„Hidden Beauty“
Erste Ausstellung nach der umfassenden Sanierung der Kunsthalle Nürnberg
veröffentlicht am 30.09.2019 | Lesezeit: ca. 6 Min. | von Ludwig Märthesheimer

Michail Pirgelis: High Authorities, 2019 Aluminium, Fiberglas, Titan/Aluminium, fibreglass, titanium, Größe variable/dimension variable Kapsel 1, 2010 Aluminium, Fiberglas, Titan, Lack/Aluminium, fibreglass, titanium, lacquer, 203 x 102 x 99 cm, Foto © Courtesy Sprüth Magers Berlin; © Michail Pirgelis
Die acht Ausstellungsräume der Kunsthalle Nürnberg strahlen nach einer umfassenden energetischen Sanierung der Dächer in neuem Licht. Mit ihren klaren Blickachsen und wechselnden Proportionen bietet die Architektur den Ausgangspunkt und Bezugsrahmen für die raumgreifenden Skulpturen und ortsspezifischen Installationen von Nevin Alada?, Monica Bonvicini, Olafur Eliasson, Ann Veronica Janssens, Michail Pirgelis, Laure Prouvost, Thomas Rentmeister, Karin Sander und Haegue Yang. Ihre Raumkonzepte sind inspiriert von den Strategien des Environments, der Partizipation, der Konzeptkunst und der Minimal Art der 1960er-Jahre, spannen jedoch leichthändig, spielerisch und mit Humor den Bogen in die Gegenwart.
Der Ausstellungstitel „Hidden Beauty“ spielt ebenso auf die in der mittelalterlichen Stadtmauer verborgene Architektur der Kunsthalle Nürnberg an, wie auf die Kunst, die in diesen Räumen Situationen schafft für physisch erlebbare Erfahrungen und überraschende Wahrnehmungen. Monica Bonvicinis Videoinstallation Slamshut (2016) konfrontiert gleich im ersten Raum die Besucher*innen mit ihren eigenen Erwartungen und lässt die im Film aufgebaute Spannung abrupt und mit trockenem Humor in einer körperlichen Erfahrung enden. Auch in der Installation von Olafur Eliasson und im Werk von Ann Veronica Janssens geht es um die aktive Einbeziehung von Menschen und ihre sinnliche Wahrnehmung. Janssens großformatige Glastafel aus der Serie der Magic Mirrors (2012–14) erzeugt bei Tageslicht eine verwirrende Vielfalt von schillernden Lichtreflexen und Spiegelungen, die die Grenzen zwischen Werk und Betrachtenden auflösen und die Erfahrung des realen Raums verändern. Den Gegenpart dazu bildet Olafur Eliassons kinetische Skulptur Mono Scanner (2004), die in einem verdunkelten Raum die Wände mit einem Lichtstrahl durch die Linse eines Leuchtturm-Scheinwerfers abtastet und so die Aufmerksamkeit auf Details lenkt. Die ausgewählten, zum Teil eigens für die Ausstellung entwickelten Werke lassen die Räume auf ganz unterschiedliche Weise neu erleben. So verändert etwa Michail Pirgelis mit seiner Installation High Authorities (2019) den Übergang zwischen dem vierten und fünften Ausstellungsraum und setzt diese Richtungsänderung fort in neuen Wegen durch den Saal, die sich aus der Positionierung seiner großformatigen Objekte und Skulpturen ergeben. Sein Material – ausrangierte Flugzeuge – findet der Künstler auf Flugzeugfriedhöfen, wo die Symbole der globalen Mobilität am Ende „gelandet“ sind. Die ursprüngliche Funktion eines Werkstoffes zu entfremden, verborgene Strukturen sichtbar zu machen und in eine andere Realität zu überführen, ist auch bei den Skulpturen von Nevin Alada? und Thomas Rentmeister die Intention. Aus verzinkten, miteinander verbundenen Lüftungskanälen besteht die monumentale Skulptur Square Tubes (Looping) von Thomas Rentmeister, die sich in einer weit ausholenden Drehbewegung durch den Raum schwingt. Den seriellen Modulen der Vierkantrohre gibt Thomas Rentmeister in einem performativen Akt eine individuelle bildhauerische Form. Aus Drahtseilen und Kommunikationskabeln bestehen die Makrames von Nevin Alada?. Die aus dem Orient stammende Knüpftechnik für Blumenampeln, Raumteiler oder Wandbehange bildet mit den widerspenstigen Materialien eine ungewöhnliche Einheit und verweist zugleich auf die globale Kommunikation und Vernetzung, die unsere Arbeitswelt und Lebenswirklichkeit heute prägen. Alada? verknüpft in ihren Makrames traditionelle kulturelle Techniken mit ausgeprägten sozialen Strukturen, die die Frage nach der Abgrenzung zwischen individueller Freiheit und sozialer Kontrolle, privatem und öffentlichem Raum aufwerfen. Diese Fragen stellen sich auch bei den Installationen von Haegue Yang und Karin Sander. Auf das Verhältnis zwischen Betrachter*in und Betrachtetem zielt Haegue Yangs Installation Jahnstrasse 5 (2017), die aus fünf hinterleuchteten Aluminium-Jalousien besteht, deren Masse und Positionen an den Wänden genau den Heizkörpern und einem Boiler in ihrer früheren Wohnung entsprechen. Die Lichtobjekte gleichen Fenstern, die mit dem individuell einstellbaren Sicht- und Sonnenschutz der Jalousien die Einsicht in die Privatsphäre gewähren oder diese verweigern können. Karin Sanders als Schließfächer benutzbare Vitrinen Identities on Display (2013) im Foyer der Kunsthalle Nürnberg lassen private Gegenstände unmittelbar zu Ausstellungsstücken werden, die Rückschlüsse auf die individuellen Eigenschaften und Vorlieben der Nutzer*-innen bei Accessoires und Kleidung geben. Karin Sander macht das Verhältnis zwischen Besucher*innen und öffentlicher Institution zum Thema und enthüllt den Gegensatz zwischen dem institutionellen Anspruch, Freiräume zu schaffen und dem Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit – für die Besucher*innen wie für die Exponate. Die Verbesserung der Energiebilanz und der Klimakontrolle in der Kunsthalle Nürnberg waren Ziele der Sanierung. Laure Prouvost dienen sie als Ausgangspunkt für die Einrichtung eines „Showrooms“, der an einen verwilderten Wintergarten erinnert. Gemeinsam ist der Sammlung von Pflanzen und Gegenständen, dass sie auch biologische oder technische Kühlsysteme sind oder diese enthalten. Mit dem Titel ren-essence (corner) I spielt Laure Prouvost auf die Epoche der Renaissance an, doch lässt dieser sich auch auf die „Wiedergeburt“ eines neuen Ausstellungsraums in der Kunsthalle Nürnberg beziehen.
Ausstellung „Hidden Beauty“ vom 12. Oktober 2019 bis zum 19. Januar 2020, Kunsthalle Nürnberg im KunstKulturQuartier, Lorenzer Straße 32, 90402 Nürnberg. Öffnungszeiten: Di, Do–So und feiertags 10–18 Uhr, Mo sowie am 24./25./26./31.12.2019, 01./06.01.2020 geschlossen. Eintritt Erwachsene: 5 € (ermäßigt 2,50 €), Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr: freier Eintritt, Schüler im Klassenverband: freier Eintritt. Gruppen ab 15 Personen: 3 €. Mi 18–20 Uhr freier Eintritt.