Mixtur

Kultur DIGITAL

ein Annäherungsversuch

veröffentlicht am 24.06.2019 | Lesezeit: ca. 4 Min. | von Oliver Will

Schriftzug Digital

Schriftzug Digital, Foto © pixabay.com

Digitalisierung, als technisches Phänomen längst aus den Kinderschuhen entwachsen, in seiner Bedeutung diversifiziert und im Sprachgebrauch derzeit inflationär, avancierte in den letzten Monaten und Jahren zum wenig reflektierten Schlagwort für große und kleine Erzählungen der in Gang befindlichen und drohenden digitalen „Zeitenwende“. In seiner Wirkung hoch respektiert, als Gefahr wie Chance gleichermaßen proklamiert, streiten sich apokalyptische Prediger und unverbesserliche Optimisten um ihre Deutungshoheit für unsere Zukunft. Da macht auch die Politik gegenwärtig, zwischen den Stühlen sitzend, mit allzu unklarem Handlungsauftrag, keine bessere Figur. Statt die viel beschworene Relevanz des globalen Digitalisierungswettbewerbs konkret und greifbar zu machen und progressive Handlungsfelder zu bestimmen, verliert sie sich einmal mehr in hysterischen Politformeln und voreiligem Aktionismus.

Wen stört es schon, dass die Flugtaxis von morgen heute noch nicht fliegen können? Immerhin wird gebetsmühlenartig versichert, sei die Brisanz der Digitalisierung erkannt. Und in der Tat, ein Blick auf die Agenden der Digitalisierung zeigt einige Themenfelder auf. Der Nährboden für wirtschaftliche Entwicklung wird mit Teststrecken für autonomes Fahren, Netzausbau-Programmen, Forschung und Beratung im Technologietransfer für Industrie- und Handwerk und digitalen Gründerzentren bereitet. Ein Pakt für die Digitalisierung der Schulbildung soll weitere Infrastruktur stellen und dringend nötige (Zukunfts-)Fähigkeiten vermitteln. Als gelinge eine erfolgreiche digitale Transformation allein mit Maßnahmen, die kurzerhand aus dem Back-Katalog der Wirtschaftspolitik gestrickt wurden.

Das Augenmerk für Chancen der wirtschaftlichen Entwicklung in allen Ehren, aber es unterschätzt das Potenzial der Digitalisierung als grundlegenden Kultur- und Gesellschaftswandel, der wesentlich mehr Auseinandersetzung und Umgang bedarf und bietet, als die blanke Intention, im wirtschaftlichen Wettbewerb zu bestehen, zu bieten hätte. Entsprechend verwundert es, dass das Feld Kultur aus der Digitalisierungsperspektive heraus weitgehend ignoriert wird, wo es doch als Versuchslabor der kreativen, innovativen und gesellschaftsrelevanten Transformation prädestiniert scheint. Schließlich hat es zahlreiche Praxisfelder auf ganz verschiedenen Ebenen, in denen umgehend pragmatisch und empirisch in die Materie eingestiegen werden kann.

Digitalisierung bietet die Chance, das kulturelle und geistige Erbe der Menschheit allen zugänglich zu machen. Der digitale Raum bietet die Option einer grenzenlosen Erweiterung und Verfügbarkeit der sonst immobilen Kulturorte sowie des mobilen Kulturguts. Die Digitalität verschiebt erneut die Grenzen zwischen Original, Abbild und Reproduktion sowie zwischen Produktion und Rezeption und befördert eine Debatte, die in der Kultur- und Kunsttheorie auf erprobten Diskurs stößt. Digitale Kommunikation erweitert das sozialräumliche Spielfeld zeitgenössischer Kultureinrichtungen über das Smartphone bis in die Hosentasche der (potenziellen) Besucher von Aufführungen, Ausstellungen und Freizeitkultur. Die technischen Innovationen verändern alte und liefern neue Werkzeuge der Kunstproduktion. Für die Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz sind die gut strukturierten Einrichtungen der kulturellen Bildung prädestiniert. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz findet im Kulturbereich zahlreiche geduldige und wirkungsstarke Anwendungsfelder.

Dies alles sind vielversprechende Praxisfelder der digitalen Zukunft, die nicht nur wirtschaftliche Wertschöpfungsketten betreffen, sondern – richtig angewandt – kulturellen und damit auch sozialen Mehrwert versprechen und noch dort ansetzen, wo rein wirtschaftliche Entwicklungsspielräume aufhören oder gar beschädigen. Deshalb macht es unbedingt Sinn ein paar mehr und tiefer gehende Gedankeninstrumente zu entwickeln, die sich dem Potenzial von Kultur & DIGITAL widmen. Auf dass sie ihre Wirkung in dem noch so unreifen Prozess entfalten mögen und Impulse setzen, die Schnittstelle Kultur und Digital zu stärken und die blanken Seiten der Digitalisierungskonzeptionen damit zu füllen. Fortsetzung folgt!

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