Portrait

„Für mich eher Schubert als Dylan!“

Konstantin Wecker im Interview

veröffentlicht am 29.11.2022 | Lesezeit: ca. 9 Min. | von Andreas Bär

Konstantin Wecker

Konstantin Wecker, Foto © Thomas Karsten

Es ist nichts überraschendes, wenn Konstantin Wecker sich im Frankenland ein Stelldichein gibt. Seit Jahrzehnten schon gibt sich der 75-jährige Liedermacher regelmäßig die Ehre in hiesigen Gefilden. Mit seinem „Ich singe, weil ich ein Lied hab“-Programm gastiert er am 4. Dezember in der Nürnberger Meistersingerhalle. Art. 5|III haben sich im Vorfeld mit dem Münchener Urgestein unterhalten. Über seine mehr als fünf Dekaden dauernde Karriere, über musikalische Zeitensprünge, über das Alter. Und: Über Fußball.

Herr Wecker, lassen Sie uns doch einfach mal völlig untypisch in ein Gespräch mit Ihnen gehen. Schließlich laufen gerade die Fußball-Weltmeisterschaften in Katar. Für Sie als bekennenden Anarcho muss das doch ein Gräuel sein. Haben Sie es eigentlich mit Fußball?

Ich war tatsächlich so richtig unbegabt. Im Gymnasium haben sie mich einst sogar in die Schulmannschaft geholt. Weil sie mich gemocht haben. Dann haben sie mich ins Tor gestellt. Es ist aber dann bei dem einen Spiel geblieben. Katar ist natürlich der Höhepunkt an Schmierereien und Korruption. Und dann finden die Spiele auch noch abends unter Flutlicht und mit Klimaanlagen statt. Katar war 2019 laut International Energy Agency das Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf weltweit. Ich werde mir ganz bestimmt kein Spiel anschauen.

Und in München? Ist der Wecker 1860er oder ein Roter?

Ich hatte ja das Kaffee Giesing bis ins Jahr 1995. Da kamen natürlich immer viele Sechzger-Fans und Spieler rein. Ich konnte mich für die 60er damals schon begeistern. Grundsätzlich bin ich aber eher der, der den Amateurfußball mehr schätzt. In Italien, in Ambra (Anm. d. Red.: Weckers Zweitwohnsitz), da haben sie eine reine Hobbymannschaft. Denen zuzuschauen: Das macht richtig Spaß! Das krasse Gegenteil zu Katar.

Wenn wir schon ansatzweise im politischen Bereich sind. Bekanntermaßen sind Sie einer, der seine politische Stimme immer wieder erhoben hat, mit seiner Meinung nur sehr selten hinter dem Berg gehalten hat. Hatten Sie eigentlich irgendwann die Ambition, in die Politik einzusteigen?

Das wurde mir tatsächlich sogar angeboten. Von den Linken. Und von den Grünen. Ich war ja zu Zeiten, als Petra Kelly die Grünen gegründet hat, sehr engagiert. Ich habe sie verehrt und geliebt. Sie finde ich großartig! Aber um in die Politik zu gehen, bin ich viel zu sehr Künstler. Ich liebe die Poesie. Und eine Utopie habe ich als Pazifist natürlich auch. Meine Aufgabe ist es, Utopien und Ideen leben zu lassen. Mein Traum von Frieden schaffen ohne Waffen und eine herrschaftsfreie Welt. Der wird immer weiterleben.

Wir tauchen langsam ein in die Welt des Künstlers, Liedermachers und Poeten Konstantin Wecker. „Ich singe, weil ich ein Lied hab“ heißt ihr aktuelles Programm, mit dem Sie auch in Nürnberg gastieren. Das klingt, als müsse der Wecker nicht mehr singen, aber er will es noch. Was dürfen die Besucher denn erwarten?

Eine Zeitreise. Begonnen in den 70er-Jahren, chronologisch arbeite ich mich nach vorne bis zum heutigen Tag. Ich habe da einiges ausgegraben an Texten und wiederentdeckt, die ich selber fast schon vergessen hatte. Zum Beispiel auch die Elegie für Pasolini. Der wurde 1975 ermordet. Seine Ideen, Gedanken und Utopien, die konnten auch seine Mörder nicht vernichten. Ich werde aber auch die Poesie nicht zu kurz kommen lassen, lese Gedichte und mein pazifistisches Credo. Musikalisch wird es sehr vielseitig werden. Beim „Hexeneinmaleins“ erzähle ich, wie sehr mich Carl Orffs Werk geprägt hat und prägt. Verdi, Puccini, Mozart, Schubert und er sind ja musikalisch meine Vorbilder. Man muss sich das mal vorstellen. In den 80er-Jahren, just in der Punk Zeit, spielt der Wecker plötzlich mit Kammerorchester. Das Publikum kam damals wohl nicht wegen meiner Musik, sondern trotz meiner Musik. Aber da bin ich stur geblieben. Ich komme aus der Klassik, für mich war eher Schubert als Bob Dylan angesagt. Als kleiner Bub schon habe ich daheim Opern geträllert. Mein Vater war ja Opernsänger. Musikalisch wird der Abend in der Meistersingerhalle ein Hochgenuss für die, die es mögen.

Apropos Vater. In Ihrem – in meinen Augen – Meisterwerk „Für meine Kinder“ haben Sie Ihren Söhnen eine ganz persönliche Liebeserklärung auf den Weg gegeben. Jetzt hat ihr Jüngster Filius Tamino den künstlerischen Weg beschritten, ist als Rapper unterwegs. Ist der Papa da stolz?

Oh ja! Tamino mag klassische Musik. Er mag meine Musik. Jüngst bei den Auftritten im Münchener Circus Krone stand er mit auf der Bühne. Er geht einfach einen Schritt weiter, für den ich zu alt bin. Ich mag grundsätzlich die Ausgegrenzten mehr als die Angepassten. Und inhaltlich ist er mir sehr ähnlich. Ich bin aber eher der Klassiker, mag die reinen Reime. Das funktioniert im Rap nicht. Also ich würde es nicht tun. Aber Tamino macht sein Ding. Ich finde es spannend.Und richtig gut!

Zurück zu Ihnen. Woher rühren eigentlich die ja doch sehr vielfältigen Texte von Ihnen?

Was mir immer mehr auffällt: Ich kann nichts für meine Poesie. Sie war und ist ein großes Geschenk. Sie hat mich ereilt, war immer klüger als ich. Sinnbild dafür ist das Lied „Manchmal weine ich sehr“ aus der Endzeit meiner Kokainsucht. Da bin ich in der Psychiatrie. Und da hätte ich auch hingehört. War ich aber nicht. Mein Ego und meine Sucht haben es nicht zugelassen. Meine Poesie schon.

Passend zu den alten Zeiten: „Ich singe, weil ich ein Lied habe“. Viele, ich inklusive, haben gar nicht auf dem Schirm, dass dieser Song ja schon nahezu uralt ist. Eines ihrer Frühwerke.

Das stimmt. Das habe ich geschrieben, als ich 19 Jahre alt war. Da war ich noch als Liedermacher mit der Gitarre unterwegs. Und ich war echt kein guter Gitarrist. Hannes Wader und Reinhard Mey waren damals schon bekannter. Ich habe in Kneipen wie dem „Song Parnaß“ vier Lieder gespielt und dafür vier Bier bekommen. Und dann hörte ich Georg Kreisler mit seinem großartigen Klavierspiel. Ab dem Zeitpunkt musste immer ein Flügel dabei sein, wenn ich gespielt habe. Denn Klavier spiele ich seit meinem 4. Lebensjahr. Kreisler hat mich unglaublich geprägt. Ein paar Jahre vor seinem Tod durfte ich im Bayerischen Fernsehen die Laudatio halten, als er für sein Lebenswerk geehrt wurde. Er hat dann bestimmt, dass diese Laudatio auf seiner Beerdigung eingespielt wird. Das hat mich zu Tränen gerührt.

Was haben Sie eigentlich von den ganzen Vorbildern mit auf den Weg bekommen?

Ich war ja als Fan in den 60er- und 70er-Jahren schon viel unterwegs. In einer Studentenkneipe hat damals Hannes Wader gespielt. Großartig, aber keiner sagte ihm, welch tolles Konzert er gespielt hatte. Jeder fand irgendwo ein ideologisches Haar in der Suppe. An mir prallte solche Kritik immer ab. Henry Miller sagte einst, dass der wahre Künstler Anarchist sein muss. Und er hat Recht. Und ich bin es ein Leben lang geblieben. Wenn ich da zurückdenke an das Album „Liebesflug“. Das wurde von quasi allen Kritikern zerrissen. Und mir? Mir war es egal! Ich wusste, dass die Gedichte und Lieder aus meiner Tiefe kommen. Irgendwann hat sich die Wahrnehmung geändert. Und einige haben dann geschrieben, dass Wecker derjenige war, der den Mut hatte, dieses Album zu veröffentlichen. So können sich Meinungen ändern.

Stichwort alte Zeiten. Was hat es eigentlich damit auf sich, dass Sie so oft in Franken Konzerte geben? Gibt es da besondere Berührungspunkte oder mögen Sie das Frankenland einfach?

Ich mag die Franken einfach. Ich bin ja schon ganz früh in einigen linken Kneipen in Nürnberg aufgetreten. Mich verbindet viel mit der Stadt Nürnberg. Und natürlich mein Pianist Jo Barnikel. Er ist ja ein Nürnberger. Nebenbei bemerkt ein echtes Phänomen. Er wird mit dem Alter immer besser. Er hat meine Poesie immer bereichert. Er ist einfach ein unfassbarer Musiker. Mit Norbert Nagel, meinem Saxophonisten, der nach vielen Jahren wieder dabei ist, kommt noch ein Bandmitglied aus Nürnberg. Es ist mir eine helle Freude, dass er wieder an Bord ist.

Einer, der jetzt erst einmal nicht mehr an Bord ist, ist ihr alter Weggefährte Alfons Schuhbeck. Sie saßen selbst einige Zeit im Gefängnis, gingen aus der Zeit gestärkt heraus. Können Sie ihm etwas mit auf den schweren Weg geben?

Alfons war sehr freundlich, als ich aus dem Gefängnis kam. Er war toll zu uns. Und das werde ich nicht vergessen. Ich hätte damals, als ich im Knast war, bei Dieter Hildebrandt in seiner Sendung „Scheibenwischer“ auftreten sollen. Das ging logischerweise nicht. Dieter hat damals im Fernsehen nur gesagt: „Durch den Knast verliert man keinen Freund.“ Tags darauf haben mir andere beim Freigang davon erzählt. Ich musste so weinen. Und genau diesen Satz will ich Alfons mit auf den Weg geben.

Jetzt haben wir viel geredet über viele Dinge. Lassen Sie uns zum Ende dieses Gespräches hin noch ein bisschen über Sie reden. Was würde Konstantin Wecker eigentlich dazu bringen, ein Konstantin Wecker-Konzert zu besuchen, wäre er nicht Konstantin Wecker?

Puh (überlegt). Das muss ich etwas anders beantworten. Ich gehe von meinem Publikum aus. Das sind größtenteils Menschen, die mich seit Jahren begleiten. Ich hatte viele Brüche in meiner Karriere. Und ich sage heute, dass ich ein gnadenloser Zyniker geworden wäre, hätte ich mein treues Publikum nicht. Die Leute müssen nicht einer Meinung sein, aber sie haben die gleiche Sehnsucht. Die Herzen schlagen gleich. Es ermutigt mich. Kunst und Kultur sind sehr, sehr wichtig. Kunst kann
ermutigen. Wenn ich da an eine Flüchtlingshelferin denke, die mir nach einem Konzert geschrieben hat, dass sie sich durch mich dazu ermutigt gefühlt hat, damit weiterzumachen. So etwas berührt dich als Künstler.

Ein schönes Schlusswort. Wäre da nicht noch die Frage offen, wer Weltmeister wird.

Dann lassen wir es bei dem Schlusswort. Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung und es interessiert mich nicht.

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