Szene

Von Newcomern und alten Recken

Die Kleinkunsttage werfen Schatten voraus

veröffentlicht am 30.01.2020 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Andreas Bär

POLT WELL

POLT WELL, Foto © Hans Peter Hösl

Meiningen gilt jetzt nicht unbedingt als der Siedepunkt der Republik, wenn sich ein Gespräch über kulturelle Ereignisse und Hotspots ergibt. Eine Tatsache, die dem beschaulichen Städtchen in der thüringisch-bayerischen Grenzregion so gar nicht gerecht wird. Was die Verantwortlichen des kleinen Örtchens zwischen 29. Februar und 24. April einmal mehr unter Beweis stellen. Dann finden die Meininger Kleinkunsttage statt. Und die sind ganz weit weg von provinziellen Mühen, sich im Konzert der Großen zu etablieren. Die Macher sind längst in den obersten Regionen der Kleinkunstveranstaltungen der Republik anzusiedeln.

Auch im neuen Jahrzehnt ist man sich in der fränkisch geprägten Thüringer Stadt seiner Tradition bewusst. Seit dem 19. Jahrhundert schon lebt die Kultur in Meiningen hoch. Ob im Volkshaus, im Theater oder der Kleinkunstbühne Rautenkranz: Die Geschichte der kulturellen Hochburg wird bis heute sorgsam gepflegt und aktiv gelebt. Auch und gerade an den Kleinkunsttagen, die einmal mehr mit einem herausragenden Programm aufwarten und ein neues Highlight zu bieten haben. Seit 2019 wird der Thüringer Kulturpreis im Rahmen der Veranstaltung verliehen. Am 7. März ist es im Volkhaus soweit. Und die Preisträger haben klangvolle Namen. Moderiert von Gabriela Gillert (Meininger Staatstheater) nehmen "Suchtpotenzial" die diesjährige Krone in Empfang. Der mit 5555,55 Euro dotierte Preis wird seit 1996 verliehen - als erste durfte ihn einst die grandiose Liedermacherin Bettina Wegner einheimsen, elitäre Künstler folgten ihr nach. Das Programm des Ehrungsabends wurde dabei etwas modifiziert: Im Gegensatz zum Vorjahr wird den Gewinnern nach dem kurzen Akt der Preisübergabe eine einstündige Spielzeit eingeräumt. Die Berlinerin Julia Gamez Martins und die aus dem schwäbischen Ulm stammende Ariane Müller versprechen dabei eines: Kurzweil im Stakkato-Tempo. Reden ohne Pause, Kalauer in maschinengewehrsalvenartigem Tempo und vor allem eine riesige Portion an Selbstironie und gnadenlos vorgehaltenem Spiegel prägten das "Eskalatiooon"-Programm, das seit inzwischen vier Jahren immer wieder begeistert und von "Sexuelle Belustigung", dem neuen Machwerk der beiden neu gekrönten "Queens of comedy" abgelöst wurde. In Zeiten von Genderdiskussionen, #metoo und immer wieder aufkeimenden Problemen im Umgang und der Gleichstellung von Mann und Frau nehmen die beiden dieses Thema gekonnt wie direkt auf die Schippe - mit dem nötigen Ernst, aber erst recht dem nötigen Humor. Der Dank dafür: Sechs Tage vor dem großen Auftritt in Meiningen dürfen die beiden Künstlerinnen in Mainz den deutschen Kleinkunstpreis entgegennehmen. Die bisherige Krönung einer noch jungen Karriere.

Ebenfalls frisch gekrönt ist die gebürtige Kölnerin Lucy van Kuhl. Sie, die am Klavier singend die Tücken des Alltags aufs Korn nimmt, hat jüngst den bayerischen Kabarettpreis Scharfrichterbeil verliehen bekommen. Damit steht Corinna Fuhrmann, wie die Künstlerin im realen Leben heißt, in einer Reihe mit so prominenten Namen wie Hape Kerkeling und Urban Priol. Höhenflüge sind der 37-jährigen trotz den Erfolges aber fremd. „Lucy van Kuhls Art zu musizieren und zu singen, begeistert mich. Ihre Worte sind poetisch und ironisch. Sie schafft ausdrucksstarke Bilder und setzt sie musikalisch ganz zauberhaft um." Worte die an sich schon fast einem Ritterschlag gleichen. Kommen diese auch noch von Konstantin Wecker (bei dessen Label sie unter Vertrag steht), dann darf man dies getrost mit einem solchen gleich setzen. Bodenständig und doch schonunglos hält sie Leuten den Spiegel vor - auch am 15. März in den Kammerspielen. Ebenfalls fein: Das Schweizer Duo Ohne Rolf - ganz ohne Worte und dafür mit beschriebenen DiN A4-Papierseiten ziehen Christof Wolfisberg und Jonas Anderhub ihr Publikum in den Bann.

In den fast zwei Monaten der Kleinkunsttage stehen aber nicht nur Newcomer und der Rolle des Geheimtipps entschlüpfte Künstler im Fokus. Auch altgediente Recken dürfen ihre Pointen in Meiningen abfeuern. Highlights dabei herauszupicken ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Schließlich ist jeder einzelne Konzertabend ein solches und letztlich entscheidet der Geschmack über die Selektion. Klar ist aber: Wenn Gerhard Polt und die Wellbrüder aus'm Biermoos (20. März) die Bühne betreten, dann ist alles unter der Deklaration Kultstatus gnadenlose Untertreibung. Selbiges darf man getrost auch über Ingolf Lück behaupten. Charmant, aber direkt seziert er eine Welt, die sich so schnell dreht, dass es sich manchmal lohnt, einfach stehen zu bleiben. Dabei widmet er sich den großen wie auch den nicht ganz so drängenden Fragen dieser Zeit. Warum muss Bio immer so klingen, als ob man dafür erst mit dem Kiffen anfangen muss? Nach mehr als 30 Jahren auf der Bühne weiß Wochenshow-Anchorman und Let's Dance-Sieger Ingolf Lück endlich Rat. Lacher sind am 12. März garantiert. Eine Woche später, am 19. März, wird es traditionell-fränkisch: Matthias Egersdörfer spielt im Volkshaus sein Programm "Ein Ding der Unmöglichkeit." Und dann wäre doch noch Rolf Miller (22. März) mit seinem "Vorsicht, Miller"-Programm. Wer es noch nicht gesehen hat, dem sei ein Besuch dringend empfohlen. Trockenster englischer Humor verpackt in deutsche Lebensweise. Um den Kreis zu schließen: Es herrscht Suchtpotenzial.

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