Portrait

In Würzburg angekommen

Luisa Hesse leitet seit einem Jahr das Museum im Kulturspeicher

veröffentlicht am 29.11.2021 | Lesezeit: ca. 12 Min. | von Ludwig Märthesheimer

Katja Strunz: Zeittraum #11, 2002/2019, Holz, Metall, Farbe, 400×1400 cm, Ausstellungsansicht Museum Haus Konstruktiv, Zürich, 2019

Katja Strunz: Zeittraum #11, 2002/2019, Holz, Metall, Farbe, 400×1400 cm, Ausstellungsansicht Museum Haus Konstruktiv, Zürich, 2019, Foto © Katja Strunz

Seit fast genau einem Jahr sind Sie nun die Leiterin des Würzburger Museums im Kulturspeicher. Wie geht es Ihnen denn damit?

Luisa Heese:
Mir geht es sehr gut damit. Ich bin jetzt etwas über ein Jahr da, habe meine Antrittsausstellung eröffnet, was ja nochmal ein wichtiger Schritt in der Entwicklung ist und bin sehr gut angekommen in Würzburg und im Museum im Kulturspeicher. Ich habe ein Team, das sich mit mir gemeinsam weiterentwickelt und mit dem wir in den nächsten Jahren noch viel vorhaben, gerade nach der schwierigen Corona-Zeit. Trotzdem hatte der Lockdown auch Vorteile. So konnten wir uns in kurzer Zeit digital weiterentwickeln, eine Ausstellung, die komplett dem Lockdown zum Opfer fiel, digital vermitteln, was sehr gut angenommen wurde. Wir haben die Zeit gut genutzt und einige Dinge, die ich ohnehin vorantreiben wollte, haben sich quasi wie von selbst aufgedrängt. Nach einem Jahr stehen wir hier, haben gerade die aktuelle Ausstellung „New Order“ eröffnet und schauen gebannt auf 2022, das Jubiläumsjahr des Museums.

Sie waren ja vorher Kuratorin und Interimsleiterin der Baden-Badener Kunsthalle. Warum haben Sie sich für Würzburg entschieden?

Luisa Heese:
Ich war so lange in Baden-Baden, dass ich irgendwann Lust bekommen habe etwas Neues zu machen. Würzburg ist eine spannende Stadt und das Museum im Kulturspeicher hat gegenüber der Kunsthalle einen entscheidenden Vorteil, eine eigene Sammlung. Die gab es in Baden-Baden nicht und hier in Würzburg darf ich davon gleich zwei betreuen und gestalten, die „Sammlung Peter C. Ruppert“ und die „ Städtische Sammlung mit Nachlass Emy Roeder“. Für mich einfach eine schöne Chance mit einer Sammlung zu arbeiten und aus ihr heraus Themen zu entwickeln.
Darüber hinaus gibt es hier in Würzburg die Möglichkeit mit der Universität oder auch anderen Akteuren wie beispielsweise dem Mozartfest zu kooperieren. Das haben wir in diesem Jahr bereits erfolgreich begonnen. Für die Zukunft sind noch weitere Zusammenarbeiten angedacht, um die Verbindung von Museum und insbesondere Universität zu festigen.

Vor Ihnen leitete Frau Dr. Lauter 18 Jahre dieses Museum, war an dessen Entstehung und Entwicklung maßgeblich beteiligt. Wie ist das so, wenn man als junge Museumsleiterin an eine Institution kommt, die so intensiv von einer anderen Person geprägt wurde?

Luisa Heese:
Sie war sogar schon länger als 18 Jahre für das Haus tätig. Sie hat ja die Planungen für das neue Museum begleitet und dann den Umzug vor fast 20 Jahren vollzogen. Es ist schon was Besonderes ein solches Erbe zu übernehmen und in die Zukunft zu führen, und ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner Vorgängerin.

In Empfang genommen durch die Pandemie… wie würden Sie die letzten 12 Monate in der Retrospektive charakterisieren?

Luisa Heese:
Es war eine spezielle Zeit, um in einer neuen Stadt anzukommen. Trotzdem war es möglich in dieser Zeit schon Kontakte zu knüpfen. Wie schon erwähnt, haben wir diese Zeit ganz gut genutzt und waren allein schon durch ständige Umplanungen gut beschäftigt. Sehr viel Organisatorisches eben. Ich glaube für das Team war es gut auch mal anders miteinander zu kommunizieren und wir haben alle viel gelernt, auch für die Zukunft. Solidarität unter den Kulturakteuren in Würzburg ist auch eine der positiven Erfahrungen, die ich aus dieser Zeit mitnehme. Schwierig, spannend, lehrreich und prägend, so würde ich diese Zeit überschreiben. Auch welchen großen Stellenwert Kultur hat, ist nicht zuletzt durch die Einschränkungen der Pandemie klar geworden.

Trotz aller Sehnsucht nach Kultur, scheint es bei vielen Menschen doch eine gewisse Unsicherheit dahingehend zu geben, ob sie wieder bereit sind, an kulturellen Veranstaltungen teil- oder auch andere Kulturangebote wahrzunehmen. Was denken Sie woran das liegt? Und glauben Sie, dass sich diese Zurückhaltung von selbst legen wird?

Luisa Heese:
In den ersten Tagen nach den Lockerungen haben wir diese Erfahrungen auch gemacht, aber wir dürfen nicht vergessen, welche Zeit wir gerade durchgemacht haben. Wir müssen weiterhin unsere Angebote machen und den Menschen zeigen, dass es sicher ist ins Museum zu gehen. Mittlerweile kommen die Schulklassen wieder und auch die Veranstaltungen sind wieder gut besucht, ein Zeichen dafür, dass die Menschen ihre Scheu verlieren. Ob sich das von selbst legen wird, weiß ich nicht, aber Kulturbetriebe müssen immer einen gewissen Aufwand betreiben, um ihre Angebote zu vermitteln. Ich bin trotzdem sehr optimistisch, dass wir bald wieder auf das Besucherniveau kommen können, wie es vor der Pandemie war.

Halten Sie Kunst und/oder Museen für gesellschaftspolitisch relevant?

Luisa Heese:
Natürlich! Ich glaube, dass Kunst und Kultur für die Gesellschaft ganz wichtige Aspekte sind, um Fragen zu stellen, sich selbst zu verorten und sich selbst Gewissheiten zu verschaffen. Weil Gesellschaftsstrukturen immer diesen Raum brauchen, um mit einer gewissen Distanz darauf zu schauen, was wir so tun, wie wir miteinander leben, wie wir Vergangenheit und Zukunft denken und dass letztlich seitdem es Kunst gibt Künstler:innen in diese Bereiche vorgestoßen sind, neue Perspektiven entwickelt und uns gesagt haben, wie wir leben und wie wir leben wollen und was es heißt als Mensch auf der Erde zu sein und sich auf ihr zu bewegen.

Wie machen Sie das denn konkret?

Luisa Heese:
Ich denke, dass es für eine Museumsführung wichtig ist darauf zu schauen, welche Themen momentan in der Gesellschaft eine Rolle spielen und welche Tendenzen es in einer Gesellschaft gerade gibt. Diese gilt es auch mit der Kunst aufzugreifen, um einen anderen Blick auf diese Themen und Tendenzen zu ermöglichen. Unsere aktuelle Ausstellung „NEW ORDER. Über Kunst und Ordnung in ungewissen Zeiten“ ist ein gutes Beispiel dafür, welchen gesellschaftspolitischen Einfluss Museen nehmen können. Mit dieser Ausstellung können wir den Blick der Künstler:innen auf das Thema Ordnung zeigen und damit einen anderen Blickwinkel ermöglichen.

Wie tief reicht dieser Einfluss in die bestehenden Gesellschaftsstrukturen hinein? Wen erreichen Sie mit dieser Botschaft? Nur die klassischen Museumsbesucher:innen? Und versuchen Sie die anderen auch zu erreichen?

Luisa Heese:
Ein guter Punkt. In unserer aktuellen Ausstellung, die sich ja mit der akuten Gegenwart befasst, trifft man zurzeit ein relativ junges Publikum an, viele Studierende beispielsweise, auch viele Familien, die mit Kindern ins Museum gehen. Die Themen die wir als Museum behandeln oder die Angebote, die wir machen, müssen wir aber breiter streuen. Wir müssen versuchen die Menschen schon früher zu erreichen, im Idealfall schon im Kindesalter. Dafür braucht es abgestimmte Angebote und auch Aktivitäten, die nicht unbedingt im Museum stattfinden müssen. Niederschwellige Angebote wie „Tage der offenen Tür“ oder „Lange Museumsnacht“ gehören auch dazu.

Hat die Pandemie Einschränkungen finanzieller Art mit sich gebracht?

Luisa Heese:
Ich muss sagen, dass sich die Stadt Würzburg 2021 herausragend um das Thema Kultur gekümmert hat. Es gibt zum Beispiel ein neues Stipendium für Künstler:innen, das auch überregional sehr positiv aufgenommen wurde. Und was das Museum selbst angeht, hatten wir keine großen Einschränkungen zu verarbeiten. Unser Programm konnten wir beibehalten. Was wir als Museum noch konkret gemacht haben ist, dass wir einen Teil unserer Ankaufetats für lebende Künstler:innen ausgeben, die in weiterem Sinne mit der Region in Verbindung stehen.

Sehen Sie das Museum eher in der regionalen Verantwortung oder liegt ihr persönlicher Schwerpunkt mehr in der internationalen Kunst?

Luisa Heese:
Regionale Kunst und deren Geschichte ist schon ein wichtiger Aspekt, aber ich glaube es ist auch wichtig ein Museum so aufzustellen, dass man das lokale mit dem globalen verbindet. Das kann man über Themen oder Ausstellungen erreichen. Schon unsere beiden Sammlungen mit den unterschiedlichen Schwerpunkten geben uns die Möglichkeit, Themen verschiedenster Art aufzugreifen. So ist man nicht nur einem Bereich verpflichtet, sondern wir können thematisch sozusagen aus dem Vollen schöpfen. Trotzdem ist es wichtig den regionalen Aspekt nicht außen vor zu lassen.

Wie werden Sie es bei den Ausstellungen halten? Eher kürzere Ausstellungszeiträume und dafür mehr unterschiedliche Künstler:innen oder weniger Künstler:innen und dafür längere Zyklen?

Luisa Heese:
Was wir im letzten Lockdown gelernt haben ist, dass kürzere Ausstellungslaufzeiten dazu führen können, dass durch solch ein Eingriff von außen eine Ausstellung gar nicht zu sehen ist. Diese schmerzliche Erfahrung mussten wir beispielsweise mit der Ausstellung „Italiensehnsucht!“ machen, die wir leider schon vor der Wiedereröffnung abbauen mussten. Daraus könnte man ableiten, dass gerade in solchen Zeiten längere Laufzeiten dafür sorgen, dass Ausstellungen sicht- und besuchbar sind. Man wird in den nächsten Jahren schauen müssen, wie man weiter mit dem Thema umgeht. Ich persönlich mag eher qualitativ hochwertige Ausstellungen, die man auch schon mal ein wenig länger stehen lassen kann. In einer Welt ohne Corona-Pandemie wäre es vermutlich ein Mix aus kurz- und mittelfristigen Ausstellungszeiträumen.

Was bedeutet digitale Vermittlung musealer Inhalte denn genau für Sie? Ist das ein Schritt in Richtung Zukunft und handelt es sich dabei um Facebook und Instagram oder geht Ihr Ansatz darüber hinaus?

Luisa Heese:
Der Bereich der digitalen Vermittlung bedeutet schon mehr als nur in die sozialen Medien zu gehen, sondern stellt sich die Frage, wie man Inhalte aus dem analogen in den digitalen Raum übertragen kann. Und das hört eben nicht bei Facebook und Instagram auf, sondern es gilt darüber nachzudenken, welche Formen man finden kann, um so klassische Dinge wie Führungen im digitalen Raum stattfinden zu lassen. Welche Plattformen kann ich schaffen, welche Wege kann ich gehen um der Welt, in der die Verschränkungen von analogem und digitalem sehr wichtig sind, gerecht zu werden? Gerade was die Kommunikation und Vermittlung angeht, ist das ein ganz wichtiger Punkt für das Museum und die Kunst, die sich ja auch kontinuierlich irgendwie neu erfindet. Man kann die digitalen Möglichkeiten eher als eine Erweiterung des klassischen Museumsbaus betrachten – eine Erweiterung des Ortes in den digitalen Raum. Damit haben wir uns in diesem Jahr schon sehr stark beschäftigt und werden uns auch im kommenden Jahr noch damit befassen. Wir entwickeln neue Formate und unsere Besucher:innen dürfen gespannt sein, was da noch kommen wird.

So lange möchten unsere Leser:innen nicht warten. Um was geht es denn konkret?

Luisa Heese:
Wir haben in unserer aktuellen Ausstellung schon ein Kunstwerk, das genau mit der vorab schon erwähnten Verschränkung von analoger und digitaler Welt arbeitet. Die Münchener Künstlerin Barbara Herold hat extra für diese Ausstellung ein Kunstwerk geschaffen, das nur in beiden Welten funktioniert, bzw. dann, wenn sich analoge und digitale Welt verschränken. Dabei handelt es sich um eine Skulptur, die nicht im Ausstellungsraum sondern auf dem Vorplatz des Museums verortet ist. Man kann diese Skulptur aber nur sehen, wenn man ein digitales Gerät wie zum Beispiel ein Smartphone oder ein Tablet bei sich hat. Man muss draußen sein und das Gerät auf die Skulptur richten, dann erst kann ich sie sehen. Sie ist zwar immer da, aber sie zeigt sich erst, wenn man ein digitales Hilfsmittel benutzt. Und diesen Weg finde ich spannend. Wir haben zwar in den Zeiten des Lockdowns auch Führungen ganz erfolgreich digital vermitteln können und werden das auch beibehalten, aber solch ein digital/analoges Kunstwerk ist doch nochmal etwas ganz Eigenes.

Das Angebot der digitalen oder auch hybriden Führungen, wie wird das angenommen und kostet das was?

Luisa Heese:
Im letzten Winter, als das Museum pandemiebedingt geschlossen war, wurde das sehr gut angenommen. Über den Sommer haben wir weniger Angebote dieser Art gemacht, weil die Menschen einfach nach draußen gedrängt haben. Aber jetzt werden wir das wieder intensivieren und die letzte Führung, die wir per Stream live begleitet haben, konnte doch schon wieder einige Besucher:innen an den Bildschirm locken.
Ich denke das wird uns weiter begleiten, und zwar nicht nur zuhause am Bildschirm. Wir nutzen eine App die wie eine Art Schnitzeljagd funktioniert, die man für jede Ausstellung neu programmieren kann und mit der man durch die Ausstellung gehen kann und dabei auf spielerische Art und Weise Inhalte vermittelt bekommt.
Diese Hybrid-Angebote sind momentan noch kostenfrei, aber es wird sicherlich eine der wichtigen Fragestellungen sein, wie wir damit in Zukunft umgehen werden. Ab einem bestimmten Punkt werden wir dafür wohl moderate Preise einführen müssen, abhängig vom jeweiligen Angebot.

Was motiviert Sie, sich so stark im digitalen Bereich zu engagieren? Denken Sie, dass es eine Tendenz zu weniger Präsenzbesuch bei Museen geben wird oder ist das einfach ein Thema, dass man heutzutage nicht mehr ignorieren kann und darf?

Luise Heese:
Also ich denke nicht, dass es zukünftig weniger Präsenzbesuche in den Museen geben wird oder dass die digitalen Möglichkeiten dazu dienen sollen, den Präsenzbesuch überflüssig zu machen. Ich glaube, dass wir einfach diese Chancen nutzen sollten, denn es gibt nun mal diesen digitalen Raum und darin sollten auch Museen zu finden sein. Die Verschränkung dieser analogen und digitalen Welten sehe ich als richtigen Weg.

Wie geht es weiter im Museum im Kulturspeicher?

Luisa Heese:
Nächstes Jahr feiern wir bekanntlich unser 20-jähriges Jubiläum. Da haben wir natürlich viel vor. Wir starten mit einer von Henrike Holsing kuratierten Ausstellung zu dem Impressionisten Ludwig von Gleichen-Russwurm, die wir in Zusammenarbeit mit der Klassikstiftung Weimar zeigen. Der Künstler ist bei weitem nicht so bekannt wie er sein sollte, deshalb ist diese Ausstellung schon eine Art Wiederentdeckung. Im Juni eröffnen wir dann eine Ausstellung zu einer der wichtigsten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, Hannah Höch. Auch hier eine Zusammenarbeit mit Kollegen, diesmal des Bröhan-Museums Berlin.

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