Mixtur

Einst eine Pioniertat, heute gängige Praxis

Die Musica Canterey Bamberg setzt seit 50 Jahren Maßstäbe für die Interpretation der Musik aus Renaissance und Barock

veröffentlicht am 24.06.2019 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Martin Köhl

Musica Canterey

Musica Canterey, Foto © Gerhard Schlötzer

Bambergs Verein für Alte Musik wurde 1969 gegründet und trägt seither den Namen Musica Canterey. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums befragten wir Dr. Gerhard Weinzierl (GW), den langjährigen Vorsitzenden des Vereins, und Norbert Köhler (NK), den derzeitigen Vorsitzenden und Leiter des Vereinschores.

Welche Motive standen hinter der Gründung des Vereines und des Chores vor 50 Jahren? War es eine Unzufriedenheit mit der damals üblichen Interpretation Alter Musik?

Gerhard Weinzierl: Die Motive der Vereinsgründung der Musica Canterey Bamberg sind in ihrer Satzung klar formuliert: „Die Pflege und stilgerechte Interpretation Alter Musik unter Berücksichtigung musikwissenschaftlicher Forschungsergebnisse.“ Weiterhin soll „diese Musik durch Konzerte, Kurse und Vorträge dem Publikum“ erschlossen werden.
Die Vereinsgründer wollten die Pflege Alter Musik – von Josquin Desprez bis Heinrich Schütz – in den Mittelpunkt der musikalischen Arbeit stellen, nicht als gelegentliche Pflichtübung, wie es selbst bei guten Chören häufig der Fall ist. Die Kriterien einer historischen Aufführungspraxis (Besetzung, Tempowahl, Wort-Tonverhältnis, temperierte Stimmung etc.), in der Musikwissenschaft längst erkannt, sollten weitgehend berücksichtigt werden.

Sind Sie in der Rückschau davon überzeugt, dass sich die Wahrnehmung Alter Musik in der Region durch Ihre langjährigen Aktivitäten geändert hat?

Gerhard Weinzierl: Das hoffen wir natürlich sehr. Waren unsere Konzerte in den 1970er und 1980er Jahren noch Pioniertaten, so ist Vieles heute durch die mediale Präsenz exzellenter Einspielungen zur Selbstverständlichkeit geworden. Sich vor diesem Hintergrund als Veranstalter noch behaupten zu wollen, ist eine besondere Herausforderung. Dieser soll mit originellen Programmkonzepten begegnet werden, die übrigens auch die regionale Musikgeschichte einbeziehen.

Wie ist nach einem halben Jahrhundert Musica Canterey der Stand der Dinge? Macht der Zuspruch zu den Veranstaltungen Mut zum Weitermachen?

Norbert Köhler: Der Zuspruch zu unseren Konzerten ist sehr unterschiedlich. Gelegentlich erleben wir schwachen Besuch trotz eines attraktiven Programms, aber oft können wir uns auch über volle Kirchen freuen, wie erst Ende März bei einem ausgefallenen Passionsprogramm. Das macht Mut, ebenso die Tatsache, dass unsere Vereinsmitgliederzahl seit vielen Jahren stabil bleibt, was angesichts zunehmender Vereinsmüdigkeit bemerkenswert ist.
Generell ist das Publikum schwieriger zu gewinnen als noch vor 20 oder 30 Jahren. Das liegt einerseits an der großen Veranstaltungsdichte in Bamberg und andererseits an der Tatsache, dass die historische Aufführungspraxis Alter Musik heutzutage als etabliert und insofern nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal gilt.

Kann man weiterhin auf „Bewährtes“ setzen, oder gibt es mittlerweile vielversprechende neue „Formate“, um das Publikum zu halten bzw. neue Interessenten zu gewinnen?

Norbert Köhler: Weitgehend wird es bei bewährten Formaten bleiben: Chorkonzert (auch mit externen Partnern), Tage Alter Musik (unter einem verbindenden Thema), Musiksalon, Vortrag. Dazu gehört die passende Raumwahl für einen möglichst stimmigen Rahmen bei guter Akustik. Eine große Rolle spielt auch die Pflege von Partnerschaften mit interessanten Ensembles, die unserem interpretatorischen und programmatischen Ansatz entgegenkommen. So haben wir ein gemeinsames Projekt mit dem Ensemble 1684 aus Leipzig durchgeführt, das dort gleiche Ziele verfolgt wie wir hier in Bamberg, nämlich die Hebung von unbekannten Schätzen der regionalen Musiklandschaft – und geradezu euphorische Reaktionen geerntet.
Bezüglich der Formate beobachten wir bei manchen Veranstaltern eine Entwicklung zur „Eventisierung“, bei der die Verpackung eine größere Rolle spielt als der Inhalt. Auf dieser Welle wollen wir nicht mitschwimmen, sondern lieber mit durchdachten Programmen und hochwertigen Konzerten ein Stammpublikum gewinnen. Ein lange gepflegtes Format ist z.B. der sogenannte Musiksalon, bei dem eine interessante Thematik durch Musik und Moderation beleuchtet wird. Das kommt stets sehr gut an und schafft einen direkten Draht zum Publikum.

Fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit genügend unterstützt und gefördert von den lokalen Kulturverantwortlichen und angemessen gewürdigt von den lokalen Medien?

Norbert Köhler: Hier fällt die Antwort zweigeteilt aus. Die Kulturverantwortlichen von städtischer Seite unterstützen uns. Seit der Etablierung der Tage Alter Musik 1988 können wir uns auf die dauerhafte Förderung durch das Kulturamt verlassen, was von essentieller Bedeutung ist. Auch wurden wir in der Vergangenheit immer wieder für attraktive Aufgaben angefragt. So gestalteten wir die Festkonzerte zum 750-jährigen Jubiläum des jetzigen Bamberger Doms (1987) sowie zum tausendjährigen Jubiläum des Bistums (2007) und durften 2003 die Wiedereröffnung der restaurierten St.-Getrau-Kirche musikalisch umrahmen.

Zum zweiten Aspekt Ihrer Frage ist anzumerken, dass sich Umfang und Qualität der Kultur-Berichterstattung in der lokalen Tageszeitung sehr verändert haben. Früher erschien das Programmheft zu den Tagen Alter Musik als 16-seitige Verlagsbeilage und Pressevertreter schrieben umfangreiche Artikel über unsere Konzerte im Feuilleton. Jetzt ist man schon über ein Foto mit einer kurzen Ankündigung im Lokalteil froh. Vor allem Theaterpremieren, Symphoniekonzerte und überregionale Events werden bedacht. Die Etablierung Ihrer Kultur-Zeitung ist die fast zwangsläufige Konsequenz aus diesem Vakuum an kulturbezogener Berichterstattung.

Wir bedanken uns bei Dr. Gerhard Weinzierl und Norbert Köhler für dieses interessante Gespräch.

Schlagworte:

Ähnliche Artikel: