Ein Buch voll purer Euphancolie
Benedict Wells – Hard Land
veröffentlicht am 29.09.2021 | Lesezeit: ca. 2 Min. | von Ludwig Märthesheimer
„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“ Mehr geht in einem Satz nicht. Und wenn es dann auch noch der erste Satz eines Buches ist, dann kann man schon erahnen, was einen auf den sich anschließenden 351 Seiten erwartet. Ein Meisterwerk aktueller Literaturgeschichte, das berührender und fesselnder nicht sein könnte. Aber von Anfang an.
Sam, 15, lebt in der fiktiven Kleinstadt Grady in Missouri. Der Vater ist arbeitslos, die Mutter betreibt einen Buchladen, ist aber schwer erkrankt. Und dann gibt es noch die ältere Schwester, die in Los Angeles lebt und dort als Drehbuchautorin arbeitet. Es ist 1985 und die in Kürze beginnenden Sommerferien zeichnen sich für Sam wie ein nicht zu bezwingender Berg am Horizont ab. Aber dann gibt es doch noch einen Lichtblick. Ein Aushilfsjob im örtlichen Kino, durch den er Zugang zu einer Clique erhält, mit der er all die Dinge erlebt, die existentieller Bestandteil eines guten „Coming of Age-Roman“ sind; erste Liebe, Diners, Kinos und Partys.
Mit diesen Zutaten und den gut herausgearbeiteten Charakteren breitet Benedict Wells vor uns eine Geschichte aus, die amerikanischer nicht sein könnte. Und damit ist nicht nur die Story als solche gemeint, sondern auch die Art und Weise wie Wells an diese Geschichte herangeht. Schon nach den ersten Seiten fühlt man sich ständig an amerikanische Schriftsteller und deren Charaktere erinnert. Fast kann man den Fänger im Roggen sehen, der die Kinder vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt oder läuft man mit Richard Dreyfuss durch die Nacht. Diese Geschichte über Jugend, Liebe und Familie erzählt der Autor mit sehr viel Einfühlungsvermögen für das Gefühlschaos, das nicht nur in den jungen Charakteren dieses Romans vorherrscht. Wie gut er das kann, hatte er ja bereits in seinem Buch „Vom Ende der Einsamkeit“ gezeigt, mit dem ihm der endgültige Durchbruch gelang und für das er mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet wurde. Hard Land ist ein berührendes Werk und weiß meisterhaft zu unterhalten. Eine absolute Leseempfehlung.
Benedict Wells: Hard Land, Roman, Diogenes Verlag Zürich, 2021, 352 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3257071481