Martins Sprachecke
Sich gebildet ausdrücken – wie und wozu?
veröffentlicht am 29.07.2019 | Lesezeit: ca. 2 Min. | von Martin Köhl
Fremdwörter seien die „Juden der Sprache“, meinte Theodor W. Adorno einmal, und folglich solle man mit ihnen pfleglich umgehen. Fragt sich nur, wie ein solch schonender Umgang aussehen könnte. Gewiss meint er nicht den Gebrauch von Fremdwörtern zu dem Zweck, wohlfeil Eindruck zu schinden. Aber ist ein weitgehender Verzicht darauf sinnvoll – bei gleichzeitig größtmöglicher Eindeutschung? Es gibt viele Wörter griechischer oder lateinischer Herkunft, deren man sich gerne enthalten kann, weil die deutsche Entsprechung ebenso kompakt und genau ist. Wenn man z.B. „diffizil“ statt „schwierig“ sagt, dann ist der Gebrauch des Fremdworts ziemlich überflüssig und wirkt vielleicht sogar gestelzt. Ähnlich verhält es sich mit „artifiziell“ statt „künstlich“ und mit vielen Anderen.
Doch es gibt eben auch Fremdwörter, vornehmlich im technischen und medizinischen Bereich, die einen Sachverhalt prägnant ausdrücken, aber nur relativ umständlich einzudeutschen sind. Was z.B. „Osteoporose“ ist, weiß heute fast jeder, auch ohne humanistische Bildung, weshalb man sich die umständliche Übersetzung gerne erspart. Schwieriger wird es bei Wörtern, deren Verwendung zwar wegen mangelhafter deutscher Entsprechung sinnvoll ist, die aber dem klassischen gehobenen Bildungswortschatz angehören und daher nur von Wenigen verstanden werden. Beispiele: „atavistisch“ und „idiosynkratisch“. Die beiden Ausdrücke mögen hier unübersetzt und den geneigten Lesern zum Nachschauen überlassen bleiben…
Natürlich kommt es auch darauf an, mit wem man spricht. In einer bunt gemischten Runde mit lateinischen Redewendungen imponieren zu wollen, ist reichlich deplatziert, doch derlei in einem Kreis von Altsprachlern einzuflechten, wirkt durchaus nicht wichtigtuerisch. Kürzlich ist im Olms-Verlag ein Buch von Gerhard Augst mit dem Titel „Der Bildungswortschatz“ erschienen, das die Wandlungen des gehobenen Sprachgebrauchs darstellt und deshalb auch eine gute Orientierung im Umgang mit den „Juden der Sprache“ bietet. Augsts Fazit: Der klassische Bildungswortschatz wird zunehmend durch den modernen ersetzt, der auf technischen Ausdrücken und Anglizismen beruht. Und mit denen werden alle groß, auch diejenigen, die nicht das humanistische Gymnasium besucht haben.