„Stolpersteine gegen das Vergessen.“
Gunter Demnig verlegt im November 18 neue „Stolpersteine“ in Bamberg
veröffentlicht am 04.08.2014 | Lesezeit: ca. 6 Min.
Wer kennt das nicht. Man hetzt durch die Stadt und plötzlich bleibt man mit dem Fuss an irgendetwas hängen, stolpert, fängt sich wieder und will verärgert über den schlechten Zustand des Gehwegs losschimpfen, bis der Blick auf einen scheinbar goldenen Stein fällt, der als „Stolperfalle“ in den Boden eingelassen wurde. Man wird neugierig, geht ein paar Schritte zurück und erkennt einen Namen und eine Inschrift auf dem Stein: „ HIER WOHNTE FLORA KAHN, GEB. HIMMELREICH, JG. 1878, DEPORTIERT 1941, RIGA, ERMORDET. Und direkt daneben noch so ein Stein und dann noch einer. Schnell wird einem, auch ohne dass man eine Erklärung dazu geliefert bekommt, klar, was der Zweck dieser Steine ist. Offenbar dienen sie dazu, dass man sich an Menschen und das an ihnen begangene Unrecht erinnert, wenn man zufällig über sie „stolpert“.
Wir sind neugierig geworden, googeln kurz und finden schnell heraus, dass diese „Stolpersteine“ eine Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig sind und dass Verlegungen von „Stolpersteinen“ in Bamberg über die Willy-Aron-Gesellschaft organisiert werden. Dort ist Andreas Ullman, ein 31-jähriger, verheirateter Familienvater aus Abenberg, der gerade an der Otto-Friedrich-Universität promoviert, für die Aktionen verantwortlich. Wir treffen uns mit ihm um mehr über diese „Stolpersteine“ und auch sein Engagement bei diesem Projekt zu erfahren.
Der bereits erwähnte „Erfinder der Stolpersteine“, Gunter Demnig, wollte im Gegensatz zu den üblichen Mahn- und Denkmälern, die in der Regel an zentralen Plätzen aufgestellt werden, den Gegenstand der Erinnerung direkt an dem Ort platzieren, an dem das jeweilige Unrecht begangen wurde. Seine Motivation lag offensichtlich in dem Gedanken, dass nur 50 Jahre nach Kriegsende die zu Zeiten des NS-Regimes begangenen Greueltaten immer noch oder aber bereits wieder geleugnet wurden. Das Einsetzen eines mit dem Opfernamen und seinen Geburts- und Todesdaten versehenen Steines, direkt vor dem letzten freiwilligen Wohnort des Verfolgten oder Ermordeten, sollte eine Verdrängung der Greueltaten zumindest schwieriger machen und vor allem Einzelschicksale aus der anonymen Masse der zahllosen Opfer herausheben. Und so verlegte er 1997 in Berlin-Kreuzberg, damals noch illegal ohne behördliche Genehmigung, den ersten „Stolperstein“. Nachdem die Stadt Köln die von Demnig ohne behördliche Erlaubnis verlegten Steine über eine „Schenkung“ quasi nachträglich legalisierte und damit für diese Aktionen, zumindest für Köln, Rechtssicherheit herstellte, entwickelte sich das Projekt sehr schnell. 2002 waren im Bundesgebiet bereits ca. 2.000 „Stolpersteine“ verlegt.
Nach Bamberg kam die Aktion relativ spät (der erste „Stolperstein“ wurde 2004 in Bamberg verlegt), da erst nach der Jahrtausendwende damit begonnen wurde, die Einzelschicksale der Opfer des NS-Regimes zu klären. Nach einem Zeitungsartikel über Gunter Demnig lud die damals neu gegründete Willy-Aron-Gesellschaft den Künstler zu einem Vortrag ein, natürlich auch um bei dieser Gelegenheit gleich einen Stein für ihren Namensgeber verlegen zu lassen. Trotz Befürwortung durch die Stadt galt es noch eine Reihe bestimmter Voraussetzungen zu erfüllen, so musste zum Beispiel jeder Hauseigentümer, vor dessen Anwesen die „Stolpersteine“ verlegt werden sollten, schriftlich sein Einverständnis erklären. Nachdem alle Bedingungen erfüllt waren, konnte am 7. Dezember 2004 in Bamberg der erste „Stolperstein“ vor Willy-Arons Elternhaus in der Luitpoldstraße 32 verlegt werden. Gleichzeitig übernahm die damals neu gegründete Willy-Aron-Gesellschaft in Folge die Koordination des Projekts für Bamberg und organisiert seitdem weitere „Stolperstein“-Verlegungen. Dass das Projekt nicht nur auf breite Zustimmung stieß, zeigt die Tatsache, dass einige Hausbesitzer in Bamberg die Verlegung von „Stolpersteinen“ vor ihrer Immobilie ablehnten. So dauerte es bei dem Anwesen Friedrichstraße 7 geschlagene drei Jahre, bis sich eine namhafte Bamberger Firma zu einer Genehmigung der Verlegung vor ihrem Firmengebäude durchringen konnte. Ein anderer Hausbesitzer befürchtete einen „unangemessenen Eingriff in die Belange seines Geschäfts und in die Darstellung des 300-jährigen Baudenkmals als solches“.
Andreas Ullmann ist nun seit 2007 in der Willy-Aron-Gesellschaft für das Projekt „Stolpersteine“ verantwortlich. Seiner Organisation ist es zu verdanken, dass in Bamberg jährlich ca. 20 Stolpersteine durch Gunter Demnig verlegt werden können, wobei die Terminfindung mitterweile zu einer echten Herausforderung geworden ist, wie er im Gespräch erklärt. Das Projekt „Stolpersteine“ ist so enorm gewachsen (mittlerweile werden Verlegungen in vielen Ländern Europas durchgeführt), dass man kaum noch Okkasionen für Aktionen in Bamberg finden kann. Aber für 2014 hat es mal wieder geklappt, wenn auch erst spät im Jahr. Am 29. November kommt Gunter Demnig nach Bamberg und wird weitere 18 „Stolpersteine“ mit Opferdaten verlegen. Welche Personen auf den jeweiligen „Stolpersteinen“ verewigt werden, wählt übrigens Andreas Ullmann, wenn es von den Sponsoren keine Vorgaben gibt, selbst aus. Ein von Privatpersonen herausgegebenes und im Erich Weiß Verlag erschienenes „Gedenkbuch jüdischer Bürger Bambergs“ hilft ihm dabei, Anknüpfungspunkte für die Auswahl der entsprechenden Verlegeorte zu finden. Eine Aufgabe mit extrem viel Verantwortung, derer sich Andreas Ullmann durchaus bewußt ist.
Die Arbeit erleichtert ihm mittlerweile, dass es zwar immer noch einer behördlichen Genehmigung für die Verlegungen bedarf, aber zumindest braucht man seit 2010 nicht mehr die Einwilligung des jeweiligen Hauseigentümers. Da die Willy-Aron-Gesellschaft allerdings den Standpunkt vertrat, dass es sich bei den Gehwegen vor den Häusern um öffentlichen Raum handele, über den allein die Stadt zu entscheiden habe, musste diese Rechtsunsicherheit geklärt werden. Auf Antrag des Stadtrates Wolfgang Metzner beschloss der Bamberger Ältestenrat Anfang 2010, dass mit sofortiger Wirkung eine Einwilligung der jeweiligen Hauseigentümer nicht mehr erforderlich sei.
Wer sich für dieses Projekt engagieren möchte, der kann beispielsweise eine Pflegepatenschaft für einen oder mehrere „Stolpersteine“ übernehmen. Und wer selbst einen „Stolperstein“ spenden will, der setzt sich am besten direkt mit Andreas Ullmann in Verbindung. Kontaktinformationen entnehmen Sie bitte dem Infokasten.
Copyright Fotos:
2mcon Bamberg (Ludwig Märthesheimer)
"Stolpersteinverlegung, © Nikol Brunner