Szene

Von Klassikern und Geheimtipps

Das Zentrum als Rettung für den Jazzherbst

veröffentlicht am 28.09.2020 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Andreas Bär

Achim Kirchmair Trio feat. David Jarh

Achim Kirchmair Trio feat. David Jarh, Foto © Gernot Muhr

Die Zeit der Improvisation ist längst nicht vorbei für die Kulturschaffenden der Republik. Doch es ist auch die Zeit für findige Macher. Das Bayreuther Jazzforum hat aus der Not eine Tugend gemacht. Trotz des ausfallenden Jazz-November haben die Verantwortlichen an anderer Stelle ganze Arbeit geleistet.

Kaum ist die Bayreuther „Jazz-Summertime“ vorüber, wirft der Corona-Winter seine Schatten voraus. Jazz findet im Bayreuth im Bechersaal statt, einem urigen Brauereisaal. Man sitzt an langen Tischen, klönt miteinander und genießt die Dichte des Raumes und der Konzerte – normalerweise. „Wir haben es hin und her gewendet, Bestuhlungsvarianten entwickelt und diskutiert“, soKaspar Schlösser, Vorsitzendender des Jazzforum, „letztlich war klar, dass dort keine befriedigende Lösung möglich ist. Es muss ja für die Zuschauer als auch für den Wirt und natürlich die Musiker funktionieren.“

Man musste an andere Stelle umziehen. Ein Kraftakt in einer Stadt, in der durch den Umbau des Friedrichsforum kaum Veranstaltungsräume verfügbar sind. Letztlich hatte das Jazzforum im Europasaal des ZENTRUM Glück. Wo 450 Personen Platz finden, stehen nun 140 Sitzplätze, größtenteils als Doppelplätze, zur Verfügung. „Ein hoher Raum mit guter Lüftungstechnik und einem fertigen Hygienekonzept: Ein Riesenglück für uns, dass wir das ZENTRUM nutzen können“, so Schlösser zufrieden lächelnd. An fünf Konzertabenden im Oktober und drei im November können die Jazzfreunde der Region ihrer Leidenschaft frönen. Und sich dabei auf echte Highlights und zukunftsträchtige Neuentdeckungen freuen.

Das unbestrittene Highlight schlechthin wird dabei am 12. November über die Bühne gehen. Mit dem britisch-dänisch-schwedischem Trio Phronesis haben sich drei echte Hochkaräter des Jazzbuisness angekündigt, eines ihrer letzten Konzerte zu spielen: Ende des Jahres haben sie verlauten lassen, getrennte Wege zu gehen. Vor zehn Jahren lieferten sie mit dem Album „Alive“ ihr Paradestück ab. Nicht umsonst wurde die Scheibe von den Magazinen Jazzwise und Mojo zum Album des Jahres gekürt. In die elfjährige Bandhistorie fallen überregional nicht wenige in der Fachwelt bestaunte Auftritte. Von Jazzwise wurden Phronesis zum „aufregendsten und einfallsreichsten Piano-Trio seit e.s.t.“ gekürt.

Nicht minder spannend verspricht am 15. November ein weiteres Nordlicht zu werden: Iiro Rantala. Mit „My Finnish Calendar“ schlägt er ein neues Kapitel improvisierter Programmmusik auf: Aus ganz persönlicher Sicht vertont er den Jahreslauf seines Heimatlandes Finnland.

Im Oktober präsentiert sich die deutschsprachige Jazzriege. Am 2. gastiert Saxophonist Daniel Erdmann mit seiner echopreisgekrönten Band Velvet Revolution, am 16. der Österreicher Achim Kirchmair mit seinem Trio und Trompeter David Jarh im Gepäck und am 24. Pianist Walter Lang mit dem Trio ELF. Kurzfristig konnten die Macher noch zwei weitere spannende Acts ins Programm hieven. Am 21. Oktober gibt sich Jochen „Jo“ Aldinger mit seiner Band Downbeatclub die Ehre, am 27. Oktober beschließt die Hannah Weiß Group das Angebotspaket.

Insbesondere für Daniel Erdmann neigt sich ein turbulentes Kalenderjahr dem Ende entgegen. Der 46-jährige Weltenbummler, in Wolfsburg geboren, nach mehreren Jahren in Amerika im nordfranzösischen Reims gestrandet, darf sich wieder einmal neu dekoriert fühlen. Vom Südwestfunk erhielt er jüngst den mit 15000 Euro dotierten SWR-Jazzpreis, die Ehrung wird im Rahmen des renomierten Enjoy Jazz-Festivals in Ludwigsburg am 28. Oktober stattfinden. Doppelter Grund für den Echopreisträger zu feiern: An dem Tag steht sein 47. Wiegenfest auf der Tagesordnung.

So weit ist Hannah Weiß längst noch nicht. Und doch gilt die äußerst charismatische Schweizerin als eine der großen Hoffnungen im Jazz-Zirkus. Die in Wuppertal geborene Multiinstrumentalistin besticht durch ihre glasklare Stimme und eine feine Mischung aus Jazz, Pop, Funk und elektronischen Elementen. Vor einem Jahr erfuhr die noch junge Karriere der auch als Moderatorin, DJane und Journalistin tätigen Weiß einen nächsten Schub. Mit dem Gewinn des BMW Welt Young Artist Jazz Awards hat sich die im Münchener Jazzinstitut der Musikhochschule unterrichtete Weiß auf die nächste Stufe gehievt. Seither sind sie und ihre musikalischen Mitstreiter, allesamt in München beheimatet, einer der nicht mehr ganz so geheimen Geheimtipps, denen eine große Karriere prophezeiht wird.

Nicht minder spannend verspricht es bei Jo Doldinger zu werden. „Down, Dirty and funky“, so charakterisierte Will Bernard, grammynominierter Jazzmusiker, Downbeatclub schon vor fast einem Jahrzehnt. Und diesem Weg ist die Combo aus hiesigen Gefilden bis heute treu geblieben. Charakteristischstes Stilmerkmal ist die altbekannte Hammond-Orgel. Pulsierende Beats, rockige, blues-bastierte Riffs dominieren die Szenerie, wenn Aldinger und seine Mitstreiter ins Grooven geraten. Flashback in die 70er-Jahre ist garantiert, wenn der diplomierte Hammond-Pianist und Frontmann zwischen zarten Tönen und harten Beats die optimale Balance findet.

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