Martins Sprachecke
Gym, Ex und Diss
veröffentlicht am 28.11.2019 | Lesezeit: ca. 3 Min. | von Martin Köhl

Die neudeutsche Demo(nstration) – kann auch als Demo(graphie) oder Demo(skopie) verstanden werden, Foto © pixabay.com
Die Sprachbequemlichkeit nimmt zu. Sind wir so mundfaul geworden, dass wir immer mehr zu Abkürzungen greifen, die bisweilen so kurz sind, dass nur eine Vorsilbe übrig bleibt? Ja, es sieht so aus, aber ganz neu ist das natürlich nicht. In den Bio-Unterricht beispielsweise gingen wir schon vor 50 Jahren, und die Demonstrationen 1968 hießen auch nur „Demos“, grad so wie die Franzosen alljährlich im Herbst nicht zur „manifestation“ gehen, sondern zur „manif“. Aber wer heute bezüglich eines Lebenslaufes von „Bio“ redet, der meint wohl eher Biographie als Biologie, und „Demo“ kann auch für Demoskopie oder Demographie stehen. Die Metro war mal die Métropolitain, das Velo das Vélocipède.
Ach ja, überhaupt die Franzosen, die sind in dieser Beziehung absolute Vorreiter. Ein Pullover ist schon lange nur noch ein „pull“, der Sportunterricht „le gym“ und ein Sonderangebot die „promo“. Neulich gab es diplomatischen Ärger, weil in einem offiziellen Botschaftsschreiben stand, bei einem abendlichen Essen sei auch der „ambass“ zugegen. Das war dem Ambassadeur, also dem Botschafter, dann doch etwas zu burschikos. Wer nach Frankreich fährt, sollte stets zuvor seine Kenntnisse bezüglich neuer modischer Abkürzungen auffrischen.
Doch zurück zum Deutschen. Wie viele Schüler wissen eigentlich noch, dass sie eine Extemporale schreiben sollen, wenn von einer „Ex“ die Rede ist. Die wiederum kann man neuerdings mit einer Verflossenen verwechseln, also einer Freundin, die man gerade per SMS ausgesondert hat. Keine Verwechslungsgefahr hingegen besteht, wenn zwei Doktoranden über ihre jeweilige „Diss“ reden, denn sie wissen, worum es geht: ihre hoffentlich plagiatsfreien Dissertationen.
Die Abkürzungsmanie führt mittlerweile zu Verständnisproblemen bei Sprachlernenden, die noch die kompletten Wörter lernen, so wie sie halt im Lehrbuch stehen. Aber dann sind sie im Sprachalltag mit Kürzeln wie „Abi“, „Konfi“, „Prolo“ oder „Azubi“ konfrontiert. Ein wenig mehr Mut zu vollständigerer Ausdrucksweise wäre also wünschenswert. A propos: wer weiß eigentlich noch, wofür das radikal abgekürzte Wort „Taxi“ steht? Die Antwort lautet: Taxometerdroschke. Aber dieses Wort kennen nur noch Berliner Methusalems…