Portrait

Amtsantritt in schweren Zeiten

Daniel Carter hat mitten in der Pandemie den Posten eines Generalmusikdirektors am Landestheater Coburg übernommen

veröffentlicht am 30.03.2022 | Lesezeit: ca. 9 Min. | von Martin Köhl

Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg

Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg , Foto © Annemone Taake

Seit über einem Jahr ist er nun im Amt, der neue Coburger GMD. Für ART. 5|III ein Anlass, ihn bezüglich seiner musikalischen Vorstellungen für das Philharmonische Orchester zu befragen.

Herr Carter, wenn man wie Sie an großen Häusern gearbeitet hat, z. B. in Weltstädten wie Melbourne, Hamburg und Berlin, was macht dann den Unterschied aus zu der Tätigkeit in Coburg, keinem kleinen, aber doch kleineren Theater?

Daniel Carter
Wenn man an einem kleineren Theater arbeitet, braucht es Menschen, die sich in besonderem Maße begeistern und engagieren. Die verfügbaren Ressourcen sind an größeren Häusern selbstverständlicher als an kleineren. Zum Glück haben wir hier in Coburg solche Mitarbeiter*innen. Das schafft ein besonderes Teamgefühl, weil man viel stärker wahrnimmt, wie viel jede/r Einzelne zum Gelingen eines Projektes beiträgt und wie sehr man auf ein gutes Zusammenwirken angewiesen ist. Da ist „Die Walküre“, die wir momentan in Coronazeiten auf die Bühne bringen, ein gutes Beispiel dafür.

Ein anderer Aspekt ist, dass an den großen Häusern ein sehr hoher Erwartungsdruck an das Programm herrscht. Das Publikum erwartet kontinuierlich große Produktionen wie „La Bohème“ oder „La Traviata“. An kleineren Häusern kann man mit dem Repertoire etwas mutiger umgehen. Die Leute hier lieben das Theater, sie kennen die Ensembles und sind bereit, ungewöhnliche Programmentscheidungen mitzutragen. Durch die Möglichkeit etwas mehr Wagnisse eingehen zu dürfen, kann man beispielsweise in der Oper neue Stimmen entdecken. Bereits in meiner Zeit am Theater Freiburg habe ich mit Sänger*innen gearbeitet, die mittlerweile große Karriere gemacht haben. Und ich habe sie erlebt, als sie noch ganz am Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn standen. Ein aktuelles Beispiel ist die Darstellerin unserer Brünnhilde in der „Walküre“ Åsa Jäger, eine junge schwedische Sopranistin, die sicherlich eine riesige Karriere vor sich hat. Die Qualität ihrer stimmlichen Darbietung hat uns beim Vorsingen sehr imponiert. Für uns bedeutet das die Entdeckung einer wichtigen Stimme, und Åsa Jäger kann unter einem gewissen Schutz zum ersten Mal die Brünnhilde singen. Wenn man diese Rolle zu früh an einem großen Haus singt, kann das der Stimme schaden.

Welche Zwänge brachten die Einschränkungen, denen Sie ja gleich zu Beginn Ihrer Tätigkeit ausgesetzt waren?

Daniel Carter
Natürlich war es erstmal eine Enttäuschung, nicht mit den geplanten großen Produktionen einsteigen zu können. Das Positive an der unfreiwilligen Aufführungspause war aber, dass ich mehr Zeit zum Recherchieren hatte und ungemein viel neues Repertoire entdecken durfte. So haben wir bei meinem ersten Sinfoniekonzert im Landestheater, das leider nur online gestreamt werden konnte, ein Stück des isländischen Komponisten Jón Leifs gespielt. Diesen Komponisten hätte ich andernfalls so nicht für mich entdeckt und mein erstes Sinfoniekonzert eher konservativer mit Komponisten wie Richard Strauss gestaltet.

Ich habe die Zeit auch genutzt, um Wagners „Ring des Nibelungen“ intensiv zu studieren. Den „Ring“ zu lernen dauert für gewöhnlich Jahre. Ich hatte kürzlich die fantastische Gelegenheit, zum ersten Mal den „Siegfried“ beim Gewandhausorchester Leipzig zu dirigieren, als dort kurzfristig vertretungsweise ein Dirigent gesucht wurde.

Apropos Reduktion, damit werden Sie ja demnächst beim Coburger „Ring“ massiv zu tun haben. Machen Sie aus der Tetralogie ein Kammerspiel? Was erwarten Sie klanglich?

Daniel Carter
Wir spielen „Die Walküre“ in der Lessing-Fassung – eine gängige Fassung für B-Orchester. Im Übrigen – falls Sie darauf anspielen – spielen wir nicht die vom Namen her bekannte, stark reduzierte „Coburger Fassung“. Diese Fassung wird heute so gut wie nicht mehr gespielt. Vielleicht werde ich, wenn wir den Ring abschließend komplett aufführen, einmal ein Sonderkonzert mit dieser Fassung anbieten, einfach, damit man sie einmal erleben kann. Aber das Publikum wird sich wundern, wie dünn diese Fassung eigentlich klingt (lacht).

Mit dem Filmmusikkonzert, das in der ersten Ausgabe unter dem Titel „Charlie Chaplin – The Kid“ steht, bringen Sie ein bekanntes aber in Coburg bislang noch nicht angebotenes Format in die Stadt. Wie kam es dazu und was erwartet die Zuschauer?

Daniel Carter
Ich kenne diese Filmmusikkonzerte aus meiner Zeit am Theater Freiburg. Dort gab es dieses Format jedes Jahr und es war immer ein richtig großes Event. Die Konzerte waren kontinuierlich ausverkauft und die Zuschauer haben sie regelrecht gefeiert. Und ich dachte mir – das kann man doch in Coburg auch wunderbar machen.

Zu erwarten ist ein Kinobesuch mit Live-Musik. Wir spannen im Theater eine riesige Leinwand. Das Orchester sitzt in großer Besetzung im Orchestergraben und wir spielen live zum Film den Soundtrack. Meine Aufgabe als Dirigent ist es, die Sache zusammenzuhalten (lacht). Das ist tatsächlich gar nicht so leicht. Es gibt zwar in der Partitur alle paar Takte Anmerkungen wie „Charlie Chaplin kuckt nach rechts“ oder „Charlie Chaplin dreht sich um“ usw. Die große Herausforderung ist aber, auf ein absolut konstantes Metrum zu achten, da sonst Musik und Handlung auseinanderlaufen. Das ist nochmal eine ganz andere Arbeit als die an einer Oper, wo das Tempo stark von den Sänger*innen mitdefiniert wird. Nicht jeder weiß, dass Chaplin die Musik zu diesem Film selbst komponiert hat und zwar erst 50 Jahre nach dessen Erscheinen, als er bereits über 80 Jahre alt war. Wir spielen diese Originalkomposition.

Dann haben Sie die sogenannten „Klimakonzerte“ am Landestheater Coburg etabliert. Was verbirgt sich dahinter?

Daniel Carter
Das Philharmonische Orchester am Landestheater Coburg ist Gründungsmitglied des Vereins „Orchester des Wandels“. Hier setzen sich Musiker*innen der deutschen Berufsorchester für den Klima- und Umweltschutz ein. Jede Spielzeit werden bei uns am Landestheater einige Sinfoniekonzerte unter dieses Motto gestellt. Mit dem Erwerb eines Tickets wird ein sogenannter „Klima-Euro“ für ein jeweils definiertes Projekt gespendet. Derzeit engagiert sich der Verein für den Erhalt von Edelhölzern in Madagaskar, die durch illegalen Abbau stark gefährdet sind. Auch für den Bau unserer Instrumente werden zum Teil exotische Hölzer verwendet. Einige davon sind mittlerweile vom Aussterben bedroht. Als Musiker liegt es uns am Herzen, den Bestand dieser Hölzer ebenso zu schützen, wie die Ökosysteme, in denen sie wachsen. Es geht also um nachhaltige Projekte, die uns als Musiker im Besonderen betreffen.

Noch mal zum Klang: Haben Sie diesbezüglich schon über das neue Domizil im „Globe“ nachgedacht?

Daniel Carter
Ich freue mich sehr auf den Umzug ins Globe. Ein neues Theatergebäude in Betrieb zu nehmen, ist eine Chance, die man wahrscheinlich nur ein einziges Mal im Leben bekommt. Das Globe ist als ein hinsichtlich der Akustik sehr flexibles Veranstaltungshaus geplant. Mithilfe von Vorrichtungen wie großflächigen ferngesteuerten Vorhängen lassen sich verschiedene akustische Einstellungen erzeugen. Die jeweiligen Einstellungen für die Veranstaltungen werde ich in Zukunft mit dem Orchester definieren.

Reizt Sie das zeitgenössische oder gar das zukünftige Repertoire?

Daniel Carter
Ja sehr. Ich bin studierter Komponist und habe viel Zeit meines Lebens mit Uraufführungen verbracht. Ich werde neben dem Kernrepertoire auch immer wieder neue und noch unbekanntere Werke ins Programm streuen. Es gibt einfach so unfassbar viel tolle Musik zu entdecken.

In welche Richtung gehen Ihre Neigungen im Repertoire? Eher Rossini und Verdi oder eher Weber und Wagner? Oder doch lieber Mozart?

Daniel Carter
Mein absoluter Lieblingskomponist ist Leoš Janáek. Das ist fast eine Obsession. Ansonsten habe ich sehr vielfältige musikalische Interessen. Es gibt keine Richtung, die ich explizit nicht mag. Natürlich gibt es hinsichtlich des Dirigats Stilrichtungen, vor denen ich Respekt habe und für die es andere Experten gibt. Ansonsten mag ich eigentlich alles: Ich habe Verdi dirigiert, Wagner, Weber, Rossini… Ich dirigiere einfach gerne (lacht).

Nennen Sie eine Wunschoper, die Sie gerne dirigieren würden, wenn Ihnen alle Voraussetzungen dafür ohne jegliche Einschränkungen geschaffen würden.

Daniel Carter
Mein absolutes Lieblingsstück ist „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janáek. Leider war die Oper wenige Jahre vor meinem Antritt in Coburg bereits im Programm, so dass ich sie wohl vorerst nicht dirigieren können werde.

Welche Perspektiven als Dirigent hat man mit Blick auf Europa, wenn man aus Australien kommt?

Daniel Carter
Ich dirigiere am liebsten Oper. Und alle Künstler, die Oper singen oder dirigieren, wollen nach Deutschland. In Deutschland gibt es noch einen Markt für die Oper wie nirgendwo sonst. Es gibt hier viel mehr Theater, viel mehr Orchester als anderswo. In Australien hatte ich bereits an der Nationaloper dirigiert. Wohin soll man danach gehen? Ich lebe jetzt acht Jahre in Deutschland und komme mit dem Land und der Kultur sehr gut klar. Aber der Hauptgrund ist – die ganze Opernwelt will nach Deutschland.

Ihre Ziele für Coburg in den nächsten fünf Jahren?

Daniel Carter
Das Philharmonische Orchester ist in einem sehr guten Zustand – der ehemalige Generalmusikdirektor Roland Kluttig hat hier hervorragende Arbeit geleistet. Aber natürlich versucht man als neuer GMD immer die Qualität noch weiter zu erhöhen. Die große Herausforderung bei uns in Coburg ist ansonsten natürlich der Umzug ins Globe. Dass wir die Zuschauer*innen hier gut mitnehmen. Manche Dinge werden dort technisch nicht gleichwertig umsetzbar sein wie in einem tradierten Theatergebäude. Andererseits werden sich auch vollkommen neue Nutzungs- und Bespielungsmöglichkeiten ergeben, die im alten Gebäude nicht möglich waren. Wir hoffen, unserem Publikum weiterhin gleichermaßen präsent bleiben und gleichzeitig auch eine ganz neue Klientel gewinnen zu können.

Und Ihr Traumort bzw. Ihr Traumopernhaus, wenn Sie nach einer angemessenen Wirkungszeit in Coburg weiterziehen wollen?

Daniel Carter
Eines, wo ich „Das schlaue Füchslein“ dirigieren darf (lacht). Nein, ich hoffe, dass ich dem Coburger Theater und dem Orchester etwas bringen und Dinge aufbauen kann. Irgendwann wird das Orchester dann neue Impulse brauchen. Man kann so etwas nicht wirklich planen, da man nicht weiß, welche Orchester wann Stellen ausschreiben werden. Ich habe es nicht eilig, da ich hier in Coburg momentan glücklich bin.

Anna Gladitz & Martin Köhl

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