Vom oberpfälzischen Förstersohn zum europäischen Visionär
Festspiele feiern den Opernreformer Ch. W. Gluck
veröffentlicht am 23.06.2014 | Lesezeit: ca. 9 Min.
Zu den ganz großen Söhnen der Europäischen Metropolregion Nürnberg zählt zweifelsohne Christoph Willibald Gluck. So wie Albrecht Dürer und Lucas Cranach (der Ältere) ihr ein malerisches, Jean Paul, Friedrich Rückert und E. T. A. Hoffmann, der dem Komponisten in der Erzählung „Ritter Gluck“ ein Denkmal gesetzt hat, ihr ein literarisches Gesicht geben, gibt Gluck (neben Johann Pachelbel, Max Reger und Hugo Distler) ihr ein musikalisches. Vom 14. bis zum 27. Juli werden die Internationalen Gluck-Opern-Festspiele den Komponisten unter dem Titel „ReFORM und ReVISION“ würdigen. Am 2. Juli steht Glucks 300. Geburtstag an. Im oberpfälzischen Erasbach bei Berching als erstes von neun Kindern geboren, hat es der Förstersohn zu einem der namhaftesten und fruchtbarsten Opernkomponisten überhaupt gebracht.
„Es war unser Wunsch, Gluck, der fast vergessen schien, dessen zeitlose Melodien dennoch jeder liebt, zu seinem runden Ehrentag wieder zum Gesprächsthema zu machen“, sagt Hans-Peter Schmidt, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Nürnberger Versicherungsgruppe, die das Festival vor bald einer Dekade initiiert hat und seither maßgeblich fördert. Mehr als 254 Aufführungen in über drei Dutzend Lokalitäten weltweit (von Kaiserslautern über Cottbus, Lecce, Budapest und Hongkong bis zur oberpfälzischen Benediktinerabtei Plankstetten sowie jüngst, mit „Orfeo ed Euridice“, bei den Wiener Festwochen) haben in dieser Spielzeit Gluck zum Thema. Die Festspiele sind in ihrer nunmehr fünften Auflage seit 2005 („Viel Gluck“ lautete das Motto der ersten Runde) längst zu einem Glanzpunkt unter den hiesigen Kulturveranstaltungen geworden. Da sie sich zeitlich zumindest am letzten Juliwochenende mit den Bayreuther Festspielen überschneiden, bietet sich gerade auch für Wagnerfreunde ein Abstecher nach Nürnberg beziehungsweise Berching an.
Auch in Freystadt bei Neumarkt, in Fürth, Erlangen und Coburg macht man in diesem Jahr Station. „Dass wir regional verwurzelt sind, dass wir in der Europäischen Metropolregion Nürnberg sind und auch über sie hinausgehen und in sechs verschiedenen Städten – es sollen noch mehr werden – spielen, dass wir die Kolleginnen und Kollegen an den Theatern mit einbinden und begeistern konnten“, darüber freut sich Axel Baisch, der seit Januar 2013 Vorsitzender des Beirates ist. Ihm zur Seite stehen als künstlerischer Leiter Christian Baier und als Geschäftsführerin die ausgebildete Pianistin Olga Gollej.
Musiker, Tänzerinnen und Musikwissenschaftler aus dreizehn Staaten kommen zu Glucks Dreihundertstem zusammen, um gemeinsam an der Verwirklichung jenes Zieles zu arbeiten, das sich der Komponist von insgesamt einem halben Hundert Opern gesetzt hat: Menschen zu berühren, zu bewegen, zu begeistern. Musik war für Gluck nicht nur eine Kunst, um das Ohr zu amüsieren, sondern galt ihm „als eins der größten Mittel, das Herz zu bewegen und Empfindungen zu erregen“. „Deshalb“, hielt er 1777 in einem Brief fest, „habe ich einen neuen Weg eingeschlagen, mich mit der dramatischen Handlung beschäftigt, den großen und kräftigen Ausdruck gesucht und überhaupt gewollt, dass alle Teile meiner Werke untereinander verbunden seien.“
„ReFORM und ReVISION“ lautet der Titel des vierzehntägigen Reigens aus szenischen und konzertanten Opernaufführungen, aus Ballettproduktionen und einem Symposium, der dem Phänomen Gluck auf die Spur zu kommen sucht. Eröffnet werden die Festspiele am 14. Juli um 20 Uhr im akustisch fabelhaften Nürnberger Schauspielhaus. Eine „nicht unbedeutende deutsche Literatin, die zu uns kommen wird“ (so viel immerhin verriet Baisch im Vorfeld), wird einen noch nicht publizierten Festvortrag halten. Eine konzertante Aufführung von „Iphigenie in Aulis“ in deutscher Sprache wird folgen. Das Besondere daran: Die Fassung stammt von Richard Wagner, der Gluck schwärmerisch den „Schöpfer der vollkommenen Ouvertürenform“ nennt. Diese Version wird heute kaum gespielt. Wagner hat sie 1847, zwischen „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ angefertigt. Die Nürnberger Produktion ist in Zusammenarbeit mit dem Opernhaus von Nizza entstanden. Philippe Augin, ehemals Generalmusikdirektor der Stadt Nürnberg und jetzt in dieser Position an der Opéra de Nice, hat die musikalische Gesamtleitung inne.
Am 15. Juli und am 16. Juli kommt im Markgrafentheater Erlangen als Gastspiel des Theaters Heidelberg und der Lauttencompagney Berlin „Iphigenie auf Tauris“ (1763) von Tommaso Traetta auf die Bühne. Traetta, der Hofkapellmeister in Parma war, zeigt sich hier als eigenwilliger und einfallsreicher Musikdramatiker. Tags drauf geht es nach Coburg, wo im Landestheater von 19.30 Uhr an gleich zwei Produktionen anstehen, Glucks „Orfeo ed Euridice“ und die Kammeroper „Savitri“ von Gustav Holst, 1916 nach einem indischen Mythos komponiert. Regie führen Magdolna Parditka und Alexandra Szmerédy, die beide auch für Bühne und Kostüm verantwortlich zeichnen. Sie waren 2013 für den Deuschen Theaterpreis nominiert und wagen ein Experiment: die Überwindung des Todes durch die Kraft der Liebe. Ein Traum. Eine Vision. Ein Glück.
Das Stadttheater Fürth hat sich im Ballett einen guten Ruf erworben. In Kooperation mit dem Ballett Dortmund wird am 18. Juli und am 19. Juli Xin Peng Wang „Orpheus“ choreographieren. Die Musik stammt von Igor Strawinsky und aus der altchinesischen Ming-Zeit. Denn auch im Fernen Osten ist der Mythos vom thrakischen Sänger Orpheus, der die Götter entzückt, wilde Tiere zähmt und sich in die Unterwelt aufmacht, um seine verstorbene Geliebte zurückzufordern, bekannt.
„Gluck, der Reformer?“ fragt die Tagung der Internationalen Gluck-Gesellschaft vom 18. Juli bis zum 20. Juli im Marmorsaal der Nürnberger Akademie und nimmt „Kontexte, Kontroversen und Rezeption“ in den Blick. Zu den renommierten Referenten zählen unter anderen Frieder Reininghaus und Sibylle Dahms. Es wird eine Standortbestimmung der Gluck’schen Opernreform versucht und die Wirkung Glucks bis in die Gegenwart beleuchtet, wobei insbesondere das Ballett, die choreographische Sprache der Gluck-Zeit berücksichtigt wird.
Die Mezzosopranistin Gerhild Romberger und der Pianist Manuel Lange geben am 22. Juli im Hirsvogelsaal des Museums Tucherschlösschen einen Liederabend. Auf dem Programm stehen neben Glucks Oden und Liedern nach Texten von Friedrich Gottlob Klopstock Arnold Schönbergs George-Vertonungen für Singstimme und Klavier op. 15 aus dem „Buch der hängenden Gärten“. Außerdem werden weitere Klopstock-Lieder geboten: von Franz Schubert.
Am 23. Juli kommt es im Kleinen Klosterhof des Germanischen Nationalmuseums zu einer ungewöhnlichen Hommage an den Jubilar. „Early Graves“ nennt sich die Auftragskomposition der Internationalen Gluck-Festspiele. Geschrieben hat sie der Österreicher Franz Koglmann, der als Mitglied des trio all‘ alba auch an Flügelhorn und Trompete zu hören sein wird. Mario Arcari spielt Englischhorn, Attila Pasztor Violoncello. Koglmann sagt von sich, er schreibe keine Jazz-Musik sondern „Musik, die Jazz zulässt“. In „Early Graves“ bedient er sich musikalischen Materials aus Glucks Klopstock-Oden und transponiert es ins Hier und Jetzt.
Selten aufgeführt wird Glucks Dramma per musica „Paris und Helena“ von 1770. Unter der Leitung des Alte-Musik-Spezialisten Andreas Spering wird eine der kühnsten und eigenwilligsten Reformopern Glucks aus seiner Wiener Zeit am 24. Juli und am 26. Juli in der Inszenierung des Bondy-Schülers Sebastian Hirn im Nürnberger Opernhaus auf die Bühne kommen. Neben den Solisten und der Staatsphilharmonie wird der Konzertchor Nürnberg-Fürth zu hören sein. Troja ist gefallen, der Krieg zu Ende. Ob das auch für die Liebe gilt, mit der alles seinen Anfang nahm?
Eine wahre Preziose wird am 26. Juli im Garten der St. Lorenzkirche zu Berching aus der Schatztruhe gehoben: „Le Cinesi“, die Serenade in einem Akt von Pietro Metastasio, die Gluck in Töne setzte. Die musikalische Leitung der Opera Incognita (ein freies Münchner Opernensemble, das sich auf Raritäten und ungewöhnliche Spielorte versteht) liegt in den Händen von Ernst Bartmann, es inszeniert Andreas Wiedermann. Beide haben am Salzburger Mozarteum studiert. Mit Witz und Esprit will man dem oft totgesagten Musiktheater zu neuen Impulsen verhelfen.
„Musik im Affekt“ nennt sich die Matinee am 27. Juli im Markgrafentheater Erlangen. Mit diesen Worten lässt sich Glucks musikgeschichtliche Leistung charakterisieren. Frei von Formzwängen will seine Musik zutiefst menschliche Empfindungen widerspiegeln. Auf Wagners Faust-Ouvertüre folgt Beethovens Viertes Klavierkonzert. Solistin ist Olga Gollej, die vom Jungen Tonkünstler Orchester Bayreuth unter Manfred Jung begleitet wird. Selbigen Abends gehen mit einer Gala für Gluck auf der Kaiserburg die Festspiele zu Ende. Mit Christiane Oelze wird eine der ganz großen Sopranistinnen unserer Tage singen. Naturgemäß, aber nicht nur, Gluck.
Einen feinen Überblick über die Gluck-Festspiele gibt das wunderbare Programmbuch. Es ist, man glaubt es kaum, kostenfrei zu haben.
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