Die Erlösung wird verweigert
Das Leipziger Opernhaus hat mit Albert Lortzings „Undine“ eine Rarität des Musiktheaters herausgebracht
veröffentlicht am 09.11.2022 | Lesezeit: ca. 3 Min. | von Martin Köhl

Die liegende Bertalda (Olena Tokar) umringt von Undine (Olga Jelínková, re), den Eltern Tobias (Sejong Chang) und Marthe (Karin Lovelius), dhinter stehend Ritter Hugo (Matthias Stier), Foto © Kirsten Nijhof
Es ist so eine Sache mit der menschlichen Seele. Man muss schon an sie glauben, zumal an ihre Rolle als grundsätzliches Kriterium. Nixen und andere Wassergeister haben nämlich keine, Menschen schon – so die Legende. Kein Wunder also, dass solche aquatischen Wesen wie Undine sich nach menschlicher Liebe sehnen, damit sie ebenfalls beseelt werden. Das kann aber auch ziemlich schief gehen wie beispielsweise in Albert Lortzings Spieloper „Undine“ nach dem Märchen von Friedrich de la Motte Fouqué.
Lortzing ist von den deutschen Spielplänen weitgehend verschwunden, doch an seiner Leipziger Wirkungsstätte demnächst wieder präsenter denn je. Die dortige Operettenbühne hat noch Inszenierungen vom „Waffenschmied“, vom „Wildschütz“ und von „Zar und Zimmermann“ im Repertoire. Das Leipziger Opernhaus stellte jetzt seine Neuinszenierung der „Undine“ vor und plant für 2026 ein großes Lortzing-Festival, in der auch die Revolutionsoper „Regina“ ihren Platz finden wird.
„Was aus dem Menschen nicht alles werden kann“ stellt das Programmheft zur „Undine“ auf seinem Cover lakonisch fest. Die Stichworte für das Schicksalhafte, das damit angesprochen wird, sind in der deutschen romantischen Oper bekannt: Vorsehung, Verklärung und vor allem Erlösung, von der ein Richard Wagner nicht genug haben konnte. Aber auch die Rache darf nicht fehlen, und dafür gibt es gute Gründe.
Hugo, Undines Erlösungshoffnung, will nämlich bald nichts mehr von ihr wissen, weil er sich Bertalda zugewendet hat, mit der Undine eine alte Verwechslungsgeschichte verbindet. Auf der Hochzeitsfeier entfernen zwei übermütige Zecher den großen Stein, der aus Furcht vor der Rache der Wassergeister auf die Brunnenöffnung gelegt wurde. Prompt entsteigt Undine dem Wasserreich ihres Vaters Kühleborn und verursacht ein Menetekel im Schloss.
Hugos Strafe für die Untreue: er muss auf ewig im Reich der Wassergeister bleiben. Die „seelische“ Erlösung für Undine bleibt natürlich aus, obwohl sie doch „die vom See Stammende“ (so die wahrscheinliche Etymologie von ’Seele’) ist. Diese Untergangsszene ist sehr deutlich inszeniert, was auch der dramatischen Musik Lortzings entspricht, die den Eindruck verstärkt, hier ginge gleich eine ganze Welt unter, zumindest aber die hier versammelte fragwürdige Gesellschaft.
Die Erfurter Bühnenbildner unter der Ägide von Karoly Risz haben eine ebenso einfache wie praktische Drehbühne geschaffen, deren Treppenanlage schnelle Bildwechsel ermöglicht. Die Kostümierung (Susanne Uhl) ist heutig, setzt aber vereinzelt besondere Akzente. Tilmann Köhler hat eine Inszenierung realisiert, die insgesamt sehr stimmig und daher überzeugend ist, obwohl ja gerade Märchenopern zu Fehlgriffen verleiten können. Dass er der erwachsenen Undine auch noch eine Nachwuchs-Undine beigesellt, ist schon fast Konvention.
Musikalisch darf Leipzig auf diese Neuerweckung eines Werkes, dessen Komponist so eng mit der Stadt verbunden war, stolz sein, denn das Gewandhausorchester unter der Leitung Christoph Gedscholds klingt ebenso intensiv wie farbig aus dem Graben. Zwei Besetzungen der Gesangssoli sind vorgesehen. Die gehörte (und gesehene!) erwies sich als rundum überzeugend. Fazit: die Fahrt nach Leipzig lohnt sich wegen dieser Inszenierung, schon deswegen, weil es um eine Rarität geht.