Der Natur eine Sprache geben
„1762 – Nach der Natur gemalt“ lautet das Motto des diesjährigen „Kissinger Sommers“
veröffentlicht am 05.06.2019 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Ludwig Märthesheimer
Seit Tilman Schlömp die Intendanz des „Kissinger Sommers“ übernommen hat, spielen gedanklich-konzeptuelle Aspekte eine große Rolle bei der Programmgestaltung. Für die im Juni beginnende Spielzeit des renommierten Festivals hat er sich den Leitgedanken „1762 – Nach der Natur gemalt“ ausgedacht und eine ganze Reihe von Ereignissen und Daten aus den Bereichen Philosophie, Literatur und Musik gefunden, die zeitlich zum Anheben jener musikalischen Epoche passen, die wir gemeinhin als „Wiener Klassik“ bezeichnen. Folglich wird im Kissinger Sommer 2019 viel Musik aus dieser Zeit erklingen. Bevor das eigentliche Festival startet, hat allerdings die aus Unterfranken stammende Starsopranistin Diana Damrau bereits am 24. Mai einen Appetizer dargeboten, der in Form eines Sonderkonzertes einen Vorgeschmack auf die hochkarätige Veranstaltungsreihe bot.
Bezüglich der Wiener Klassik haben sich die Programmmacher auf besonders eigenwillige, ja teils ausgefallene Werke konzentriert. Von Joseph Haydn erklingen neben der bekannten Symphonie Nr. 103 („mit dem Paukenwirbel“) die frühen Symphonien Nr. 6 bis 8. Wer kann schon von sich behaupten, diese zu kennen? Außerdem gibt es von Haydn Klaviersonaten, Streichquartette und die „Missa in tempore belli“ zu hören. Bei Wolfgang A. Mozart liegt der Akzent auf den späten Symphonien, auf den Klavierkonzerten, Quintetten und Liedern. Ludwig van Beethoven schließlich wird mit frühen Violinsonaten, Klaviersonaten, der dritten Symphonie („Eroica“), einer Konzertarie („Ah! Perfido“) und dem 4. Klavierkonzert vertreten sein.
Erstmals wird es in Bad Kissingen einen Opernschwerpunkt geben: gleich drei gewichtige Werke des Musiktheaters erklingen. Zunächst bietet die Nordwestdeutsche Philharmonie unter der Leitung von Frank Beermann eine konzertante Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“ an (23. Juni). Als „ostwestfälisches Bayreuth“ wurde diese Mindener Produktion aus dem Jahre 2015 bezeichnet. Am 6. Juli folgt eine gekürzte Fassung für Ensemble der 1762 uraufgeführten Oper „Orfeo ed Euridice“ von Christoph Willibald Gluck, verbunden mit einer sich darauf beziehenden Uraufführung des Werkes „Orfeo Reflections“ von Damian Scholl. Es musizieren Mitglieder des Bayerischen Kammerorchesters Bad Brückenau, die Harfenistin Lucie Delhaye und die Sopranistin Lena Belkina unter der Leitung von Andrea Sanguinetti.
Als musiktheatralische Besonderheit wird am 13./14. Juli der einzige Opereinakter Jean-Jacques Rousseaus im Kurtheater aufgeführt: „Der Dorfwahrsager“. Diese Produktion im Rahmen des „Kissinger Zukunftslabors“ wird von der Accademia di Monaco , Vokalsolisten der Theaterakademie August Everding und Bad Kissinger Schülern unter der Leitung Joachim Tschiedels realisiert. Weitere Termine, die Operfreunde sich notieren sollten, sind auf den 27. Juni („Barocke Bravourarien“ mit La Voce Strumentale und der Porträtkünstlerin Julia Lezhneva), den 4. Juli („Operngala“ mit den Bamberger Symphonikern, der Sopranistin Simona Saturnova und dem Tenor Benjamin Bruns) und den 11. Juli („Barocke Opernkunst“ mit dem Ensemble Artasere und dem Countertenor Philippe Jaroussky) terminiert.
„Artist in Residence“ bzw. Porträtkünstlerin ist die schon oben erwähnte Julia Lezhneva, die auch am 3. Juli unter dem Motto „Herzensstürme“ und beim Abschlusskonzert am 14. Juli auftritt. Die Darbietungen dieser von der fernen Sachalin-Halbinsel stammenden Künstlerin werden sicherlich zu den Höhepunkten des diesjährigen Kissinger Sommers gehören. Beim Finale wird die Sopranistin „mit der Glockenstimme“ von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen begleitet. Dieses von Paavo Järvi geleitete Spitzenensemble ist wie schon in den vergangenen Jahren das Festivalorchester des Kissinger Sommers. Es wird nicht weniger als sieben Mal auftreten, u.a. auch beim Eröffnungskonzert, beim Schumannkonzert mit dem Titel „Ein Quantum Verstörung“, bei der „Musikalischen Schnitzeljagd“ und bei den diversen Bach-Konzerten.
Unter den beim Kissinger Sommer gastierenden Instrumentalsolisten befinden sich wie stets auch heuer große Namen. Die Pianistenriege wird von den Altmeistern Radu Lupu und Grigory Sokolov angeführt, dazu kommen Tastenstars wie Leif Ove Andsnes, Emanuel Ax, Richard Goode, Cyprien Katsaris und Igor Levit sowie der junge Überflieger Daniil Trifonov. Über ein Wiederhören mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und mit ihren männlichen Kollegen Frank Peter Zimmermann, Daniel Hope und Christian Tetzlaff wird man sich freuen dürfen. Nicht zu vergessen die großen Dirigentennamen wie Kent Nagano, Manfed Honeck oder Herbert Blomstedt. Unter den Klangkörpern befinden sich das BR-Kammerorchester, die Bamberger Symphoniker, das New Century Chamber Orchestra, das Ural Philharmonic Orchestra, das Deutsche Symphonieorchester Berlin, die Tschechische Philharmonie und das Münchner Rundfunkorchester – alles in allem quasi eine Garantie für einen hochkarätigen Kissinger Sommer 2019.