Meister Reineke vermenschlicht
Am Chemnitzer Opernhaus ist eine ebenso gewagte wie überzeugende Version von Leoš Janáceks Oper „Das schlaue Füchslein“ zu erleben
veröffentlicht am 24.11.2022 | Lesezeit: ca. 3 Min. | von Martin Köhl

Vorn v.l.: Marie Hänsel (Füchslein Schlaukopf), Daria Kalinina (Hahn/Eichelhäher); hinten: Opernchor , Foto © Nasser Hashemi
Kann eine wesentlich in der Tierwelt angesiedelte Oper auch mit Einsichten für das Leben unter Menschen aufwarten? Eigentlich ist Leoš Janáceks mit herrlicher Musik ausgestattete Oper „Das schlaue Füchslein“ eine Ode an die Natur und an deren Kreisläufe, darunter auch unbarmherzige, die selbstverständlich den Tod miteinschließen. Das hat etwas Fatales an sich, etwas Unentrinnbares, das im Grunde genommen wenig Möglichkeiten für Alternativen offenlässt, also auch wenig Interpretationsspielräume.
Für Chemnitz hat sich der Regisseur Joan Anton Rechi eine Version ausgedacht, die das mährische Märchen weitgehend in die Menschenwelt versetzt. Zwar beginnt die tragische „Karriere“ der Protagonistin ebendort, denn sie wurde als junges Mädchen/Füchslein gefangen und zu einem Hof gebracht, wo sie ihre Jugend unter den Haustieren und mit der Familie des Försters verbrachte. Sie wurde jedoch immer rebellischer, büxte aus und fand im Wald, ihrer ursprünglichen Heimat, ein nur kurz währendes Glück zurück.
Joan Anton Rechi, dessen erste Inszenierung in Chemnitz mit Wagners „Lohengrin“ hohes Lob gefunden hat, erzählt in der Janácek-Oper die Geschichte eines jungen Mädchens, das Schwierigkeiten mit dem Zurechtfinden in der Erwachsenenwelt hat und ihre Umgebung als krankmachende Bedrohung erlebt. Kostümbildner Sebastian Ellrich hat sich dazu eine klinisch wirkende Bühne ausgedacht, die in ihrer schwarz-weißen Kälte jeglicher Naturanmutung diametral entgegengesetzt ist.
Noch bevor die Ouvertüre beginnt, erwacht eine junge Frau aus ihrem Alptraum. Sie ist verletzt und trägt Verbände, ist also vielleicht missbraucht worden oder hat einen Suizid hinter sich. Man wähnt sich im Krankenhaus oder in der Psychiatrie. Der Jäger ist der Oberarzt, die Tierwelt tritt allmählich auch vermenschlicht ins Geschehen ein. Eines der Tiere ist trans kostümiert, nun ja. Dass es auch divers, trans oder genderfluid auf den Bühnen hergehen muss, ist längst Standard oder wahlweise auch vorauseilende Anbiederung an minoritäre Anwandlungen des Zeitgeistes. Doch wo ist der Zugewinn an Erkenntnis?
Háraschta, der Wilderer, führt eine verschleierte Frau mit sich, auch das darf natürlich anno 2022 nicht fehlen. Die Kostümierung für die tierischen Fabelwesen ist sehr einfallsreich, der fantasievolle Hühnerhaufen eine Augenweide. Man fragt sich allerdings, wie jene Zuschauer, die diese Janácek-Oper noch nie in einer konventionellen Inszenierung gesehen haben, mit den ganzen Umdeutungen des Geschehens zurechtkommen. Zumal die wunderbare Musik ja geradezu eine Anbetung der Natur ist, das aber nicht nur in ihrer Unschuld, sondern auch in ihrer Unerbittlichkeit und Grausamkeit.
Womit wir bei der musikalischen Interpretation wären, die ganz pauschal gesagt vorzüglich ist. Das betrifft nicht nur GMD Guillermo Garcia Calvo, der die Premierenaufführung souverän und mit Sinn für Klangeffekte leitete, sondern ebenso die vokale Besetzung mit Marie Hänsel und Marlen Bieber (als Fuchspaar), Jukka Rasilainen als Förster/Arzt und Felix Rohleder als Háraschta. Auch die weiteren Solorollen sowie der Opernchor (einschließlich Kinder- und Jugendchor) hinterlassen einen blendenden Eindruck, der zumal von einer übersprudelnden Spielfreude geprägt ist.
Wie gesagt, die Inszenierung ist eher etwas für Fortgeschrittene, aber so oder so ist die Fahrt nach Chemnitz dringend zu empfehlen.