figuren objekte bilder
21. internationales figuren.theater.festival
veröffentlicht am 02.04.2019 | Lesezeit: ca. 21 Min.
Vom 24. Mai bis 2. Juni findet in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach das 21. internationale figuren.theater.festival statt, eines der wichtigsten Festivals für zeitgenössisches Figuren-, Bilder- und Objekttheater an der Schnittstelle zu Tanz, Performance und Neuen Medien in Europa und mit über 180 Vorstellungen von mehr als 70 Compagnien aus 20 verschiedenen Ländern, eines der größten Theaterfestivals in Deutschland überhaupt. Vor vierzig Jahren vom klassischen Figurentheater ausgehend, hat sich das Festival seit Jahren zur Aufgabe gemacht, die künstlerische Begegnung unterschiedlicher Sparten und das Aufeinandertreffen verschiedener Sichtweisen und Sehgewohnheiten zu befördern. Mit ungewöhnlichen Formaten, Interventionen im öffentlichen Raum und einem ausgebauten Begleitprogramm wird das Festival in diesem Jahr inhaltliche Fragestellungen vertiefen und neue Diskurse eröffnen. Über 20.000 Besucher werden an den zehn Festivaltagen in den zahlreichen Spielstätten des Vier-Städte-Ereignisses erwartet.
Die Blicke zurück werden sich jedoch, von der Einladung einer Handvoll „Klassiker“ des Genres abgesehen, in Grenzen halten. Das Festival wird sich wieder einen Schritt weiterentwickeln und thematisch wie ästhetisch neue Akzente setzen. Zwei Projekte mit Rimini-Protokoll (Anm. der Redaktion: Rimini Protokoll ist eine Theatergruppe, die Theater-, Hörspiel- und Performance-Projekte realisiert.) stehen stellvertretend dafür: „Was ist erlaubt, was tut man besser nicht? Was wird von mir verlangt, welche Freiheit habe ich? Wie wäre es ohne Regeln zu leben? Und welche Regeln brauchen wir in der Zukunft?“ Diese Fragen stellt „DOs & DON‘Ts“ und fährt sein Publikum in einem umgebauten LKW durch Nürnberg. In allen vier Festivalstädten wird Rimini Protokoll zudem seine erste Produktion für Jugendliche in deutscher Erstaufführung vorstellen: „Bubble Jam“ – eine Koproduktion mit dem Festival – erforscht ohne Bühne und ohne Schauspielerinnen und Schauspieler, ob da jemand ist, auf der anderen Seite des Internets.
Renaud Herbin wird gemeinsam mit der Tänzerin Julie Nioche und mehreren hundert Figuren mit der Produktion „At the Still Point of the Turning World“ des von ihm geleiteten TJP – Centre Dramatique National d’Alsace aus Straßburg das Festival in Erlangen eröffnen. In Nürnberg entdeckt bei einem Spaziergang durch die Klanglandschaften Beethovens Neunter zum Auftakt die slowenische Gruppe Via Negativa in „The Ninth“ Spuren des Menschlichen im Animalischen. In Fürth feiert Helmut Haberkamms fränkischer Western „Glopf an die Himmelsdür“ mit dem Theater Kuckucksheim seine rockige Premiere, während Schwabach mit „Das Lobbüro“ von flunker produktionen einen Tag später in das Festival einsteigt.
Zu den Höhepunkten des 21. internationalen figuren.theater.festivals zählen Compagnien, die seit Jahren regelmäßig zu Gast sind, wie die Compagnie Mossoux-Bonté mit „The Great He-Goat“, Meinhardt Krauss Feigl mit „Robot Dreams“ und das Figurentheater Wilde & Vogel mit „Songs for Alice – Special Edition” und „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ um nur Einige zu nennen. Publikums-Lieblinge der letzten Jahre sind unter anderem die Compagnie 111/Aurélien Bory, diesmal mit der bildgewaltigen Tanzproduktion „aSH“ zu Gast, der Puppentheater-Star Nikolaus Habjan, der mit dem Schauspielhaus Graz „Böhm“ zeigen wird und Barbara Matijevic & Giuseppe Chico mit „Forecasting“ die nicht nur vier Mal in Erlangen, sondern auch zwei Mal in Nürnberg zu sehen sein werden.
Eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern sind zum ersten Mal – zumindest mit größeren Produktionen – beim internationalen figuren.theater.festival zu Gast, darunter unter anderem der Libanese Rabih Mroué, die Compagnie Selon l’Heure & Ali Moini und die Compagnie Philippe Saire. Die deutschsprachige Szene ist unter anderem durch Christoph Bochdansky, die Bühne Cipolla, Florian Feisel und Lutz Großmann vertreten, die Region neben dem Theater Kuckucksheim und Thalias Kompagnons durch das Theater Salz+Pfeffer, das Papiertheater Nürnberg, TOLL, das Tanzwerk Vertikal und das Ensemble Extraordinaire am Theater Erlangen.
Wenn heute über Demokratisierung der Kultur, über Partizipation und neue Zielgruppen nachgedacht wird, spielt der öffentliche Raum eine wichtige Rolle. Die Compagnie Yoann Bourgeois wird die Öffentlichkeit in diesem Jahr mit „Dialogue“ irritieren, Chloé Moglia/Rhizome mit „La Spire“ am 24., 25. und 26. Mai auf einem Parkhausdach in Erlangen faszinieren und David Zinn mit Street Art und foolpool mit seiner „Herde der Maschinenwesen“ die Passanten überraschen. Der österreichische Medienkünstler Kurt Hentschläger entführt die Besucherinnen und Besucher mit „SOL“ in die Dunkelheit des Erlanger Burgbergkellers, der niederländische Videokünstler Dries Verhoeven in „Guilty Landscapes“.
Mit rund 30 Aufführungen hat auch das Kinder- und Jugendtheater weiterhin einen großen Stellenwert und partizipative Formate gehen auf Tour durch die Städte und die Stadtteile, wie beispielsweise am 2. Juni Susanne Carl mit „Wer bist Du? / Who are you?“, ihrer interaktiven Kunstaktion mit Masken im Nürnberger Spielzeugmuseum.
Karten gibt es ab 13. April unter anderem im Netz unter www.figurentheaterfestival.de. Ein Faltprospekt mit Programmübersicht liegt an Vorverkaufsstellen und in Institutionen der Region aus. Das ausführliche Programmheft erscheint in der zweiten April-Woche und ist an Vorverkaufsstellen der Region und mit Beginn des Festivals an den Tages- und Abendkassen kostenlos erhältlich.
Um einen Blick hinter die Kulissen einer solchen Großveranstaltung werfen zu können, führten wir ein Interview mit Bodo Birk, dem Erlanger Festival- und Teamleiter.
Guten Tag Herr Birk. Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein städtisches Amt als Veranstalter solch großer Festivals auftritt? Wie erklärt sich das?
Ja, das erklärt sich durch den hohen Gestaltungsauftrag, den Karl Manfred Fischer (Anm. der Redaktion: Manfred Fischer war bis 2002 Leiter des Erlanger Kulturamtes) empfunden hat. Als er nach Erlangen kam, gab es kein separates Kulturamt. In Erlangen gibt es bis heute nur ein kleines Theater, kein großes Orchester, die Museumslandschaft ist überschaubar, weshalb man hier etwas dem französischen Vorbild gefolgt ist. Durch das französische Kulturinstitut, das es in Erlangen lange gab, und die daraus resultierendenVerbindungen nach Frankreich hat man es zum Profil erklärt, Festivalstadt zu sein. Natürlich hätte man damals zur Durchführung der Erlanger Festivals auch Vereine gründen können, aber es war eine kulturpolitische Entscheidung, es in städtischen Händen zu belassen, die der damalige Kulturreferent Wolf Peter Schnetz und Karl Manfred Fischer seinerzeit getroffen haben.
Wird diese Entscheidung von Zeit zu Zeit diskutiert/in Frage gestellt?
Wenn die Haushaltslage mal schlechter ist, wird natürlich auch darüber diskutiert und tatsächlich ist auch jedes der Erlanger Festivals innerhalb der letzten 30 Jahre in Frage gestellt worden. Aber die Festivals sind stets gestärkt aus diesen Diskussionen hervorgegangen. Grundsätzlich ist es, aus unserer Sicht, schon eine große Qualität, solche Veranstaltungen in städtischer Hand zu halten und schwierige Situationen so besser überstehen zu können. Personal und Struktur sind da und tragen zur Stabilität und Kontinuität der Veranstaltungen bei. Das ist in Nürnberg und Fürth ähnlich, dort gibt es auch qualitativ hochwertige Veranstaltungen (Bardentreffen, Blaue Nacht oder Klezmer Festival) die städtisch organisiert sind. Die Städte möchten ihr Kulturleben selbst gestalten, auch wenn das in anderen Gegenden in Deutschland sicher anders ist.
Ist die Organisation also Ihre Stärke? Der Programmplan ist sehr umfangreich, was sicher einen sehr hohen Aufwand an Koordination (auch zwischen den einzelnen Standorten) verlangt. Wie macht man das?
Da ist das IFTF ein Paradebeispiel, wie interkommunale Zusammenarbeit funktionieren kann. Natürlich möchte jede Stadt ein gutes und auch eigenes Profil hier im Großraum haben, was auch immer ein bisschen Konkurrenzdenken voraussetzt, aber hier, zwischen diesen Städten, ist das Verhältnis durch eine wirklich altruistische Idee geprägt. Es gibt ja die Arbeitsgemeinschaft „Kultur im Großraum“, die auch immer mal wieder als Veranstalter auftritt und Festivals wie „net:works“ oder „Made In“ auf die Beine stellt. Auch sie ist beim IFTF im Hintergrund dabei. Das sind im Grunde (mehr oder weniger) die gleichen Leute. Man ist also schon eingeübt darin, Dinge gemeinsam zu machen und wir arbeiten daran, den Städtegroßraum als einen gemeinsamen Kulturraum wahrnehmbar zu machen. Natürlich jede Stadt mit ihrem eigenen Profil, aber auch mit Gemeinsamkeiten, ganz pragmatisch, weil man sich die Kosten für die Künstler teilen kann. Es muss aber auch Gründe für die Menschen geben, sich in Bewegung zu setzen und da kommt es dann auf die Unterschiede im Programm an und das funktioniert ganz gut, die Menschen pendeln zwischen den Städten und stellen sich so ihr individuelles Programm zusammen. Organisatorisch sind es eigentlich vier Festivals, die sehr eng zusammenarbeiten, die gemeinsame Programmarbeit machen, gemeinsame Publikationen herstellen, aber trotzdem entscheidet jede Stadt autark über ihr Programm. Es gibt also keinen „Oberfestivalleiter“. Sicher nimmt Erlangen als Gründer des Festivals eine besonders aktive Rolle ein. 50 % des Programms läuft in Erlangen und wir sind ein personell sehr gut besetztes Team. Die anderen Städte müssen das IFTF mit kleineren Teams stemmen. In Nürnberg ist das Programm etwas näher an dem, was die Tafelhalle auch übers Jahr hinweg macht, Fürth ist etwas literarischer und klassischer und wir haben wahrscheinlich die breiteste Mischung, bei uns ist auch die Performancekunst sehr stark vertreten.
Entstehen da nicht Redundanzen? Kann es sein, dass die Teams manchmal auch die doppelte Arbeit machen?
Das Team ist sehr eingespielt und jeder hält sich an die Richtlinien. Eine davon ist beispielsweise: Dort wo die Gruppe zuerst spielt, übernachtet sie auch. Das läuft schon alles sehr automatisch ab und wenn Fragen aufkommen, stimmt man sich ab. Ich denke, die Synergien sind weitaus höher als die Redundanzen.
Nun haben wir schon mehrmals die Kosten angesprochen und darauf möchte ich gerne kurz zurückkommen. Wie hoch ist das Gesamtvolumen und wie finanziert sich das?
Das Gesamtvolumen liegt mittlerweile sicherlich bei einer dreiviertel Million, aber die Städte funktionieren sehr unterschiedlich. Die Tafelhalle hat ihre eigene Spielstätte und ihr fest angestelltes technisches Personal. Wir als Kulturamt haben in Erlangen keine eigene Spielstätte, kooperieren mit dem Theater Erlangen und müssen für alle anderen Spielstätten Technik anmieten, Technische Leiter beschäftigen usw.. Bei uns sind etwa die Hälfte Programmkosten, also Gagen, Reisen, Übernachtungen und die andere Hälfte sind Infrastruktur und Personalkosten. In Nürnberg – nehme ich mal an, ohne für Nürnberg sprechen zu können – wird der Programmanteil höher sein, weil sie keine Räume anmieten müssen. In Fürth ist es auch wieder anders, die müssen ja tatsächlich für alleVeranstaltungsorte Miete bezahlen, auch für die eigenen städtischen Räumlichkeiten. Eine dreiviertel Million klingt jetzt erst mal schon nach richtig viel Geld, auf der anderen Seite ist es für die Größe des Festivals mit in diesem Jahr 150 Vorstellungen und 70 verschiedene Gruppen, gar nicht mal so viel.
Und wie finanziert sich das?
Zum Großteil aus den Haushalten der Städte und wir haben einen relativ hohen Anteil an Eintrittseinnahmen, obwohl wir ja nicht sehr teuer sind. Da kommen schon einige Zehntausend an Eintrittsgeldern zusammen. Dann gibt es Zuschüsse durch die Arbeitsgemeinschaft Kultur im Großraum, was wiederum Haushaltsmittel sind. Wir haben immer mal wieder Kulturfond-Anträge laufen. Wir bekommen kleinere Zuschüsse von vielen einzelnen Förderern. Das ist dann viel kleinteilige Finanzierungsarbeit, aber über die Hälfte kommt aus den Haushaltsmitteln der Städte.
Gibt es keinen großen Kultursponsor oder Partner?
Nein, beim IFTF weniger. In Erlangen ist die Siemens AG mit dabei, die sich gerne auf unsere kulturellen Bildungsangebote konzentriert, aber es gibt für das FTF keinen großen Sponsor. Es gibt viele kleine Partner, die Hotels, die Sonderpreise machen oder ein paar Zimmer sponsern, die Autovermietungen, die Sonderpreise machen usw., aber einen Hauptsponsor, wie beispielsweise beim Internationalen Comic-Salon, gibt es nicht. Es ist auch ein bisschen schwierig bei Festivals, die es schon lange gibt, die Notwendigkeit ersichtlich zu machen. Wenn man etwas Neues ins Leben ruft, ist das etwas Anderes. Obwohl die Kommunen mittlerweile viel tun und sich stark bemühen, für Sponsoren interessante Engagementfelder zu bieten, tun sich freie Träger trotzdem oftmals leichter.
Gestartet als reines Figurentheaterfestival, hat sich das doch sehr verändert in Richtung Programm- und Objekttheater. War das zwingend oder war das eher eine organische Entwicklung?
Es war natürlich von Anfang an ein Festival, das sich dem zeitgenössischen Figurentheater gewidmet hat, nicht unbedingt dem traditionellen Puppenspiel. Es waren immer schon moderne Produktionen und als das Festival in Erlangen startete, auch viel auf der Straße geboten. Heute wird der Begriff Figurentheater wesentlich breiter definiert und ich glaube man kann sagen, dass das IFTF auch im deutschlandweiten Kontext mit dazu beigetragen hat, dass heute auch andere Festivals solch eine weite Definition von Figurentheater haben. Es gibt ja zwei Hochschulen, in Stuttgart und in Berlin, wo auch eine annähernd so weite Definition gelehrt wird. Aber eine zwangsläufige Entwicklung war das sicherlich nicht. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass es bei uns in der Region kein anderes Festival gibt, so wie „Spielart“ in München oder wie „Theaterformen“ in Braunschweig, das diesen Bereich abdecken würde. Da hat das IFTF sicherlich auch eine Lücke gefüllt, damit bestimmte Formate auch einmal hier in der Region zu sehen sind. Bestimmt zeigen wir in Erlangen die ein oder andere Inszenierung, bei der man am Ende mit Fug und Recht darüber diskutieren kann, ob das – bei aller Weite und Offenheit der Definition – eigentlich wirklich Figurentheater ist. Aber wir können Ihnen versichern, dass es bei jedem Stück nachvollziehbare Gründe gibt, warum wir es beim IFTF zeigen, zum Beispiel weil der Regisseur eigentlich aus dem Bereich kommt und wir ihn schon länger verfolgen. Die Zeiten, in denen das Publikum das Theater verlässt und fragt „Was hat denn das mit Figurentheaterfestival zu tun?“ sind zum Glück vorbei. Die Leute lassen sich da gerne überraschen. Wir machen kein klassisches Schauspiel und kein reines Tanztheater. Es ist immer noch etwas mit auf der Bühne, das unserem Gedanken der Figur entspricht. Das kann Licht sein, das kann der Einsatz von Ton sein, also irgendetwas, was eben auch eine Rolle spielt auf der Bühne. Manchmal kann es auch der Umgang mit dem eigenen Körper sein.
Honorieren die Zuschauer das? Will fragen, wie sieht die Entwicklung der Zuschauerzahlen aus?
In Erlangen ist es wahrscheinlich die beliebteste Veranstaltung. Die Leute freuen sich zwei Jahre drauf. Von Mal zu Mal werden es mehr Zuschauer und zwar so, dass wir uns strukturell überlegen müssen, wie wir mit dem großen Interesse umgehen. Denn so schmeichelhaft das für den Veranstalter auch sein mag, dass Veranstaltungen wenige Stunden nach dem Start des Vorverkaufs bereits ausverkauft sind, so unschön ist es auf der anderen Seite für das Publikum. Wir empfinden das mittlerweile schon als problematisch, denn man sollte sich in Ruhe das Programmheft anschauen können, sich inspirieren lassen und dann entscheiden können, wo man hingehen möchte. Wenn so ein Hype entsteht, dann stürzen sich alle auf die Karten für die ohnehin schon bekannten Dinge und niemand nimmt sich mehr die Zeit, sich wirklich mit dem Programm zu beschäftigen. Wir sind eher in Sorge, dass das in Frustration umschlagen könnte. Wir haben beim letzten Mal in der ersten Stunde im VVK 2.500 Tickets verkauft und das nur in Erlangen. Hier versuchen wir diesem Trend damit zu begegnen, indem wir versuchen, die Stücke öfter zu spielen. Es gibt also, außer im Markgrafentheater, kaum eine Produktion, die nur einmal zu sehen sein wird. In Nürnberg und in Fürth ist der Hype nicht ganz so groß. In diesen Städten gibt es aber natürlich auch parallel noch viel anderes zu sehen in der Zeit. Das ist dort eben nicht das unumstrittene Jahreshighlight wie bei uns. Aber auch dort haben sich die Besucherzahlen in den letzten Jahren deutlich erhöht. Auch in Nürnberg entwickeln sich beim Start des Kartenvorverkaufs erste Schlangen.
Wie ist die Zusammensetzung des Publikums bei IFTF? Wird beispielsweise das Alter des Publikums erfasst? Kann man das in diverse Gruppen einordnen?
Von den ermäßigten Karten her, die wir verkaufen, haben wir ein etwas jüngeres Publikum als im klassischen Theater. Es gelingt jetzt doch, vor allem durch die Zusammenarbeit mit dem Institut für Theater- und Medienwissenschaft, mit dem es gemeinsame Produktionen und Kurse zum Festival gibt, auch die Studierenden für das Festival zu interessieren. Da haben wir natürlich einen Standortvorteil. Und wir haben in Erlangen mit dem Jungen Forum International, auch in Zusammenarbeit mit der Uni und den Hochschulen, die ich vorhin erwähnt habe (Berlin und Stuttgart), sozusagen ein Festival im Festival, bei dem Studierende aus Deutschland und dieses Jahr auch noch aus Prag und Rumänien, ein paar Tage, teilweise auch über das ganze Festival hier sind, zu günstigen Konditionen ganz viel sehen dürfen, dafür auch eigene Stücke zeigen und intensiv an den Gesprächsrunden teilnehmen. Das alles sorgt natürlich dafür, dass wir gefühlt ein relativ junges Publikum haben, im Vergleich zum klassischen Theater.
Um die ganz jungen Menschen zu erreichen, spielt da das Thema Digitalisierung eine Rolle? Ist das ein Punkt für Sie und wenn ja, wie gehen Sie das an?
Für das IFTF ist die Digitalisierung schon seit Jahren ein großes Thema, weil auch der Computer eine Figur oder ein Spielpartner sein kann. Wir waren mit dem Medienkünstler Klaus Obermaier das erste Festival dieser Art, das interaktive Technologien einbezogen hat. Heute finden die auf allen IFTFs statt. Man könnte eine ganze Reihe von Inszenierungen nennen, die zum einen digitale Techniken verwenden, aber zum anderen sie natürlich auch thematisieren, die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Im Figurentheater spielen Digitalisierung und interaktive Technologien ohnehin eine wichtige Rolle. Als Beispiel hierfür würde ich gerne die Robotik nennen Figurentheaterkünstler setzen sich natürlich intensiv mit Fragen der Spiegelung der Persönlichkeit und dem Zusammenspiel zwischen einem künstlichen Wesen und einem natürlichen Wesen auseinander, mit der Frage von Stellvertretung und so weiter.
Und wie sieht es mit der Idee aus, das IFTF in die digitale Welt hinaus zu bringen, über Streaming und andere Technologien? Ist da schon etwas im Gange?
Bei uns nicht. Wir glauben schon, dass ein gemeinschaftliches Erleben einer Aufführung ein wesentliches konstituierendes Merkmal von Theater ist. Wir sehen ja selbst ganz schön viele Videos an um die Stücke auszuwählen und sind inzwischen auch geübt darin, Stücke auf Video auch zu beurteilen, müssen aber immer wieder erkennen, wie anders das gemeinsame Erleben eben ist. Es ist nicht nur das Live-Erleben, sondern es ist auch das gemeinsame Erleben von etwas. Es gibt unsererseits also derzeit keine Aktivitäten, Teile des Festivals ins Netz zu verlagern.
Es gibt aber auch viele junge Leute, denen sich der Reiz Livevorstellung gar nicht erschließt, aber im digitalen Bereich sehr stark verwurzelt sind.
Wir versuchen sie anders zu erreichen, deshalb passiert auch im öffentlichen Raum ziemlich viel. Wir probieren auch mit ungewöhnlichen Spielorten Leute anzulocken und dafür zu interessieren, wir gehen in die Stadtteile, auch mit partizipativen Projekten. Wir haben ein Projekt von Rimini-Protokoll (Anm. der Redaktion: Rimini Protokoll ist eine Theatergruppe, die Theater-, Hörspiel- und Performance-Projekte realisiert.), bei der Kinder und Jugendliche mit Smartphones die Aufführung steuern und mitgestalten, bei der ihr Verhältnis zum Smartphone auch thematisiert wird, bei dem es um den Umgang mit Wahrheit geht usw.. So versuchen wir die Menschen zu erreichen und ich glaube nicht, aber das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung, dass man dem Theater etwas Gutes tut, wenn man ihm diesen gemeinsamen Liveaspekt nehmen würde. Ich habe mir auch schon Liveübertragungen im Kino angesehen, weil man ja nicht einfach mal so in die MET kommt und ich habe mir auch im Internet schon gestreamte Theaterpremieren angesehen, weil sie mich sehr interessiert haben. Aber das war für mich dann halt immer ein Mittel zum Zweck und hatte mit dem eigentlichen Theatererlebnis, von dem ich überzeugt bin, nichts zu tun.
Aber das sind ja sehr erfolgreiche Formate. Gerade die Liveübertragungen von der MET in den Kinos beispielsweise, die sind sehr gut verkauft und darin sieht man, neben dem gewöhnlichen Theaterpublikum, auch sehr viele junge Leute.
Aber ich würde das jetzt nicht grundsätzlich sehen. Wenn sich interessante Projekte im Netz ergeben, würden wir das wahrscheinlich auch machen. Interessant ist das natürlich. Aber wir sehen jetzt keine Notwendigkeit oder Sinn darin, einfach nur Theateraufführungen zu übertragen.
Aber Angst vor einer „Kannibalisierung“ hätten Sie nicht, wenn Sie es tun würden?
Nein, ich glaube das ist etwas Anderes. Ich denke, und ich versuche jetzt auch mal im Sinne der anderen Städte zu sprechen, wenn wir so etwas machen würden, dann nicht einfach 1:1 irgendetwas ins Netz übertragen. Wenn jemand von außen oder innen mit dem Aspekt spielt, wenn das thematisiert wird, wenn das nicht einfach nur abgefilmt wird, sondern wenn das Publikum von außen vielleicht mit der Aufführung Kontakt aufnehmen könnte, dann wäre das eventuell eine Gelegenheit.
Das Theater, das wir zeigen, ist ja sehr sinnlich, es transportiert sich oft anders, als über das Verständnis von Text. An die Stelle der Sprache tritt natürlich etwas Anderes und das ist dann sicherlich auch schwieriger über ein Videobild zu vermitteln. Kurt Hentschläger (Anm. der Redaktion: Österreichischer Medienkünstler, der in Chicago lebt) beispielsweise, bei dem man ein Extremerlebnis von Dunkelheit und Licht hat, der wird in diesem Jahr im Burgbergkeller in vollkommener Dunkelheit das Publikum mit einer LED-Wand „bearbeiten“. Solche Erlebnisse, die bis hin zu wirklichen, körperlichen Erfahrungen gehen, lassen sich nun wirklich nicht mit einer Videoübertragung darstellen.
Klingt spannend!
Ist es auch!
Wir bedanken uns bei Bodo Birk für dieses interessante Gespräch.
Fotos:
Veranstaltungsplakat © Kulturamt Stadt Erlangen
Chloé Moglia | Rhizome © Jean-Louis Fernandez
Olivier de Sagazan, Transfiguration © Didier Carluccio
Rimini Protokoll © André Wunstorf