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Wer soll wem was warum vererben?

„UNESCO-Welterbe“ – who cares?

veröffentlicht am 29.09.2021 | Lesezeit: ca. 4 Min. | von Oliver Will

Wegen dieser Brücke verlor Dresden seinen Welterbe-Status

Wegen dieser Brücke verlor Dresden seinen Welterbe-Status, Foto © pixabay.com

Grundsätzlich sind die Begehren zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste heute sehr groß. Die Bewerberlisten sind lang. Je nach Region und vorhandenen Ressourcen allerdings asymmetrisch auffällig. Global betrachtet sind die Welterbetitel äußerst ungleich verteilt. Vor allem der Süden ist deutlich unterrepräsentiert. Anfangs war Afrika stark vertreten, Indien führte die Liste an. Inzwischen stellen Europa und Nordamerika fast die Hälfte der Stätten, denn die Kompetenz und der Aufwand der Bewerbung sind hohe Anforderungen, die nicht überall gleichermaßen geleistet werden können. Es zeigt sich ein deutliches Ungleichgewicht, das Bände spricht.

Was mit der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten 1954 begann, als eine Übereinkunft für Kriegsfälle also, entwickelte die UNESCO seit den 60er Jahren, zunächst zum Schutze der altägyptischen Tempel von Abu Simbel und Philae weiter, als diese vom Bau des Assuan-Staudamms bedroht waren. Der Erfolg, die Versetzung der Tempel, gab ihr Recht, so dass sie 1972 das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt schloss. 1978 wurden dann die ersten zwölf Stätten zum Welterbe erklärt. Und jährlich kamen weitere dazu. Seit 1990 wurde das „Welterbe“ im weiteren Sinne interpretiert, indem Kulturlandschaften und gelebte Traditionen hinzugezählt wurden. Seit 2003 wird qua weiterer UNESCO-Konvention zusätzlich das schützenswerte immaterielle Welterbe, also Musik, Theater und Tanz, Rituale, mündliche Überlieferung und traditionelle Handwerkstechniken erfasst. Eine lange Liste voller Kategorien zum Kanon des erhaltenswerten Erbes der Menschheit entstand. Die UNESCO hat die Anwendung ihres Erhaltenswert-Siegels immer mehr und zuletzt um das Alltagsleben und seine Entwicklung erweitert und zeichnet die entsprechende Landkarte, mit erhobenem Zeigefinger für den Erhalt und gegen all das, was diesem im Wege steht.

So entstehen Einzelfallkonflikte, wie diese aus Dresden bekannt sind und aktuell für Liverpool zur Aberkennung des Titels führte. Der 2004 erhaltene Titel, wurde aufgrund des Baus der Brücke am Dresdner Waldschlösschen von der UNESCO gestrichen. Mit der Brücke, deren Baupläne an sich bekannt waren, scheint die zunächst gekürte Dresdner Kulturlandschaft nicht mehr erhaltenswert. Dabei hatte sich die Mehrheit der Dresdner in einem Bürgerentscheid ausdrücklich für den Bau der Brücke, für die lebensweltlich offenbar nötige, zumindest gewünschte weitere Elbüberquerung ausgesprochen. Die Kommission, so heißt es, wäre alles andere als kompromissbereit gewesen und habe auch eine modifizierte Brückenlösung stets abgelehnt. 2009 verliert das Dresdner Elbtal seinen Welterbetitel. Die Premiere der Aberkennung des Titels in Europa ist vollbracht. Am 26.08.2013 feiern tausende Dresdner die Eröffnung der Brücke. Der Schmerz um den Titelverlust, der bei einigen tief saß, wurde von vielen schnell überwunden. Dresden hat seinen Glanz als historisch einzigartige Stadt dadurch nicht verloren, sein positives Image als touristisch attraktiver Ort nie eingebüßt.

Auch Liverpool erhielt 2004 den Welterbetitel. Die maritime Handelsstadt Liverpool allerdings setzt seit Jahren auf Modernisierung. Entwickelt sich mit großen Infrastrukturprojekten und verlor jüngst deshalb ihren Titel wieder. Liverpool Waters, der neue Büro- und Wohnkomplex, und das neue Bramley-Moore-Stadion zerschlugen die konservierende Käseglocke der UNESCO.

In beiden Fällen war die urbane Entwicklung nicht mit den UNESCO-Zielen des Erhalts vereinbar. Beide Städte nahmen den Titelverlust schließlich in Kauf. Verloren ein weltweites Qualitätssiegel und damit verbunden etwas touristische Aufmerksamkeit für im Gegenzug maßgebliche Weiterentwicklungen ihrer Lebensräume. Der Konservierungswille der UNESCO schlug fehl. Was eben noch Welterbe der Menschheit war, fehlt auf dieser Kartierung plötzlich, weil Entwicklung nötig war. Die Weltkarte des gepflegten Erhalts bröckelt. Erste Hotspots werden über Nacht zu blinden Flecken. Das Verzeichnis der Welterbestätten von innen angreifbar. Behält so ein Verzeichnis seine Gültigkeit, auch wenn sich namhafte Protagonisten diesem eigenständig entziehen? Steht der Welterbetitel zu sehr für Stillstand? Schnürt über seine Schäfchen das Korsett des Vergangenen zu eng und riskiert, dass sie ihm davonlaufen und die Herde sich teilt? Reduziert auf Musealität mit Marketingpaket und verkennt den Entwicklungsbedarf wachsender urbaner Räume? Wird das Verzeichnis der Welterbestätten zum Museumsprospekt statt Kulturverzeichnis, wie zuletzt allzu inflationär und einseitig begonnen? Es sind offenbar zwei Seiten einer Medaille, die jenseits bloßen politischen Machtstreits dringend gleichberechtigt beleuchtet werden müssen.

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