Mixtur

Baquedano – von der Ordnung der Beliebigkeit

Pablo Zuleta Zahr

veröffentlicht am 30.11.2020 | Lesezeit: ca. 5 Min. | von Oliver Will

RathausZOB_4

RathausZOB_4, Foto © Foto Stadtarchiv Bamberg, Montage Pablo Zuleta Zahr

Der in Vina del Mar, Chile, geborene Wahlberliner, studierte zunächst Architektur an der Universidad Catolica de Valparaiso in Chile und im Anschluss Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf in Deutschland, zuletzt als Meisterschüler bei Thomas Ruff.

Seitdem arbeitet er kontinuierlich an seiner Fotokunst, inzwischen im internationalen wie lokalen Kontext, die er beide kongenial verbindet. So avanciert er zum kosmopolitischen Künstler mit immer klarer werdender, höchst qualitativer Botschaft. Mit großformatigen, formal strengen Bildern baut er gleichermaßen auf Formsprache wie Symbolik und erfüllt mit seinen Collagen aus Personen, die er jeweils an verschiedenen Orten filmt, für die Arbeiten jedoch zu Einzelobjekten schneidet und gleich einer Partitur neu anordnet, höchste Kompositionsstandards. Wandelt sie zur „urbanen Sinfonie des Zufalls“, wie Stephan Reisner es auf den Punkt bringt. Differenz und Identität der Städte und ihrer BewohnerInnen sind die maßgeblichen Kategorien, die er einfängt und in den internationalen Vergleich stellt. Rhythmen, Formen und Farben die Elemente seines Ductus. „Ich will alles sagen. Und ich will vor allem das Unauffällige zeigen“, ist die Botschaft des Ausnahmekünstlers. Er sammelt Personen wie Noten, setzt sie hinter seine Notenschlüssel und macht das vermeintlich Unsichtbare zum Protagonisten seiner Bilder. „Ich weiß nichts über diese Menschen“, sagt Zuleta Zahr über die Passanten seiner Kamera, „ich suche nur die Zufälle“. Dabei überlässt er ihm in seiner Bildarchitektur ganz und gar nichts. Filtert Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Metropolen und hinterfragt die urbanen Zustände der globalisierten Welt mit einer Lupe des Zufalls, die ihn zum vergleichenden Fotografen macht, zum Feldforscher und Anthropologen im Stadtraum, der aus der Distanz wirkt, mit gezieltem Blick. Und der beim Collagieren rein der Ästhetik des Gesamtwerkes verpflichtet scheint.

The Global Identity Project – sein derzeitiges Hauptprojekt ist eine fotografische Serie sozialer Porträts verschiedener urbaner Zentren auf der ganzen Welt. Diese filmt er an ausgewählten Plätzen mit hoher Frequenz, an Nadelöhren der Stadtgesellschaft, die ein verdichtetes Bild der jeweiligen Bewohner zeichnet. Durchschnittlich 16.000 Personen werden so aufgenommen. Das Verfahren erfasst alle, ganz ohne diskriminierende Energie einer Selektion. Und fasst so die unverblümte, kulturelle Identität des jeweiligen Ortes. Gleichzeitig werden Stereotypen der Globalisierung sichtbar – die berühmten Gleichmacher unserer Städte, zwischen Massenkonsum und Popkultur. Sowie Subkulturen, Moden, Identitäten, Atmosphären und Migrationsgruppen visualisiert. So beliebig der fotografische Akt eine Zeitspanne einfriert, so dekonstruiert und neu zusammengestellt sind die daraus gezogenen Kompositionen, um eine destillierte und bearbeitete Wahrnehmung anzuregen, die eine fraktale, unvorhersehbare, zufällig monumentale Werkcharakteristik fokussiert – ein visuelles Denkmal für Zeit und Raum.

Die Sozialstudien in Großstädten läuft nun seit 2001. Sie begann in Berlin, wuchs in Chile in 2003 und wurde in 2018 um Shanghai und New York erweitert. Aktuell laufen die Arbeiten in Sydney, Mexiko, Tokyo und Moskau. Die Kartographie der Identität in Zeiten der Globalisierung hat begonnen und hält eine visuelle DNA unserer offenen, vielfältigen und sich verändernden Kulturen fest, die zwischen dem Lokalen und dem Globalen, zwischen alt und neu oszillieren. Unter dem Corona-Vorzeichen bildet sie gar eine Art Pandemie-Dokumentation.

Ein Chilene für Bamberg?

Allein dieser Kontext drängt den Switch nach Bamberg auf. An den Ort, in dem gerade altes, offenbar verwerfliches, wenig Weltoffenes entfernt wurde. Dem Sitzungssaal des Rathauses am Maxplatz. Ein Saal, in dem ausgewählte BürgerInnen als Stadträte und stellvertretend für alle Bamberger BürgerInnen Entscheidungen zum Wohle der Stadt treffen. So die Zielsetzung. Ein Ort folglich, der eine Symbolik Zahrs, die konstruierte, fokussierte Komposition einer kulturellen Identität mit dem starken Willen zur diskriminierungsfreien Vertretung der BürgerInnen-Interessen in sich trägt. So wäre eine Bamberger Sozialstudie als Ausgangspunkt für ein für den Sitzungssaal komponiertes Werk im besten Sinne die globale, vergleichende Verankerung Bambergs und somit ein starkes Zeichen der Weltoffenheit der Stadt, gekoppelt mit der lokalen kulturellen Identität, die von den aufgenommenen BürgerInnen als beredtes Zeitzeugnis und Zukunftsstrategie die nächsten Schritte Richtung Zukunft mit der ihr nötigen Inspiration versehen. Ein Panorama der Bamberger Gesellschaft im internationalen und prominenten Vergleich. Eine Symbolik, die den diskursiven Goldstaub der allzu lauten Debatte der Bayerlein-Bilder zügig Neues und allzu Richtiges entgegenzusetzen hätte.

Der Vollständigkeit halber, so die Vision des Künstlers, soll eine weitere Komposition im öffentlichen Raum diese Symbolik auch außerhalb des Rathauses vertreten. Er schlägt vor, auch dem Rathaus am ZOB entsprechende Symbolik zu verleihen, und zwar entsprechend exponiert und sichtbar, auf der Rückwand der Rathausmauer zur Willy-Lessing-Straße hin. Bambergs Bürger in einer ästhetisch einzigartigen Komposition, verankert an der Fassade des Bürger-Innen-Rathaus. Wie ließe sich die Aussage im wichtigen Sitzungssaal besser ergänzen als auf diese öffentlich wirksame Weise.

Pablo Zuleta Zahr
geboren 1978 in Viña del Mar, Chile
1997–1999 Architektur an der Universidad Católica de Valparaiso, Chile
1999–2006 Kunstakademie ­Düsseldorf
2006 Master in Fotografie mit Thomas Ruff
lebt und arbeitet in Berlin

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