre Figuren ins Tiergehege geschickt („Der Zoo“, 2009).

In München zuhause (und an der deutsch-österreichischen Grenze, von wo sie auch herkommt) ist die 1964 in Burghausen geborene Christine Pitzke. Einer Ausbildung zur Krankenschwester und zahlreichen Reisen schließt sich ein Studium der Neueren Deutschen Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität an. Seit zwei Dekaden schreibt sie regelmäßig Hörfunkfeatures für den Bayerischen Rundfunk, beispielsweise über Erasmus von Rotterdam, Michel de Montaigne, Blaise Pascal und Ingeborg Bachmann. 2004 legt Pitzke im Salzburger Jung und Jung Verlag ihr mehrfach ausgezeichnetes Romandebüt vor („Versuche, den Morgen zu beschreiben“). Ihr vierter und bislang jüngster Roman spielt „Im Hotel der kleinen Bilder“ (2013) an der provenzalischen Küste. Pitzke veröffentlicht auch Lyrik.

Die Spanier Javier Salinas und Ricardo Menéndez Salmón machen das literarische Stipendiaten-Quartett komplett. Salinas, 1972 im baskischen Bilbao geboren, hat lange in Madrid (wo er Jura und Hispanistik studierte), Köln (Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium, 2004) und Rom gelebt und inzwischen seine Heimat in Barcelona gefunden, wo er als Autor, Übersetzer und literarischer Berater wirkt. Zwei Gedichtbände und fünf Romane stammen aus seiner Feder. Auf Deutsch liegen das 2007 bei S. Fischer herausgekommene Jugendbuch „Die Kinder der Massai“ und „E“ (2009) vor. Dieser Roman handelt von der Suche nach Identität zwischen Russland, Schweden, Österreich und Ungarn.

Als einer der wichtigsten Gegenwartsautoren Spaniens wird Ricardo Menéndez Salmón gehandelt. 1971 im am Golf von Biskaya gelegenen Gijón geboren, hat Menéndez Salmón vor allem mit einer Trilogie über den Zweiten Weltkrieg und die Terroranschläge von Madrid Beachtung gefunden. In diesem Frühjahr erscheint mit „Medusa“ bei Klaus Wagenbach in Berlin erstmals einer seiner Romane auf Deutsch (in der Übersetzung von Carsten Regling). Es ist ein um den von der norddeutschen Küste stammenden Maler, Fotograf und Filmemacher Karl Gustav Friedrich Prohaska kreisender Künstlerroman. Mit seiner Kamera hält Prohaska die nationalsozialistischen Monstrositäten ebenso fest wie die Diktatur in Nicaragua und die Leiden der Überlebenden von Hiroshima.

Brigitta Muntendorf, Steffen Wick, José María Sánchez-Verdú und Alberto Posadas werden 2014/2015 in der Villa Concordia die (Noten-)Fahnen der Musik hochhalten. Muntendorf – Hamburgerin des Jahrgangs 1982 – lehrt Komposition an der Universität Siegen und lebt und arbeitet als freischaffende Komponistin und künstlerische Leiterin des Ensemble Garage in Köln. In ihrem Schaffen, das Solo- und Orchesterwerke umfasst, stehen zunehmend multimediale Konzepte, Formen des experimentellen Musiktheaters und die damit verbundene Zusammenarbeit mit Künstlern anderer Professionen im Fokus. Muntendorf studierte unter anderem bei Krzysztof Meyer, Rebecca Saunders und Johannes Schöllhorn an der Kölner Musikhochschule. Mit „Crack“ von 2009 gewann sie den Kompositionspreis ihrer Alma Mater. Darin stellt sie Fragen nach dem, was Helden heute ausmacht und setzt sich zugleich mit Richard Strauss’ „Heldenleben“ auseinander, mit dessen musikalischem Material, mit dessen Klangfarben.

Steffen Wick, Jahrgang 1981, gehört einer Komponistengeneration an, die virtuos mit Genregrenzen zu spielen und über diese hinweg zu spielen versteht. Die Verbindung von klassischen und zeitgenössischen Stilmitteln resultiert bei ihm in einer poetischen Tonsprache. Zu seinen Lehrern zählt Moritz Eggert; wichtige Impulse für sein Schaffen kamen zum Beispiel von Wolfgang Rihm, von Isabel Mundry, Steve Reich und Detlev Glanert. Wick hat viel für Klavier und Elektronik komponiert, aber auch das Musiktheaterstück „Musicophilia“ (2012) nach dem gleichnamigen Buch von Oliver Sacks (auf Deutsch: „Der einarmige Pianist. Über Musik und das Gehirn“).

José María Sánchez-Verdú ist Andalusier des Jahrgangs 1968 und wirkt als Komponist, Dirigent und Musikwissenschaftler. In Madrid hat er Komposition und Orchesterleitung studiert, weitere Studien führten ihn ins italienische Siena und nach Frankfurt am Main (zu Hans Zender). In sein Œuvre bindet er den Blick über die Disziplinen hinweg ebenso mit ein wie das Phänomen der Synästhesie. Er spielt mit Farben, Raum, Architektur, Installationen und Virtualität. Zumal im Bereich des Musiktheaters hat sich Sánchez-Verdú einen Namen gemacht. Seit 2008 lehrt er am Konservatorium von Aragon, seit diesem April an der Musikhochschule Hannover.

Alberto Posadas ist 1967 in Valladolid geboren. Als Komponist ist es ihm um neue Techniken für die Gestaltung der musikalischen Form zu tun, die er mit seinem Lehrer Francisco Guerrero entwickelt hat. So befasst er sich mit der Übertragung architektonischer Räume auf die Musik oder der Erforschung akustischer Möglichkeiten im mikroskopisch kleinen Bereich der Instrumente. Er erkundet außerdem die elektroakustische Musik und verbindet seit 2006 bei Projekten in Paris Live-Elektronik mit Videokunst oder Tanz.

Mit Text, Malerei, Skulptur, Installation und Fotografie setzt sich die 1967 in Gummersbach geborene Michaela Eichwald auseinander. Sie ist in Berlin zuhause und studierte zunächst Philosophie, Deutsche Philologie, Kunstgeschichte und Geschichte in Köln. Internationale Bekanntheit erlangt hat Eichwald mit Objekten aus Epoxidharz und mit ihren großformatigen Malereien. In Bamberg hofft sie, kommende Ausstellungen in Ruhe vorbereiten zu können.

Die 1980 im kanadischen Vancouver geborene Michele di Menna beschäftigt sich unter anderem mit Performance, Skulptur, Text, Collage, Video und Klanginstallationen. Sie thematisiert komplexe Situationen, mit denen sie die Beziehung zwischen menschlichem Körper und Kommunikation in den Grenzen des architektonischen Raums auslotet. Mit ihrem „Ooze Generator“ von 2012 hat sie verschiedene Formen von Schlamm-Masken geschaffen.

Antonio R. Montesinos stammt aus Ronda bei Málaga und hat in Sevilla, München, Valencia und Barcelona studiert. In seine experimentellen Arbeiten, die sich mit Raumstruktur und alltäglicher Wahrnehmung befassen, integriert Montesinos einfache Materialien, Kommunikation, Zeichen und verschiedene Formen der Kartografie. Eine seiner jüngsten Einzelausstellungen hieß „Walks are like clouds, they come and go“ (also: Spaziergänge sind wie Wolken, sie kommen und gehen).

1969 in Sevilla geboren ist Jesús Palomino, der mit ortsspezifischen Projekten, die auf eine partizipatorische Kunst und eine Politik des Betrachtens ausgelegt sind, arbeitet. Damit will er auf Themen wie Menschenrechte, Ökologie und kulturellen Dialog antworten. Diese Projekte, die Palomino etwa in Venezuela, Serbien und China unternahm, sind ihm ästhetische Werkzeuge, die zum Nachdenken anregen sollen und nach einer Veränderung des Status quo schreien.

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