Portrait

Vom Tonmeister zum Orchestermanager

Markus Karl Stratmann ist der Mann hinter den den Kulissen der Bamberger Symphoniker

veröffentlicht am 06.06.2019 | Lesezeit: ca. 13 Min. | von Ludwig Märthesheimer

Markus Karl Stratmann

Markus Karl Stratmann, Foto © ART. 5|III

Wie oft erleben wir pro Saison die Bamberger Symphoniker in ihrer angestammten Spielstätte, der Konzert- und Kongresshalle Bamberg? Wir lassen uns von der Musik entführen und genießen für ein paar Stunden das, auf das sich Musiker durch stundenlanges proben vorbereiten. Was den meisten von uns nicht so deutlich vor Augen steht, ist, dass sich auch jemand hinter den Kulissen darum kümmern muss, damit alles zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort ist, um letztlich das Konzert lebendig werden zu lassen. Bei den Bamberger Symphonikern übernimmt dies ein Team um den Orchestermanager Markus Karl Stratmann, das sich darum kümmert, dass nicht nur in Bamberg alles klappt, sondern dass die Symphoniker, wenn sie denn als Botschafter unserer Weltkulturerbestadt durch die Welt reisen, um Menschen auf jedem Kontinent von klassischer Musik zu begeistern, dies möglichst einfach, sicher und entspannt tun können. Wir wollten es genauer wissen und Herr Stratmann war so freundlich, uns für ein Interview zur Verfügung zu stehen.

Herr Stratmann, herzlichen Dank, dass Sie uns für dieses Interview zur Verfügung stehen. Was genau macht denn ein Orchestermanager?

Auf dem Schreibtisch des Orchestermanagers laufen die Planungsfäden und sämtliche Stränge, was die Organisation von Konzertveranstaltungen, Gastspielen, Tourneen usw. angeht, zusammen. Der Schreibtisch wird so zu einer Art Schaltzentrale. Die Arbeit beginnt mit regelmäßigen Planungs-Meetings zusammen mit dem Intendanten und dem Betriebsdirektor, in denen wir die langfristige Konzert- und Tourneeplanung festlegen, und endet schließlich mit der Detailplanung für jedes einzelne Konzert in der Saison. Das Ergebnis finden Sie dann jedes Jahr in der Saisonbroschüre, die hier auf dem Tisch vor uns liegt. Ein wichtiger Teil meiner täglichen Arbeit liegt in der terminlichen und inhaltlichen Planung von Konzerten, Reisen und Tourneen. Welche Verbindungen zwischen den Städten auf der Tour lassen sich überhaupt logistisch bewältigen, insbesondere unter dem Aspekt der Belastungen, die eine enge Reiseplanung für die Orchestermusiker bedeutet. Denn nur weil bestimmte Onlinekarten eine Reiseroute auf den ersten Blick möglich erscheinen lassen, bedeutet dies nicht, dass das auch für das Orchester am Ende gute Rahmenbedingungen für erfolgreiche Konzerte schafft.

Haben Sie hier in Bamberg eigentlich direkt als Orchestermanager angefangen und wie lernt man eigentlich, so einen Aufgabenbereich zu bewältigen?

Ja, in Bamberg habe ich direkt als Orchestermanager angefangen. Und in meinem Aufgabenbereich helfen neben einer breiten musikalischen und kaufmännischen Ausbildung natürlich vor allem die praktischen Erfahrung und der Kontakt zum Orchester. So bilden sich Erfahrungswerte darüber, was in der Praxis eines Tournee-Orchesters am Ende wirklich funktioniert: Die Rückkopplung zwischen Theorie und eigenem Erleben. Denn da ich auf praktisch jeder Tournee mit dabei bei, kann ich auch ganz unmittelbar erleben, ob eine Planung, die am Schreibtisch entstanden ist, am Ende auch in der Praxis aufgeht. Das alles ergibt einen recht fundierten Erfahrungsschatz – quasi das tägliche Rüstzeug für meine Arbeit.

Wie nah ist dabei Ihr Kontakt zu den Musikern, verstehen Sie sich vielleicht sogar als Teil des Ensembles?

Als Teil des künstlerischen Ensembles fühle ich mich natürlich nicht, das wäre vermessen. Ich fühle mich aber, wie vermutlich alle hier im Büro, dem Orchester sehr verbunden und nahe und ich versuche, hinter der Bühne meinen Teil dazu beizutragen, dass die Rahmenbedingungen so gut wie irgendwie möglich sind, damit wiederum die Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne am Abend so gut wie möglich spielen können. Denn das ist der Grundanspruch aus uns selber heraus, der Anspruch des Dirigenten und natürlich auch die Erwartung unseres Publikums, das mitunter viel Geld bezahlt, um das Orchester einen Abend im Konzert erleben zu können.

Und wie sieht das dann praktisch aus?

Das Orchester hat selbst gewählte Vertreter, neben dem Personalrat auch den Orchestervorstand. Das sind Musiker, die sich hauptsächlich um künstlerische Belange im Orchester kümmern. Dann gibt es einen Orchesterrat und einen Kammermusikvorstand, ein Education Team und ein Social Media Team. Für die verschieden Themenfelder haben wir gewählte Vertreter aus dem Orchester, mit denen wir uns regelmäßig austauschen. Jede Woche gibt es einen festen Termin mit dem Orchestervorstand und Vertretern des Personalrats und dort werden ganz aktuelle Themen diskutiert. Aber wir machen auch ganze Klausurtage mit dem Orchestervorstand, wo wir uns über die großen Linien, die strategische Ausrichtung des Orchesters und übergeordnete Fragen verständigen, damit der Kontakt zwischen der Intendanz und dem Orchester möglichst eng bleibt.

Ist es für Ihre Aufgabe wichtig oder auch nur hilfreich, dass Sie einmal selbst Musik studiert und als Tonmeister gearbeitet haben?

Ja, das ist für dieses „Hüpfen zwischen den Welten“ in der Tat sehr hilfreich. Ich habe zuerst Musikalische Aufnahmeleitung/Tonmeister an der Musikhochschule Detmold studiert und danach noch Betriebswirtschaftslehre in Hamburg und kann aus diesen beiden Ausbildungen bei meiner Arbeit die Kenntnisse herausziehen, die ich brauche, um zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln. Wir bewegen uns immer zwischen unserem musikalisch-künstlerischen Anspruch auf der einen Seite und einer profanen, wirtschaftlichen Realität auf der anderen Seite. Zwischen diesen „Leitplanken“ den besten Weg zu finden, das ist unsere Aufgabe. Meine musikalische Ausbildung hilft mir sehr, ein möglichst kompetenter Ansprechpartner für Dirigenten, Solisten und unsere Orchestermusikerinnen und -musiker zu sein. Aber auch die betriebswirtschaftliche Ausbildung ist sehr hilfreich, um beispielsweise eine Tournee unter finanziellen Aspekten möglichst erfolgreich gestalten zu können. Denn unser Orchester mit 111 Musiker-Planstellen und insgesamt fast 130 Mitarbeitern ist schon ein mittleres Wirtschaftsunternehmen. Da wir zu ca. zwei Drittel durch staatliche Fördergelder finanziert werden, obliegt uns natürlich eine ganz besondere Sorgfaltspflicht im Umgang mit diesen Mitteln. Und für diese Arbeit zwischen den beiden Welten ist meine duale Ausbildung schon sehr praktisch.

Wie groß ist das Team, mit dem Sie alle Aufgaben rund um das Orchester und insbesondere das Reisen des Orchesters möglich machen? Und sind die Aufgaben im Team klar verteilt?

Wir sind mit insgesamt rund 15 Personen in der gesamten Administration ein ziemlich kleines Team, gemessen an dem, was wir so organisieren und umsetzen. Wir haben ca. 100 Konzerte pro Saisin, davon etwa die Hälfte hier in der Region. Alle weiteren Konzerte finden außerhalb statt, in Deutschland, Europa und Übersee. Die Überschaubarkeit des Teams führt dazu, dass jeder eine große Eigenverantwortung hat für den Bereich, in dem er arbeitet. Das fängt beispielsweise bei der Reiseplanung an. Eine Kollegin ist quasi jeden Tag damit beschäftigt, wie unser eigenes kleines Reisebüro, die Konzertreisen zu organisieren. Von den Bus- und Zugtransfers, über die Hotelbuchungen bis hin zu allen Visa-Formalitäten. Dann haben wir einen Orchesterdisponenten, der sich darum kümmert, dass das Orchester überhaupt spielfähig ist, dass immer die erforderliche Besetzung auf der Bühne steht und für Ersatzmusiker sorgt, wenn denn mal jemand ausfällt. Dann unsere Notenbibliothekare, die sich um alle Belange des Notenmaterials kümmern – eine ziemlich umfangreiche Aufgabe, kann ich Ihnen sagen! – und natürlich die gesamte Orchesterlogistik, die von unseren Orchesterwarten gemanagt wird: Routenverläufe, Frachtvolumina, LKW-Strecken, all das muss sorgfältig geplant werden, damit die Instrumente den Musikern dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Bei einer Tournee mit großer Besetzung reden wir immerhin über ca. 5 Tonnen oder auch 50 m³ Kisten mit Instrumenten, Kleidung, Zubehör usw., die punktgenau am Spielort sein müssen. Jede Woche machen wir hier ein großes Projekt-Meeting, damit die Tourneen am Ende reibungslos ablaufen können.

Wie lange im Voraus wird denn eigentlich geplant? Eine Spielzeit oder gar mehrere?

Große Tourneen planen wir bis zu drei Jahre im Voraus und von da an bricht sich das runter bis hin zu den Abokonzerten in Bamberg, die dann letztlich auch das Programm bei den Tourneen bestimmen.

Wie kommen die Auftritte an anderen Orten eigentlich zustande? Wird das Orchester von dort angefragt oder muss man sich als Orchester vielleicht sogar bewerben? Oder sucht sich das Orchester einen Spielort aus und alles Weitere wird dann entsprechend organisiert?

Das Renommee des Orchesters, auch international, ist glücklicherweise so hoch, dass wir zu Konzerten in aller Regel eingeladen werden. Ein intensives Networking ist dabei aber natürlich auch unverzichtbar. Konzerteinladungen werden entweder von großen Konzerthäusern ausgesprochen, in Übersee arbeiten wir aber auch mit entsprechenden Agenturen zusammen, die als Mittler an die lokalen Veranstalter in Süd- oder Nordamerika oder Asien herantreten und das Orchester vertreten. Und so baut sich nach und nach eine Tournee auf. Hier in Europa machen wir faktisch alles selbst, das ist durch unsere guten Kontakte in die einzelnen Häuser und zu den wichtigen Veranstaltern möglich. Mit denen befinden wir uns immer in regem Austausch. Oftmals werden auch bei einem Konzert, das wir spielen, schon Termine für Wiedereinladungen in kommenden Spielzeiten mit den Verantwortlichen vereinbart.

Wenn einmal vor Ort etwas schiefläuft, gibt es dann schon einen „Plan B“ mit dem man für solche Momente gewappnet ist oder versucht man Probleme spontan zu lösen?

In der Regel gibt es einen „Plan B“, ja, man muss möglichst gut für Eventualitäten gewappnet sein. Wenn es dann vor Ort tatsächlich zu Problemen kommen sollte, gilt es, ganz pragmatisch einen möglichst praktikablen Weg zu finden, um die Situation aufzulösen. Natürlich immer in Rückkopplung mit den Orchestergremien – schließlich müssen die Lösungen insbesondere für die Musiker tragbar sein.

Sie reisen ja (fast) immer mit dem Orchester mit. Ist das nicht wahnsinnig anstrengend und zeitaufwendig, Ihre Schreibtischarbeit in Bamberg macht sich sicherlich auch nicht von allein?

Ja, stimmt, die Zeit auf Tournee ist zwar sehr schön, aber auch ziemlich anstrengend. Oft muss noch spontan etwas (um-)organisiert werden, die Tage sind lang, die Nächte kurz – da bleibt wenig Zeit zum Durchschnaufen. Und die Arbeit, die zuhause auf dem Schreibtisch liegt, begleitet einen natürlich auch immer. Aber: Das, was ich mache, ist wirklich mein absoluter „Traumjob“! Im persönlichen Austausch mit den Orchestermusikern, den Dirigenten und Solisten zu sein, komplexe Abläufe mit immer neuen Herausforderungen zu organisieren, durch Konzerte überall auf der Welt belohnt zu werden – das alles setzt Kräfte frei, die mir dabei helfen, auch durch stressige Phasen zu kommen.

Sind Sie denn für die Musiker auf den Reisen der Ansprechpartner für alles oder kümmern sich die Mitglieder des Ensembles selbst um ihre Belange. Was wenn einmal ein Arzt gebraucht wird oder der sprichwörtliche Knopf am Frack abreißt? Gehört es zu Ihren Aufgaben auch in solchen Momenten zu helfen?

Wir reisen immer in einem kleinen Team mit dem Orchester. Mir könnte ja auch einmal etwas passieren, dann braucht es natürlich auch jemand, der meine Aufgaben übernimmt. Auf Überseereisen begleitet uns zudem auch ein Arzt, um auf gesundheitliche Probleme adäquat reagieren zu können. Gerade der begleitende Arzt befreit mich von einer gewissen Verantwortung, wenn es um medizinische Probleme geht. Aber auch ich habe schon Nächte in Notaufnahmen verbracht… Was das Orchester betrifft, reisen bei großen Tourneen zusätzliche Musiker mit. Im Idealfall bleibt jeder gesund. Aber im Notfall muss ein Musiker kurzfristig einspringen können, damit wir das Konzert wie geplant in der vollen Besetzung spielen können.

Wie nervös sind Sie eigentlich selbst vor den Auftritten? Gibt es bei Ihnen so etwas wie Lampenfieber?

Ja, sicher! Aber ich merke es glücklicherweise immer erst dann, wenn das Konzert vorbei ist und die Anspannung abfällt. Für mich ist diese Anspannung aber tatsächlich etwas sehr Positives, wie eine freudige Aufregung. Und nachdem wir oft Jahre lang auf ein Konzertereignis hingearbeitet haben, ist es einfach ein toller Abschluss, am Abend im Konzert sitzen und die Musik genießen zu können!

Was sind die besonderen Herausforderungen, vor die man bei der Planung und Vorbereitung zum Beispiel von Überseereisen gestellt wird?

Gerade bei großen Interkontinental-Reisen ist es eminent wichtig, die Hausaufgaben schon vorher gewissenhaft zu erledigen. Die Visa-Beantragung für das Orchester ist zum Beispiel ein sehr aufwändiger Vorgang. Vor USA-Tourneen muss beispielsweise das ganze Orchester persönlich im Konsulat in Frankfurt erscheinen. Dort werden dann Interviews geführt, Fragen gestellt etc. Nach sechs Wochen bekommen wir dann unsere Pässe zurück, manchmal fehlen aber auch welche, denen muss man dann hinterhertelefonieren. Bei der Einreise selbst ist allein die Größe des Orchesters eine Art „Macht“ und führt zu einem gewissen Pragmatismus der Einwanderungsbeamten. Ein schwieriges Thema ist auch oft der Transport unserer Instrumente. Alles muss durch den Zoll und dieses Prozedere ist mitunter sehr zeitaufwändig. Manchmal ist auch ein Cargo-Flieger überfüllt und Teile unseres Gepäcks bleiben dann stehen und kommen erst später nach. Für solche Fälle muss man einfach gerüstet sein und die zeitliche Planung entsprechend abstimmen.

Wohin geht die nächste Reise und auf welche Reise von denen die schon feststehen, freuen Sie sich besonders?

Wir führen das fort, was wir vor wenigen Tagen in Prag begonnen haben. Wir spielen Smetanas „Vaterland“ in diversen Städten, haben damit gerade den „Prager Frühling“ eröffnet. Am Wochenende geht es weiter nach Baden-Baden, dann Zürich, Innsbruck, Lugano, in die Elbphilharmonie nach Hamburg und dann im Juli nach Amsterdam und zum krönenden Abschluss nach London zu den BBC Proms in die Royal Albert Hall. Dort vor 6000 Menschen mit Liveübertragung im Fernsehen zu spielen, das ist schon etwas Großartiges, darauf freue ich mich schon sehr! Im Herbst sind wir in China, das ist auch immer etwas ganz Besonderes, und wir planen bereits Tourneen nach Südamerika und Japan.

Wie entspannt Markus Karl Stratmann am Ende des Tages?

Dabei helfen mir im Alltag die kleinen Familienrituale sehr: Mit den Kindern noch ein Buch lesen, vielleicht etwas spielen, von den Erlebnissen des Tages erzählen – das erdet mich. Und dann den Abend mit meiner Frau ausklingen lassen, gemütlich zusammensitzen, den Tag Revue passieren lassen, etwas lesen. So fahre ich runter und tanke auf für den nächsten Tag.

Herr Stratmann, wir bedanken uns sehr für dieses aufschlussreiche und offene Interview.

Die Bamberger Symphoniker werden am 28. Mai im Rahmen des Internationalen Musikfest Hamburg gemeinsam mit dem Oboisten Albrecht Mayer ein Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie geben und danach weiter nach Berlin fahren, um im Rahmen einer „Yellow Lounge“ der Deutschen Grammophon eine neue CD vorzustellen. Ein Redaktionsmitglied wird diese Kurzreise begleiten und in der Ausgabe 39 darüber berichten.

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