Die Wartenden – Rezension
Geschichten über Bilder
veröffentlicht am 29.07.2019 | Lesezeit: ca. 2 Min. | von Martin Köhl
Es ist ein origineller Einfall, der Marc Mauguin dazu brachte, eine Folge von zwölf Kurzgeschichten zu schreiben, die unter dem Titel „Die Wartenden“ beim Verlag Oktaven erschien. Eine Folge von Gemälden Edward Hoppers aus den 1940er bis 1960er Jahren regte den französischen Schauspieler, Clown (!) und Schriftsteller dazu an, sich über diese Vorlagen Geschichten auszudenken. Gleich im ersten Bild mit dem Titel „Cape Cod Morning“ von 1950 wird Mauguins Arbeitsweise deutlich. Phantasievoll spinnt er um eine eigentlich statisch wirkende Szene – eine Frau schaut, gestützt auf einen Tisch, aus dem Fenster in die Ferne – Assoziationen zu dem fiktiven Leben dieser Frau. Zu keinem Moment lässt er sich auf eine bloße Bildbeschreibung ein, und doch wird allmählich ein Schicksal plastisch, das zur Momentaufnahme des Gemäldes passen könnte.
Auch in den weiteren Geschichten gelingt es dem Autor, auf engstem Raum verschiedene Erzählstränge und Zeitebenen zu bündeln und die handelnden oder auch nur vorkommenden Personen interagieren zu lassen. Stets scheint die Frage im Raum zu stehen, zu welcher Person bzw. zu welchem Leben das im Bild eingefrorene Motiv passen könnte. Mauguin benutzt verschiedene Erzählperspektiven. Die Themen sind sehr unterschiedlich und reichen von einer Szene im Zug über eine Situation im Hotel bis zum morgendlichen Akt einer Frau. In allen jeweils zu Beginn des neuen Kapitels abgebildeten Bildern ist der Moment des Wartens, des Verweilens sehr präsent, ja sogar dominant, weshalb die Titelwahl für das Buch überzeugt. Die Lektüre lässt den Leser immer wieder erstaunen – kein Wunder, ist der Autor doch auch ein Clown, also zuständig für’s Staunen und sich Wundern.
Marc Mauguin, Die Wartenden, Oktaven Verlag, ISBN 978-3-7725-3012-8