Von Montmartre bis an die Seine – mehr Farbgebung, weniger Linie.
Das Museum Barberini in Potsdam - „plein air“ und „sur le motif“
veröffentlicht am 29.09.2021 | Lesezeit: ca. 4 Min. | von Oliver Will
Paris in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Führende Kunstmetropole, stark wachsende Stadt. Im großspurigen Transformationsgefüge dieser umbrechenden Zeit: Eisenbahn, Schornstein, Eifelturm. Technischer Fortschritt und urbane Entwicklung geben sich die Klinke in die Hand. Das Stadtbild ändert sich rasant. Die Häuserzeilen wachsen in die Höhe. Die Mobilität steigt. Kultur, Technik und Natur kommen in ein neues Verhältnis. Die Veränderung und der Aufbruch in ein neues Zeitalter war spürbar und wurde im Eilmodus sichtbar. Wurde von den Künstlern seismographisch geortet und sensibel verarbeitet, in ihren Bildern zunächst, in Salons, Galerien und Ausstellungen gleichsam. Von dort aus für die Ewigkeit in die Kunstgeschichte geritzt. Denn die Dynamik ihrer Lebenswelt veranlasste zahlreiche französische Künstler sich von der traditionellen Malerei und Landschaftsmalerei zu verabschieden, stärker in die Gegenwart zu sehen und Tradiertes dabei zu überformen oder auch einmal zugunsten des Hier und Jetzt links liegen zu lassen. Zugunsten des Künstlers, seiner augenblicklichen Wahrnehmung, die sich vom Atelier und seinen Standards verabschiedet und der eigenen Beobachtung, oft direkt am Ort des Motivs, Raum gibt.
Paul Signac, Gustave Loisseau, Maurice de Vlaminck, Raoul Dufy, Auguste Herbin, Eugene Boudin, Camille Pissaro, Paul Signac, Gustave Loiseau, Gustave Caillebotte, Henry Moret, Berthe Morisot, Pierre-Auguste Renoir, Paul Cezanne, Alfred Sisley, Claude Monet und einige mehr. Sie alle stehen für diese Zeit, in dieser Umgebung. Schreiben sich auf die jeweils eigene Weise in die Kunstgeschichte hinein. Einen Teil davon, der sich von verschiedenen Seiten der gleichen Medaille zum so genannten Impressionismus formte und der mit seinen späteren Ausformungen und in zahlreichen Originalen seit geraumer Zeit in Potsdam eingezogen ist, wie ein in drei Dimensionen gefasster Ausschnitt aus dem europäischen Kunstlexikon. Didaktisch fokussiert und fein säuberlich, vermittlungskonform aufgereiht.
Die Sammlung Hasso Plattner bildet den Grundstock des Museum Barberini in Potsdam. Darunter 34 Gemälde von Claude Monet. Um diese herum dessen Art-Genossen. Sie stehen für die Befreiung der Kunst, für ihren Weg in die Moderne und vor allem, und das ganz speziell, für lichtdurchflutete Landschaften, mit dynamischem Duktus und neuer Farbigkeit, die sehr unmittelbar auf die Leinwände gebracht wird. Das Augenmerk des Augenblicks. Auf der Suche nach Wahrheit in der Natur. In thematisch unschwer fassbaren Zirkeln: Reflexionen im Fluss, fasst die zweideutige Anspielung zahlreiche Arbeiten unter freiem Himmel zusammen, in geographischer Nähe der Seine, die zum Motor der Beobachtung spiegelnder Oberflächen wurde, zum Standardrepertoire malerischer Expeditionen in die Nähe der unberührten Natur, zur Liebeserklärung an das Licht und an den Moment. So entwickeln sich Argenteuil, Giverny, Moret und andere Orte neben Paris zur Lieblingskulisse dieses Genres. Bilden sich neben Urbanität und Modernität der ländliche Raum und der technische Fortschritt zu Hauptmotiven heraus. Moderne Brücken, die Schlöte der Industrie. Verschwinden im malerischen Gestus der Protagonisten des Impressionismus (vgl. Gustave Caillebotte: Die Brücke von Argenteuil). Die gleichermaßen Schönheiten der Landschaft bis zur maritimen Idylle auf Leinwand bannen, wie auch das bürgerliche Leben im explodierenden Paris. Und somit Lebensgewohnheiten, Leidenschaften und Möglichkeiten des frz. Impressionismus, dieser lokal so besonderen Entwicklung, klar verortet. Mit malerischer Freiheit verknüpft. Mit Mut zum Genie und zur Sinnlichkeit. Durch Abkehr vom Konstruierten. „Kunst, die das Gefühl verleiht, in einem Körper zu sein.“
Die Hauspolitik Barberini: Impressionismus in einer neuen Konstellation, einschließlich seiner Diversifikation zu Pointillismus und Fauvismus. In einer Dauerausstellung als kurzweilige kunstgeschichtliche Lehrstunde. Über 100 Gemälde des Impressionismus und Post-Impressionismus von 1860 bis ins frühe 20. Jahrhundert. Drei Generationen von Künstlern, eine Lebenswelt, eine Welle.
Ergänzt mit besonderen Schwerpunkten in thematisch tangierenden Sonderausstellungen. Aktuell mit der Ausstellung „Impressionismus in Russland. Aufbruch zur Avantgarde.“ (bis 9. Januar 2022).