Martins Hasswörter (8)
Hilfe: Bürokratie!
veröffentlicht am 30.05.2022 | Lesezeit: ca. 3 Min. | von Martin Köhl
Es wird mal wieder Zeit für ein Hasswort, eines also, das man wirklich nicht ausstehen kann, zumindest dessen Gebrauch. ’Bürokratie’ ist zusammen mit der adjektivischen Version ’bürokratisch’ ein heißer Kandidat, pardon: eine Kandidatin. Ständig wird das Wort für allerlei Beschimpfungskanonaden ge- und missbraucht. Man wittert dann immer eine sture Verwaltung, die den Menschen das Leben unnötig schwer macht. Bürokratie meint etymologisch nämlich die Herrschaft des Arbeitszimmers.
Schaut man dann aber genauer hin, dann ergibt sich ein erstaunlicher Befund. Die Verächter von als bürokratisch empfundenen Verhaltensweisen seitens der Behörden oder anderweitiger Institutionen legen meist keinen allzu großen Wert auf eine funktionierende Verwaltung, weil sich ohne dieselbe manche Geschäfte geräuschloser durchbringen lassen. Kein Wunder, dass sich insbesondere Wirtschaftskreise und deren freidemokratische Helfershelfer für „unbürokratische“ Methoden einsetzen.
War es nicht der Verzicht auf „bürokratische“ Verfahrensweisen, der uns Coronamasken für knapp 10,- € pro Stück eingebrockt hat? Klar, dass eine Andrea Tandler gerne auf eine sorgfältige Prüfung dieses „Deals“ (so nennt man das heute!) verzichtet hat. Wäre ja auch unnötige Bürokratie. Viel Phantasie braucht man nicht, um sich vorzustellen, welche Folgen die „unbürokratische“ Beschaffung von Waffen zeitigen wird. Der von Olaf Scholz versprochene Kuchen von 100 Milliarden Euro ist gar zu schmackhaft.
Deshalb aufgepasst: Wenn es mal etwas länger dauert mit einer Entscheidung, könnte es damit zu tun haben, dass die betreffende Angelegenheit aus gutem Grunde genauer geprüft werden muss. Das betrifft übrigens – und jetzt wird’s politisch ganz aktuell – auch den Beitrittswunsch der Ukraine, der nach Äußerungen westlicher Politiker möglichst schnell und „unbürokratisch“ vonstatten gehen soll. Bei aller Sympathie für dieses geschundene Volk: Die Ukraine ist ein Staat ohne funktionierende Justiz!
Gibt es Hilfsgelder, Spenden oder Subventionen zu verteilen, wird eine unbürokratische Vorgehensweise besonders oft gefordert. Kein Wunder, denn auf dem Weg des Geldes zu den wirklich oder vermeintlich bedürftigen Empfängern lauern meist jene Profiteure, denen es aus gutem Grund nicht schnell und unkompliziert genug gehen kann. Wir wollen hier nicht ein Loblied auf die Bürokratie anstimmen, aber eine gewissenhaft arbeitende Verwaltung gehört zu den Grundvoraussetzungen eines demokratischen Gemeinwesens.