Exotische „Frühlingsstürme“ wiederentdeckt
Barrie Kosky hat die „letzte Operette der Weimarer Republik“ ausgegraben und präsentiert sie in Berlins Komischer Oper
veröffentlicht am 30.01.2020 | Lesezeit: ca. 2 Min. | von Martin Köhl
Wer in den gängigen Operettenführern nach ihr sucht, wird kaum fündig werden: „Frühlingsstürme“, die letzte, weil kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten uraufgeführte Operette der Weimarer Republik, war lange Zeit der Vergessenheit anheim gefallen. Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Berlin, hat das Werk des zu seiner Zeit überaus erfolgreichen jüdisch-tschechischen Komponisten Jaromír Weinberger wieder entdeckt und präsentiert es jetzt an seinem Hause. Am 20. Januar 1933, also nur 10 Tage vor einem berüchtigtem Datum, war es im Berliner Admiralspalast mit Richard Tauber in der Hauptrolle uraufgeführt worden, 87 Jahre später erlebt es jetzt seine Neuinszenierung.
Es wirkt wie dekadenter Trotz, dass man in Berlin unverdrossen der eher leichten Muse frönte und sich in exotische Ferne forttragen ließ, während die Fackelzüge der Nationalsozialisten durch das Brandenburger Tor zogen und der Reichstag brannte. Das Sujet und die Zutaten dieser im Japanisch-Russischen Krieg von 1904/05 angesiedelten Operette erinnern an den asiatischen Exotismus der „Butterfly“, u.a. als Chinesen verkleidete japanische Spione sowie eine junge verführerische Witwe aus Petrograd.
Jaromír Weinbergers Musik beherrscht das große Drama ebenso wie den rhythmisch-beschwingten Operettensound, doch die Gesamtanlage der Operette bricht mit manch gewohnten Formen. So werden die Aktfinales allein von den vier Solisten bestritten, und die tragende Figur des russischen Generals ist eine reine Sprechrolle. Weinbergers musikalisches Idiom ist geprägt von orchestralen Naturschilderungen, Exotismen, liedartigen Melodien und spätromantischer Harmonik.
Barrie Kosky versagt es sich in seiner Inszenierung, eine naheliegende Aktualisierung im Sinne der Zeitumstände vorzunehmen und betont im Gespräch, er spiele dieses Werk nicht etwa deshalb, weil viele Juden mitgewirkt hätten, sondern weil das Stück und die Musik hervorragend seien. Natürlich dürfe man auch über das traurige Schicksal Jaromír Weinbergers (1938 Emigration, 1967 Suizid) nachdenken, doch ihm gehe es vor allem darum, dem Publikum eine „fesselnde, mitreißende, verrückte Geschichte mit fantastischer Musik“ zu präsentieren, denn hier erlebe man den „Klang von Berlin“. Nächste Termine: 8., 13. und 23. Februar; 1., 12. und 28. März.